Politische Gesprächsrunden verkommen zu TalkshowsPolitiker im TV: Lieber Talk statt kritisches Interview
Hamburg (rpo). Immer mehr Politiker entdecken lockere politische Talkshows als Plattform zur Selbstdarstellung. An kritischen Interview haben sie kein Interesse mehr.Dabei liefern sie sich nicht selten mit den Moderatoren ein Gerangel um die "Inszenierungshoheit" der Sendung, sagt der Dortmunder Medienwissenschaftler Thomas Meyer. Er appelierte deshalb am Freitag auf dem NDR-Symposium "Zukunft im Gespräch" in Hamburg an die Moderatoren, stärker einzugreifen. Meyer räumt ein, dass Sendungen wie "Sabine Christiansen" oder "Berlin Mitte" mit Maybrit Illner vor der "Quadratur des Kreises" stehen. So müssten sie einerseits Unterhaltung bieten, ohne die das Fernsehen nicht auskomme. Andererseits sollten sie zugleich ein Publikum für die Themen interessieren, dass in weiten Teilen wenig Interesse an Politik hat. Und schließlich sollen die Politiker in den Sendungen noch Neues mitteilen. Dennoch müssten sich die Talkshows bemühen, die "Lücke zwischen Oberfläche und Informationsgehalt" zu schließen, verlangt Meyer. Nach Vorstellungen des Dortmunder Medienexperten kann dies erreicht werden, in dem mehr Experten - auch Journalisten - in den Sendungen gegen Politiker Stellung beziehen. Zudem sollten die Zuschauer mehr eingebunden werden und auch Nachwuchspolitiker eine Chance erhalten, schlägt Meyer vor. Auf die Frage, warum stets die gleichen Politiker in den Sendungen zu Wort kommen, hat Jan Schulte-Kellinghaus, Leiter der NDR-Talkredaktion in Hamburg, eine ganz praktische Erklärung. Durch den Boom bei den Sendungen würden pro Monat von allen in Deutschland arbeitenden Redaktionen bundesweit rund 600 Gesprächsgäste gesucht. "Und alle sollen berühmt sein, neue Ansichten und Argumente liefern, und natürlich noch nie in einer anderen Sendung aufgetreten sein." Talk-Lady Sabine Christiansen selbst führt ins Feld, dass sie nicht angetreten sei, "um dem Bundestag Konkurrenz zu machen". In ihrer einstündigen Sendung könne sie Themen "anreißen, pointieren, zuspitzen", vielleicht noch Interesse für Themen wecken. Mehr sei aber nicht zu leisten. Dass die Zuschauer der Selbstdarstellung eines Politikers zwangsläufig auf den Leim gingen, glaubt Christiansen ohnehin nicht. Vieles drücke sich "non-verbal" aus, mancher Gesichtsausdruck passe nicht zur Aussage, "glatte Inszenierungen" kämen oft schlechter an als Gäste, die kaum zu Wort kommen. "Der Zuschauer ist nicht bereit, alles zu schlucken, was ihm an Inszenierung vorgesetzt wird", ist sie überzeugt. Allerdings räumt sie ein, dass sie "immer auf der Hut sein muss". Deshalb müssten sich die Diskussionsleiter der Politik-Sendungen stets darüber im Klaren sein, warum ein Politiker in die Talkshow kommt, was sein Ziel sei. Dagmar Reim, Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) und selbst Talk-Moderatorin, setzt da lieber auf die menschliche Seite eines Politikers. Dabei gehe es nicht darum, herauszufinden, ob etwa CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach ein "lieber Kerl" sei. Der Mensch müsse aber mit seiner ganzen Persönlichkeit "durchscheinen". Nur so entstünden Sternstunden der Talkshows.