Boom hat den Markt verändert Scharf auf Gewürze

Das beliebteste Gewürz der Welt ist Pfeffer. Zusammen mit einer Prise Salz und Paprika reichte es früher meist, um Geschmack ans Hähnchen zu bringen. Heute sind die Gewürzregale breiter und bunter. Immer mehr junge Unternehmen verändern den Markt.

 Ausgefallene Gewürze sind derzeit immer mehr gefragt.

Ausgefallene Gewürze sind derzeit immer mehr gefragt.

Foto: picture alliance/dpa/dpa-tmn/Bernd Kubisch

Natürlich lässt sich Garam Masala, die indische Basisgewürzmischung, aus gut acht verschiedenen Zutaten selber herstellen – genauso wie orientalisches Harissa oder kreolisches Cajun. Doch selten genug stehen die dazu notwendigen einzelnen Bausteine wie Macis oder gerebelte, getrocknete Minzblättchen bereits griffbereit im heimischen Schrank.

So ähnlich muss es auch gewesen sein, als die drei Freunde Ole Strohschnieder (Vegetarier), Florian Falk (hasst Scharfes) und Allesesser Bela Seebach einst in ihrer Studenten-WG in Düsseldorf gemeinsam kochen wollten. Aus dem Kochabend wurde eine Gewürzrevolution; und aus der Online-Gewürzmanufaktur Just Spices für Hobbyköche und Kochprofis entwickelte sich eines der erfolgreichsten bundesdeutschen Start-ups. Innerhalb weniger Jahre hat sich das Trio etabliert und Millionenumsätze mit innovativen Gewürzmischungen für spezielle Gerichte gemacht, die es in der Art zuvor nicht gab.

Reingewürze waren der Standard. Dann kamen „Pasta-Allrounder“ und „Scharfmacher-Set“, „Avocado-Topping“ und „Kaffee Kuss“ oder „Rührei-Gewürz“, „Schoko Bananen Oatmeal Spice“ und „Zimtbrötchen-Gewürz“. Seit der Gründung 2012 bringt Just Spices eine ganz neue Würze ins Leben rund um den Herd. Damals gingen die Freunde auf Weltreise, um in Indien, den USA, Italien und Mexiko mit Einheimischen die ersten authentischen Mischungen zu entwickeln. Deren Köpfe finden sich heute auf den charakteristischen Dosen ihrer Firma.

Inzwischen werden generell in Deutschland so viele Kräuter und Gewürze wie nie zuvor gekauft. Immer mehr junge Firmen steigen ein – und wirbeln mit ihren Mischungen für Veganer oder Vegetarier, mit und ohne Knoblauch, für Süßes und Herzhaftes eine uralte Branche auf und liefern auch die passenden Rezepte online oder als Kochbuch. „Auf dem Gewürzmarkt ist ein regelrechter Boom entstanden“, sagt Markus Weck, Hauptgeschäftsführer des Fachverbandes der Gewürzindustrie mit Sitz in Bonn.

Florian Falk, CEO des Düsseldorfer Unternehmens „Just Spices“.

Florian Falk, CEO des Düsseldorfer Unternehmens „Just Spices“.

Foto: Just Spices

Anfangs haben die Düsseldorfer Freunde jede bunte Gewürzmischung von Hand abgefüllt, verpackt und verschickt. Mittlerweile haben sie mehr als 170 Gewürzmelangen, Salatdressings, In-Minutes-Mischungen und andere Produkte im Angebot, womit sie einen Jahresumsatz von rund 60 Millionen Euro erwirtschaften. Etwa 70 Prozent der Produkte verkauft das Start-up direkt an die Verbraucher, der Rest wird über den stationären und Online-Lebensmittelhandel in Deutschland, Spanien, Österreich und der Schweiz vertrieben. Auch digital zeigt Just Spices starke Präsenz und bezeichnet sich selbst als digitaler Vorreiter, insbesondere in Social Media (auf Instagram, TikTok oder Facebook haben sie mehr als 1,6 Millionen Follower).

Nach dem Erfolgsrezept gefragt, erklärt CEO Florian Falk: „Unsere Kunden. Am Ende nutzen sie unsere Produkte in ihrer Küche und wissen, was sie wirklich beim Kochen benötigen. Deswegen integrieren wir sie auch in unsere Produktentwicklung. Über unsere Social-Media-Kanäle sind wir im engen Austausch mit ihnen. So können wir unsere Produkte und unsere Marke immer weiter an ihre Bedürfnisse anpassen.“
Das Geschäft floriert allerorten, zahlreiche andere Firmen nutzen den Boom, und der deutsche Fachverband der Gewürzindustrie weist für 2020 ein Plus von 1,7 Prozent beim Import von Gewürzen aus. Das Marktforschungsunternehmen Mordor Intelligence Private Limited mit Sitz in Indien hat für den Prognosezeitraum 2020 bis 2025 dem globalen Gewürzmarkt eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate (CAGR) von 4,7 Prozent prophezeit.

Gewürzmischungen von Just Spices.

Gewürzmischungen von Just Spices.

Foto: Just Spices

Dabei ist es nicht so, dass Covid-19 den Markt ausgebremst hat. Im Gegenteil: Einige ausgewählte Gewürze, die das Immunsystem stärken sollen, wie Kurkuma, Ingwer und Knoblauch, haben von Verbrauchern seitdem weltweit eine enorme Resonanz erhalten. Gewürze und Kräuter sind stärker auf Gesundheit und Wellness ausgerichtet.

Wohlbefinden dank der richtigen Gewürze zum Grillen, Backen, Kochen oder Verfeinern von Getränken signalisiert bereits der Name des zweiten großen Players auf dem deutschen Markt: Ankerkraut – 2013 in Hamburg gegründet und eines der erfolgreichsten Start-ups in der Geschichte der TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“. Die teilweise mit Bio-Siegel gelabelten Produkte kommen nach eigenen Angaben ohne Geschmacksverstärker und Rieselhilfen aus (das sind Trennmittel, die kristallinen Substanzen zugesetzt werden, um das Verklumpen zu verhindern), trafen auf Anhieb den Geschmack der Griller und Köche der Nation. Sie bescherten dem Zwei-Personen-Start-up und einer der beliebtesten Influencermarken zuletzt fast 250 Mitarbeiter und rund 50 Millionen Euro Umsatz.

Das Sortiment ist auf mehr als 500 Gewürze, Mischungen und Tees angewachsen. Längst gibt es die charakteristischen Korkengläser mit Preisen ab fünf Euro nicht mehr nur im Netz, sondern auch in mehr als 6000 Geschäften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Inzwischen hat der Großkonzern Nestlé 85 Prozent der Anteile des norddeutschen Herstellers übernommen. Bei Just Spices ist seit einigen Monaten einer der größten Lebensmittelproduzenten der Welt an Bord: Kraft Heinz. Dem Hersteller von Ketchup, Käse und Kaffee mit nach eigenen Angaben 23 Milliarden Euro Jahresumsatz gehören jetzt 85 Prozent aller Firmenanteile.

Sowohl Ankerkraut als auch Just Spices stellen fest, dass die Pandemie dem heimischen Kochen einen weiteren Schub verschafft hat. Gerade die Gewürzmischungen etwa zum Grillen seien gefragt. Dass ein bisschen Salz und Pfeffer nicht ausreichen, geht laut Verbandsgeschäftsführer Weck auf eine wachsende Experimentierfreude bei Verbrauchern zurück, die aus dem Fernurlaub neue Rezepte mitbringen. Außerdem gelten Startups als die Lieblinge des Einzelhandels. Sie dienten als Trendbotschafter und verjüngten die Käuferstruktur. Die „jungen Premiumshopper“ setzen demnach mehr auf nachhaltige Produktion.

Wobei Nachhaltigkeit an sich kein neues Thema ist. Das 1952 gegründete, weltweit größte Gewürzunternehmen in privaten Besitz, Fuchs aus Dissen am Teutoburger Wald, hat das schon seit Jahren auf der Agenda. „Wir wollen wissen, woher die Rohwaren für unsere Produkte stammen, und wie sie angebaut, geerntet und transportiert wurden“, heißt es dort. Von Bedeutung seien beispielsweise die Einhaltung der Menschenrechte, das Verbot von Kinderarbeit und der Schutz der Umwelt. Um die Qualität der Produkte sicherzustellen, beziehe Fuchs Pfeffer, Paprika, Muskat, Zimt oder Knoblauch beispielsweise roh und unvermahlen.

Einer, der so viel wie möglich anders machen will als die anderen, ist Sahil Singh aus Baden-Württemberg. Mit seiner jungen Marke Lyn‘s (benannt nach seiner Mutter) konzentriert er sich auf die indische Küche und versucht nach eigenen Angaben, konsequent nachhaltige Maßnahmen umzusetzen. Für ihn und seinen Partner stand von Beginn fest, dass sie eine direkte Lieferkette in Indien aufbauen wollten. Die Gewürze sind handgemahlen von Frauen, die in einem Slum leben, und aufgrund ihres sozialen Status keine Chance auf einen Beruf haben. Sie sollen damit unterstützt werden.

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