Wohn- und Werkstätten Niederrhein Schritt für Schritt in die neue Normalität

Moers · Die Wohn- und Werkstätten Niederrhein (CWWN) der Caritas wollen innerhalb von drei Monaten wieder einen vollen Betrieb fahren. Geschäftsführer Wolfram Teschner und Sozialdienstleiter Norbert Lipperheide im Gespräch.

 Geschäftsführer Wolfram Teschner (rechts) und Sozialdienstleiter Norbert Lipperheide (rundes Bild).

Geschäftsführer Wolfram Teschner (rechts) und Sozialdienstleiter Norbert Lipperheide (rundes Bild).

Foto: Norbert Prümen (nop)

1250 Menschen mit Behinderung arbeiten bei der Caritas Wohn- und Werkstätten Niederrhein (CWWN), die in Rheinhausen, Moers und Rheinberg tätig sind. Für sie und 250 Angestellte waren die vergangenen drei Monate eine Zeit mit vielen Veränderungen. Warum Geschäftsführer Wolfram Teschner (58) und Sozialdienstleiter Norbert Lipperheide (63) eine Sozial- und Tagesstruktur für Menschen mit Behinderung und deren Angehören für wichtig halten, erklären sie im Gespräch mit unserer Redaktion.

Herr Teschner, Herr Lipperheide, am 17. März erließ das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen das Betretungsverbot, das einen Tag später am 18. März in Kraft trat...

Wolfram Teschner Jeder hatte damit gerechnet, dass es Einschränkungen geben würde, um die schnelle Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Aber niemand ging davon aus, dass am Abend ein Verbot bekannt gegeben würde, das bereits am nächsten Morgen gelten sollte. Viele Einrichtungen durften mit dem Betretungsverbot nicht mehr geöffnet werden, wie unsere Werkstätten für behinderte Menschen.

Norbert Lipperheide Ich erinnere mich noch genau an den 17. März, einen Dienstag. Als wir vom Sozialen Dienst am Abend vom Verbot gehört haben, haben wir sofort die behinderten Mitarbeiter, ihre Wohngemeinschaften und ihre Familien angerufen. Wir haben bis 23 Uhr telefoniert. Morgens haben wir ab kurz vor 6 Uhr weiter telefoniert. Die Drähte sind heiß gelaufen. Wir haben fast alle erreicht. Nur sehr wenige standen am 18. März, einem Mittwoch, vor den verschlossenen Türen der Werkstätten.

Gleichzeitig begann die Notbetreuung ...

Lipperheide Mitte März waren es nur vier Personen. Ihre Eltern arbeiten in systemrelevanten Berufen. Jeden Tag sind es in der Notbetreuung mehr geworden. Anfang Mai waren es knapp 100.

Teschner Gespräche mit dem Landschaftsverband Rheinland und der Bundesagentur für Arbeit begannen. Sie finanzieren die Arbeit des CWWN. Wir mussten für die Werkstätten ein Konzept ausarbeiten, das den Kontakt während des Betretungsverbotes sichert sowie Hygiene und Abstände berücksichtigt, um irgendwann wieder hochfahren zu können.

Lipperheide Menschen mit Behinderung brauchen eine Sozial- und eine Tagesstruktur, teilweise noch stärker als Menschen ohne Behinderung. Wir haben uns überlegt, wie wir kleine Arbeiten zu den Menschen auslagern können. Das haben wir gemacht, wenn es möglich war, zum Beispiel Einschweißen von verschiedenen Kleinteilen für die Teba-Jalousien in Homberg oder für Gelsenritter Seifenspender aus Straelen. Auch einige Arbeiten für den Brendow-Verlag aus Moers konnten unsere Mitarbeiter von zuhause aus erledigen. Wir haben Kontakt gehalten, per Telefon, E-Mail oder WhatsApp. Wir haben Lernangebote ausgearbeitet und verschickt. Wir haben Lernfilme gedreht und bei Youtube eingestellt. Themen waren Abstände und Hygiene.

Teschner Für die Angehörigen war und ist es eine schwierige Zeit, wenn die Mitarbeiter den ganzen Tag zu Hause sind. Die Belastung für sie ist schon sehr groß. Wir sind dankbar, dass die Angehörigen das auf sich nehmen. Ohne sie hätten wir es nicht geschafft. Im Laufe der Wochen formulierten viele behinderte Menschen, dass ihnen die Decke auf den Kopf fallen würde. Deshalb sind immer mehr in die Notbetreuung gegangen.

Diese Notbetreuung endete, als am 11. Mai das Betretungsverbot außer Kraft trat. Wie ging es dann weiter?

Lipperheide Für uns waren die acht Wochen der Notbetreuung ein Lernfeld. Wir haben „Einbahnwege“ markiert. Unsere Schreiner-Werkstätten haben Abtrennungen aus Plexiglas gebaut und Abtrennungen mit Holzrahmen, die mit Folie bespannt werden. So konnten wir Arbeitsplätze voneinander trennen. Wir haben Sitzplätze in den Essräumen mit Plexiglaswänden getrennt. Wir essen jetzt in zwei Schichten und demnächst in drei. Außerdem haben wir Besprechungsräume und Sporthallen dazu genommen. Beim Essen kommen die Menschen miteinander ins Gespräch. Das ist wichtig. Jetzt aber mit Abstand. Wenn Mitarbeiter und Angestellte sich in Räumen bewegen, tragen sie Mund- und Nasenschutz. Am Arbeitsplatz oder am Esstisch können sie diesen Schutz ablegen.

Teschner Am 11. Mai selbst hat sich gar nicht so viel geändert. 130 Menschen mit Behinderungen waren wieder bei uns, also 30 mehr als in der Woche davor. Seitdem steigt die Zahl Schritt für Schritt. Ende Mai waren es 500, jetzt bereits mehr als 600. Wir arbeiten daran, Anfang August wieder komplett sein zu können. Wir müssen mit den Menschen sprechen, wenn sie zurückkehren. Wir müssen sie einweisen und Arbeitsabläufe verändern. Dazu brauchen wir Zeit.

Sie werden also wieder die Mitarbeiterzahl aus der Vor-Coronazeit erreichen?

Teschner Nicht ganz, unter den insgesamt 1250 Mitarbeitern sind auch einige, die zu den Risikogruppen zählen. Für sie ist im Einzelfall abzuwägen, ob sie wieder in den Werkstätten arbeiten oder nicht. Auf der einen Seite besteht für sie das Risiko, sich zu infizieren, wenn sie ihre Wohnungen verlassen. Dabei gab es in unseren Werkstätten und Wohnungen noch keinen Coronafall. Auf der anderen Seite besteht für sie das Risiko, zu vereinsamen und soziale Kontakte zu verlieren, wenn sie ihre Wohnungen nicht verlassen. Sich zu entscheiden, ist nicht einfach. Vorher sind viele Beratungsgespräche notwendig.

Einen Tag, um den Betrieb hinunterzufahren, drei Monate, um ihn wieder hinaufzufahren…

Teschner …ist sportlich und funktioniert nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Menschen muss man Zeit geben, sich an neue Regeln zu gewöhnen, sie einzuüben und sie selbstverständlich werden zu lassen. Unsere Angestellten haben viele Gespräche zu führen und anzuleiten. Unsere Mitarbeiter zeigen sich sehr diszipliniert, halten die Abstands- und Hygieneregeln ein.

Die CWWN bot in der
Vor-Coronazeit außerhalb der Arbeit vieles an, zum Beispiel Ferienfreizeiten oder Feiern. Wie ist das heute?

 Sozialdienstleiter Norbert Lipperheide

Sozialdienstleiter Norbert Lipperheide

Foto: Caritas

Lipperheide In den Sommerferien haben wir Urlaubsfahrten angeboten. In diesem Jahr fallen sie aus, obwohl 350 Personen teilnehmen wollten. Dafür bieten wir im Juli einen „Urlaub ohne Koffer“ an. Das sind verschiedene Tagesaktivitäten. Für den 5. September hatten wir einen Tag der offenen Tür in unserer Moerser Werkstatt an der Gutenbergstraße geplant. Doch in der Coronazeit fällt er aus. Leider. Wenn viele Besucher kommen, würden sich lange Warteschlangen bilden, wenn gleichzeitig Abstände eingehalten werden sollen. Für Anfang Oktober hatten wir mit der Asberger Bürgergemeinschaft vereinbart, einen Tag das Oktoberfestzelt zu belegen. Doch gemeinsam auf engem Raum zu feiern, ist in der Coronazeit nicht mehr möglich. Deshalb fällt das Asberger Oktoberfest aus.

Teschner Auch Sportveranstaltungen finden nicht statt, zum Beispiel der Drachenlauf in Duisburg. Das ist schade. Aber die Gesundheit geht vor. Auch wenn es nicht immer möglich ist, werden wir versuchen, Ersatz zu finden.

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