Nach der Flucht aus dem Irak Busfahrer im Land der Freiheit

Mönchengladbach · Majoal Naif Youssef ist Iraker, stammt aus Sindschar und ist Jeside. Am 3. August 2014 floh er aus seiner Heimat.

 Majoal Naif Youssef ist Busfahrer und froh, dass er seine Familie in Deutschland ernähren kann.

Majoal Naif Youssef ist Busfahrer und froh, dass er seine Familie in Deutschland ernähren kann.

Foto: Bauch, Jana (jaba)

Im August 2014 überfielen IS-Terroristen die nordirakische Region Sindschar und deren gleichnamige Hauptstadt. Ziel der Islamisten war es, religiöse Minderheiten wie Jesiden und Christen umzubringen. Tausende Gläubige wurden getötet, Hunderttausende konnten fliehen. Als IS-Terroristen ihm und seiner Familie mit Mord drohten, machte sich Majoal Naif Youssef mit seinen Eltern, seiner Frau und den vier Kindern auf den Weg. „Es gab zwei Möglichkeiten für uns – zum Islam zu konvertieren oder getötet zu werden“, sagt er.

Zu Fuß ziehen sie zwölf Tage durch das Sindschar-Gebirge in die Türkei. Er redet nicht gerne über seine Flucht, weil er sie vergessen will; er erzählt nur knapp, dass sie sich einer Gruppe angeschlossen hatten, deren jüngste Mitglieder sechs Jahre alt waren. Zu essen und zu trinken gab es auf dieser Etappe wenig, an einigen Tagen aßen sie nichts anderes als die Blätter, die sie von den kargen Bäumen pflückten.

Naif will nach Deutschland, weil ein Schulkamerad, der Gutes von dort berichtet, schon lange da lebt. Er lässt die Familie in ihrem türkischen Auffanglager zurück und reist allein weiter, über Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich: „Mit sechs Personen in einem Zelt zu hausen, war für mich keine Lebensoption.“ Auf einigen Strecken bedient er sich Schleppern, zahlt ihnen 11.000 US-Dollar. Weitere 1500 Dollar gehen für Proviant drauf. Oft wusste er nicht, wo er sich gerade befand: „Ich wollte immer nur weiter. Als ich nach fast einem Jahr Flucht in Passau deutschen Boden betrat, wusste ich erst gar nicht, dass ich endlich angekommen war. Es kam mir vor wie ein Wunder.“

Naif und seiner Familie ging es gut im Irak. In drei Geschäften in Sindschar verkauften die Eltern und ihre acht Kinder Gemüse und Bekleidung. Per Transporter belieferte Naif die Läden mit Waren. In der Schule hatte er ein halbes Jahr Englischunterricht und damit das lateinische Alphabet gelernt. Über verschiedene Aufnahmestellen landet er im Kreis Heinsberg, wo er heute noch mit seiner Familie, die einige Monate später nachreisen konnte, wohnt.

Ehrenamtler unterstützten bei der Integration. Naif besucht einen Deutschkurs, schaut sich nach Jobs um, will seiner Familie eine Existenz in Deutschland aufbauen. Über die ökumenische Jugendarbeit Eicken findet er Kontakt zur Fahrschule von Christoph Ismar. „Naif wollte Busfahrer werden. Lkw und Transporter hatte er schon im Irak gefahren. Nach bestandenem Deutschkurs kam er über die Arbeitsagentur und das Jobcenter zu uns“, sagt Ismar. Fünf Monate lang habe Naif in Vollzeit den Vorbereitungsunterricht auf die Busführerscheinausbildung absolviert und dabei nebenbei auch eine ganze Menge Deutsch gelernt. „Die Theorie hat er auf Arabisch gebüffelt, aber den IHK-Abschlusstest musste er auf Deutsch ablegen. Viele scheitern an der Stelle, er nicht“, sagt Ismar zufrieden.

Angst, nach der Ausbildung keine Anstellung zu finden, musste Naif nicht haben. Der Fahrermangel im Güter- und Personenverkehr ist dramatisch. Nach Angaben der Internationale Straßen-Union (IRU) ist ein Fünftel der Fahrerstellen schon jetzt nicht besetzt; in Deutschland könnten bis 2027 185.000 Fahrer fehlen. Die Gründe dafür sind vielfältig: 40 Prozent der Lkw-Fahrer gehen 2027 in Rente; junge Leute rücken nicht nach, weil sie den Job als Berufskraftfahrer nicht attraktiv finden; die Frauenquote ist mit zwei Prozent verschwindend gering. Autonomes Fahren als Alternative lässt weiter auf sich warten.

Jacek Majewski, Personalleiter bei West-Bus, kennt das Problem. „Wir suchen händeringend Fahrer und haben bereits viele positive Erfahrungen mit Geflüchteten gemacht. Für sie bietet sich dieser Beruf an, weil die Ausbildungszeit kurz ist und sie den Job auch mit geringeren Deutschkenntnissen ausüben können.“ Naif lernte er beim Azubi-Speed-Dating im vergangenen Jahr kennen. „Er war dort, weil er über unsere Buswerbung aufmerksam geworden war, mit der wir Fahrer suchen“, erzählt Majewski: „Naif führt er ein diszipliniertes Privatleben, ist offen, will arbeiten und ist sehr engagiert. Wir haben ihn nach seiner bestandenen Prüfung zum Berufskraftfahrer im Personenverkehr sofort eingestellt.“

Majoal Naif Youssef zeigt stolz seine Fahrerkarte. Er ist dank seines Arbeitsverhältnisses in Deutschland angekommen und hat sich als Busfahrer seinen Traumberuf erfüllt: „Ich verdiene Geld, um meine Familie in Deutschland zu ernähren, mit einem Job, der mich ausfüllt. Wir leben in einem Land, das Freiheit garantiert, was können wir denn mehr erhoffen?“

Für niemanden in seiner Familie ist die Rückkehr in den Irak eine Option. Eins aber wurmt ihn noch: seine geringen Deutschkenntnisse. Er trifft sich zweimal pro Woche mit befreundeten deutschen Familien, redet dann viel mit ihnen, aber: „Das ist immer noch zu wenig. Im Grunde müsste ich von morgens bis abends nur Deutsch sprechen, um richtig fit in der Sprache zu werden.“ Seine Kinder, die weiterführende Schulen besuchen, haben es da schon deutlich leichter.

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