Kommentar zum 9-Euro-Ticket Fahrpreis auf Ramsch-Niveau ruiniert das System Bahn

Statt „Geiz ist geil“ im ÖPNV zu befördern und das Premiumprodukt Bahn, das Zugfahren zum Teil immer noch ist, vollends zu ruinieren, sollte die Politik lieber in die Qualität dieses Systems investieren.

 Überfüllte Bahnen – seit Einführung des 9-Euro-Tickets ein gewohntes Bild in Deutschland.

Überfüllte Bahnen – seit Einführung des 9-Euro-Tickets ein gewohntes Bild in Deutschland.

Foto: dpa/Henning Kaiser

Das 9-Euro-Ticket ist das neue Corona. Die Deutschen diskutieren sich darüber die Köpfe heiß, so wie zuvor über die Pandemie. Mein Vater etwa (fast 79) findet das 9-Euro-Ticket toll – wie viele andere Ich-kann-jetzt-billig-aber-ich-muss-nicht-unbedingt-Bahn-Fahrer. Bei einem Verwandtenbesuch in Oldenburg (Hin- und Rückfahrt natürlich wie gewohnt mit dem Auto) freute er sich über eine Gratis-Busfahrt im Stadtverkehr, weil der ja aktuell deutschlandweit inklusive ist. Supi!

Meine Erfahrungen sind andere. Im RE vom Rhein- ins Sauerland, Umstieg in Dortmund, wurde aus meinem 9-Euro ein 69-Euro-Ticket. Grund: Ich war dem durch eine Plakatwerbung entstandenen Mund-zu-Mund-Irrtum aufgesessen, das mitgenommene Fahrrad sei inklusive. Der Schaffner wertete das als Schwarzfahren meines Bikes. So als ob ich, nur um ein paar Euro zu sparen, stundenlang eine 60-Euro-Strafe riskieren würde?! Na klar: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Doch Kulanz geht anders.

Oder was halten Sie davon: Rund 420 Euro für die Zwei-Personen-Hin-und-Rück-Bahnfahrt vom Sauerland nach Graz hingelegt – aber bei der Rückfahrt ab Kassel-Wilhelmshöhe auf den Persönlichen Personen-Nahverkehr mittels eigenem Pkw angewiesen? Normal wäre so: vom Fernbahnhof Wilhelmshöhe weiter nach Meschede oder Brilon. Aber weil das System Bahn wegen Überlastung in die Knie ging, blieb nur der Hol-Dienst mit der Familienkutsche. Genauso wie bereits bei der Pfingstfahrt der Ruderjugend: Statt, wie geplant, vom Rhein an die Lahn und zurück durchgängig per Bahn zu reisen, musste der Nachwuchs jeweils auf halber Strecke mit Elterntaxis abgeholt werden. Da freut sich der Papa, der Geldbeutel grinst, und die Umwelt lacht.

Natürlich, das Leben ist ungerecht, und viele sind für billigen Spaß zu haben. So sind drei unserer Kinder (13, 15, 16) mutwillig mit dem 9-Euro-Ticket zu Freunden in den Schwarzwald gezockelt (elf Stunden Fahrt statt planmäßig sieben statt fünf per ICE). Aber das Beispiel zeigt auch: Ohne Ticket-Preis auf Ramsch-Niveau hätten sie Ferientage wie sonst verbracht, munter und fidel, wenn auch ohne Bahn-Abenteuer, unmaskiert und ohne Schienenersatzverkehr als Topping.

Mein Fazit deshalb: Das 9-Euro-Ticket verursacht Zusatzverkehr, der ohne es gar nicht entstünde und der das ohnehin gestresste System Bus und Bahn beständig kollabieren lässt. Werbung für den ÖPNV gegenüber Menschen, die von A nach B kommen müssen, ist dies mitnichten. Rätselhaft, wie ein Verkehrsunternehmen wie die Wupsi zu der Aussage kommen kann: Wenn nur die Subventionen weiterflössen – organisatorisch würden wir ein 9-Euro-Ticket auch auf Dauer bewältigen können. Und dies behauptet ein Unternehmen, das bei Urlaubs- und Krankheitsspitzen einfach sein Angebot ausdünnt und Kunden an der Bushaltestelle stehen lässt!

Statt „Geiz ist geil“ im ÖPNV zu befördern und das Premiumprodukt Bahn, das Zugfahren zum Teil immer noch ist, vollends zu ruinieren, sollte die Politik lieber in die Qualität dieses Systems investieren. Und der Lenkungswirkung vertrauen, die ein angemessener Preis für eine zufriedenstellende Dienstleistung zu entfalten vermag.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort