Montagsinterview Ute Baumann, Selina Konezny und Ute Schweitzer „Alkohol ist das Suchtmittel Nummer eins“

Die Suchtberaterinnen im Gespräch mit der BM über die Drogen-Situation in Wermelskirchen.

 Das Team der Suchtberatung der Diakonie in Wermelskirchen (v. l.): Ute Baumann, Annette Potthoff, Ute Schweitzer und Selina Konezny.

Das Team der Suchtberatung der Diakonie in Wermelskirchen (v. l.): Ute Baumann, Annette Potthoff, Ute Schweitzer und Selina Konezny.

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Frau Baumann, Frau Konezny, Frau Schweitzer, welche Drogen gibt es schwerpunktmäßig in der Stadt?

Ute Schweitzer So wie in jeder Stadt sind auch in Wermelskirchen alle möglichen Suchtmittel vertreten. Bei den illegalen Drogen zeichnet sich allerdings vermehrt der Konsum von Cannabis ab, häufig als Mischkonsum mit Amphetaminen.

Ute Baumann Nach wie vor bleibt Alkohol das Suchtmittel Nummer eins. Aufgrund der Legalität ist er gesellschaftlich überall anerkannt.

Wie setzt sich die Schicht der Konsumenten zusammen?

Selina Konezny Konsumenten finden sich tatsächlich in jeder gesellschaftlichen Schicht sowie in jedem Alter und bei beiden Geschlechtern. Allerdings kann man durchaus feststellen, dass es doch Präferenzen von unterschiedlichen Altersgruppen bei verschiedenen Substanzen gibt. So wird Cannabis eher von jüngeren Menschen konsumiert.

Baumann Unser Eindruck ist, dass sich in den vergangenen zwei Jahren die Anzahl der jugendlichen Cannabiskonsumenten erheblich gesteigert hat. Ein bedenklicher Alkoholkonsum findet sich hingegen deutlich häufiger bei Erwachsenen.

Würden Sie sagen, dass die Stadt ein Drogenproblem hat?

Schweitzer Diese Frage könnten wahrscheinlich eher die Polizei oder das Ordnungsamt anhand der jeweiligen Statistiken beantworten. Durch unsere Präventionsarbeit in der Fachstelle bekommen wir allerdings mit, dass durch Schulen mehr Aufklärungsbedarf angemeldet wird und es hier eine höhere Sensibilität gegenüber und wahrscheinlich auch eine entsprechende Problematik mit konsumierenden Schülern und Schülerinnen gibt.

Kann man eine Grenze zwischen „gefährlichem“ und „ungefährlichem“ Konsum ziehen?

Baumann Die Grenzen zwischen „gefährlichem“ und „ungefährlichem“ Konsum sind in der Tat fließend. So kann man etwa viele Zwischenphasen vom ersten Experimentierkonsum bis hin zu einer eventuellen Abhängigkeit unterscheiden. Vor allem dann jedoch wird der Konsum kritisch, wenn die Substanz nicht mehr nur gelegentlich zum Genuss verzehrt wird, sondern die Einnahme zur Gewohnheit wird und missbräuchlich zur Kompensation von beispielsweise Stress, Problemen, Schlafstörungen oder Ähnlichem dient.

Gibt es so etwas wie eine „ungefährliche Droge“ überhaupt?

Konezny Aus unserer Sicht gilt: Alle Drogen können gefährlich sein. Sowohl die legalen als auch die illegalen Mittel. Das Ausmaß der Gefährlichkeit ist allerdings durchaus unterschiedlich und dadurch bedingt, welchen Zweck der Konsum erfüllen soll. Dabei sind vor allem drei Faktoren zu berücksichtigen: Zum einen ist es das jeweilige Gesundheitsrisiko, sowohl körperlich als auch seelisch. So birgt etwa der Cannabiskonsum insbesondere bei Jugendlichen die Gefahr einer Gehirnfehlentwicklung oder die Entstehung einer Psychose. Alkohol hingegen kann verstärkt für körperliche Folgeschäden an diversen Organen verantwortlich zeichnen. Dann ist als zweiter Faktor das Suchtpotential zu nennen, über das der jeweilige Stoff verfügt. Beispielsweise haben Opiate ein höheres Suchtpotenzial, was nichts anderes bedeutet, als dass sie schneller abhängig machen. Ebenfalls sind die sozialen Folgen zu beachten. Dazu zählen etwa der Verlust des Führerscheins, ausgeprägte Schul- oder Beziehungsprobleme, der Verlust des Arbeitsplatzes, Beschaffungskriminalität und andere mehr.

Stimmt das Klischee der „Einstiegsdroge Marihuana“ heute noch?

Schweitzer Der Konsum von Cannabis führt nicht automatisch dazu, früher oder später auf härtere Drogen umzusteigen. Ob auf solche zurückgegriffen wird, hängt von anderen Faktoren ab. Dazu gehören das persönliche und soziale Umfeld und die eigene Persönlichkeit.

Baumann Das Klischee der Einstiegsdroge Cannabis hat übrigens unseres Erachtens auch früher schon nicht gestimmt.

Wie viel hat Sucht mit Sehnsucht zu tun?

Konezny Ein psychosoziales Problem, wie es etwa die Einsamkeit ist, kann natürlich Sehnsucht nach sozialen Kontakten auslösen, was auf alle anderen Probleme ebenso übertragen werden kann. Und wenn die Sehnsucht im „realen Leben“ nicht gestillt werden kann, könnten dieses Vakuum – zumindest scheinbar – Drogen füllen.

Wie versuchen Sie Ihren Klienten zu helfen?

Schweitzer Wir nehmen uns in persönlichen und absolut vertraulichen Gesprächen Zeit, um die Situation des Ratsuchenden zu verstehen. Gemeinsam mit dem Betroffenen überlegen wir, was er verändern möchte und welche Hilfe er benötigt. Auf Wunsch und bei Bedarf vermitteln wir die Betroffenen weiter in adäquate Hilfsangebote. Das könnten beispielsweise Selbsthilfegruppen, Entzugsbehandlungen, Therapien oder andere Angebote sein.

Wann ist es ratsam, den eigenen Konsum zu überdenken?

Baumann Sobald das Konsummittel nicht mehr zum Genuss genutzt wird, sondern es eine andere Funktion erfüllt. Wenn man merkt, dass der Konsum etwa dem Stressabbau, der Kompensation von Langeweile oder Einsamkeit oder der Regulation von Emotionen dient, sollte man wachsam werden. Ebenso ist ein regelmäßiger Gewohnheitskonsum bedenklich.

Konezny Im Grunde genommen sollten einem schon die eigene Skepsis bezüglich des eigenen Konsums oder Hinweise anderer auf einen riskanten Alkohol- oder Drogenkonsum zu denken geben.

Schweitzer Aus diesem Grund ist es durchaus sinnvoll, sich schon in einem frühen Stadium an uns zu wenden. Übrigens können sich auch Angehörige oder nahestehende Bezugspersonen beraten lassen, um einen geeigneten Umgang mit der Situation zu finden.

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