Im Moerser Modehaus Braun spiegeln Schaufensterpuppen die neuen Modetrends Na Puppe, was ziehst du heute an?

Moers · Schaufensterpuppen sind keine seelenlosen Kleiderständer. Sie spiegeln nicht nur Modetrends wider. Frank Pape, Chefdekorateur im Moerser Modehaus Braun, weiß, wie deren Körper gesellschaftliche Entwicklungen mitmachen.

 Etwa 150 Schaufensterpuppen sind im Moerser Modehaus Braun im Einsatz.

Etwa 150 Schaufensterpuppen sind im Moerser Modehaus Braun im Einsatz.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Jeder Körper hat seinen Preis. Für den von der Stange muss man gut 600 Euro hinblättern. Die teuren Modelle, oft in speziellen Werkstätten gefertigt, kosten auch schon mal das Doppelte. Es gilt: „Nach oben sind alle Grenzen offen“, sagt Frank Pape. Geld spielt keine Rolle, wenn die „Haut“ aus besonderem Material ist, wenn die Gesichtszüge ins Feinste modelliert sind. Pape ist beim Modehaus Braun in Moers der Herr der Puppen. Gut 150 Schaufensterpuppen „arbeiten“ bei Braun. Krank sind sie nie, Steuern zahlen sie  nur bei ihrer Herstellung, Lohn sind nur die bewundernden Blicke der Kunden. „Wir haben nicht immer alle im Einsatz auf den gut 18.000 Quadratmetern Verkaufsfläche bei Braun.“

 Frank Pape ist seit 19 Jahren der Chefdekorateur im Moerser Modehaus Braun.

Frank Pape ist seit 19 Jahren der Chefdekorateur im Moerser Modehaus Braun.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Viele stehen in den breiten Schaufensterfronten. Andere gesellen sich zu zweit oder in Gruppen auf Modeinseln im Haus. Dann wären da noch die „Amputationen“, zumindest der zeitweise Einsatz von Puppenteilen: Drei Beine gestreckt bei den Strümpfen, oder im schicken Lauf-Outfit am Eingang der Sportabteilung. „Die Puppen werden thematisch eingesetzt“, sagt Pape. Sie sollen die Kleidung präsentieren – und nicht sich selbst. „Da darf nicht die Schönheit eines Gesichts, ja auch das den Menschen ähnelnde  Gesicht vom eigentlichen Produkt ablenken: der Mode.“  Interessant ist die heutige Entwicklung: Seit Jahren geht der Trend zur gesichtslosen Schaufensterpuppe. So präsentieren bei Braun die aktuelle super-moderne Mode mehrere Puppen ohne Gesicht. Die gesamte Fläche ihres Gesichts ist eine stahlglänzende glatte Fläche. Die Puppe ist ein gesichtsloses Etwas.

 Kinder sind eine wichtige Zielgruppe für Modefirmen.

Kinder sind eine wichtige Zielgruppe für Modefirmen.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Aber manchmal leben sie doch, denn einige sind echte  „Persönlichkeiten“. „Letztlich werden alle Schaufensterpuppen nach der Vorlage eines echten Models geschaffen“, erzählt Pape.  Zu den führenden Herstellern weltweit gehört seit den 1960er-Jahren Adel Rootstein Mannequins in London. Rootstein war dafür bekannt, dass ihr Unternehmen seit Beginn der 1960er Jahre sehr detailgetreue und hochwertige Schaufensterfiguren herstellte. Für alle Puppen, die im Hause Rootstein hergestellt wurden, haben menschliche Personen (überwiegend Prominente) wochenlang Modell gestanden, damit der Skulpteur den Prototyp anfertigen konnte. Das erste Model hieß „Imogen“, anschließend folgten Schaufensterfiguren von Supermodel Twiggy oder Sängerin Sandie Shaw.

Die Körperproportionen, die Verhältnisse von Hüfte, Busen und Schulter zueinander, spiegeln das herrschende Schönheitsideal wider. In den 1950er hatten Puppen mehr auf den Hüften, mehr Busen, breitere Becken. Die Schultern durften noch Schultern sein und waren nicht so schmal wie heutige Menschenmodels es vorleben. In den Sixties dann flippten die Schaufensterpuppen aus. „Da zeigten sich die Jahre mit wilden Frisuren und starken Make ups auch auf deren Körpern“, weiß er. In den 1970ern war‘s noch gewagter: Provokante Haltungen, frech und laut sollten die Puppen sein und das mit einem breiten Grinsen. Das Geschäft mit der Makellosigkeit wich dem Bestreben unter allen Umständen aufzufallen.

Heute ist das undenkbar, sagt der 59-Jährige. Schaufensterpuppen dürfen nicht lachen, aber auch nicht griesgrämig sein. Trotzdem sind sie meist makellos. Sie scheinen nie älter als 30 Jahre alt zu sein. Alte Menschen stehen nicht im Schaufenster - zumal die Körper heute richtig „arbeiten“ müssen. Kaum eine steht gerade  in Pickacht-Stellung“, stellt Pape klar. Immer wichtiger über Jahrzehnte seien „Bewegungen“ geworden. Im modischen Bergsteiger-Outfit klettern Herr und Frau Schaufensterpuppe die Wand neben der Umkleide hoch oder springen in Badehose und Bikini gehüllt in ein imaginäres Schwimmbecken in die Tiefe. „In Action“, sagt Profi Pape. Denn: „Schaufensterpuppe sind Appetitmacher.“

Eigentlich leben Schaufensterpuppen ewig bei Braun. Nach gut zwei Jahren bekommen sie aber oft ein Face-Lifting, heißt: „Dann brauchen sie in der Regel eine neue Colorierung“, sagt Pape. Dazu das Unvermeidliche: Hier bricht mal ein Finger ab, da ist das Scharnier des linken Beins kaputt. Eine Firma in Hamminkeln repariert all diese Blessuren bei Braun. Dann können Männer, Frauen und Kinder wieder das tun, was sie am besten können: In Posen die Kleidung an Herrn Hinz und Frau Kunz bringen.

Natürlich gibt es Regeln bei der Körperhaltung. Puppen mit Röcken stehen nie breitbeinig. Doch auch da hat sich was gewandelt, erzählt der Dekorationschef. Die selbstbewussteren Frauen heute haben zur Folge, dass weibliche Schaufensterpuppen heute schon mal im Hosenanzug mit Händen in die Hüften gestemmt klarmachen: Hier steh‘ ich!

Auch wenn die Menschen in Jahrzehnten im Durchschnitt immer größer wurden, blieben die Puppen bei ihren 170 bis 175 Meter Größe. Dazu Größe 38 bei Frauen, 52 bei Männern: „Das sind Größen, die einen gewissen Raum geben“, sagt Pape. Der Kunde erfüllt eben nicht immer die Ideal-Maße eines modellierten Körpers und dessen Schlankheitswahnsinn. Trotzdem hat der Handel auch bei den Puppen auf die wachsenden Pölsterchen seiner Kundschaft reagiert. Übergrößenmodelle zeigen, dass auch korpulentere Kunden nicht auf neueste Mode verzichten müssen.

Noch tragen Schaufensterpuppen nur Kleidung. Doch die technische Entwicklung macht auch vor ihnen nicht Halt. Eine italienische Firma bietet heute schon Schaufensterpuppen mit versteckten Kameras an. Die neugierigen „EyeSee“-Modelle  kosten um die 4000 Euro und sollen auch die Menschen beobachten, die ins Schaufenster schauen, um Informationen über deren Alter, Geschlecht, Ethnie und verbrachte Zeit zu erhalten.

In Deutschland und natürlich bei Braun gibt es solche Kameras nicht. In drei anderen europäischen Ländern sind Kamera-Puppen bereits im Einsatz, heißt es bei Branchenkennern.

Big Puppe is watching you.

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