Die Störenfriede (20) Herr Goertz schwört noch immer auf das „Fundamentum Latinum“

Mönchengladbach · Herr Sieben findet ein altes Lateinbuch und entwickelt heiligen Zorn. Herr Goertz pocht auf den großen Nutzen seiner Lateinkenntnisse. Das muss leider Streit geben – nicht nur über die korrekte Verwendung des Erweiterten Akkusativs. Die 20. Folge der Störenfriede.

 Das Kolosseum in Rom. Latein sprechen hier die wenigsten. (archivum, symbolum)

Das Kolosseum in Rom. Latein sprechen hier die wenigsten. (archivum, symbolum)

Foto: AP/Alessandra Tarantino

Einmal in der Woche chatten die Redakteurs-Kollegen Christian Sieben und Wolfram Goertz miteinander, um sich nach dem Befinden des anderen zu erkundigen. Beide verbindet eine satirische Sicht auf die Dinge, ansonsten sind sie streng beim Sie. In ihren Gesprächen geht es oft um Alltägliches, gelegentlich um Grundsätzliches, und manchmal steht am Ende sogar eine Erkenntnis.

Goertz Herr Sieben, vermutlich störe ich. Wobei denn diesmal?

Sieben Mir ist beim Ausmisten ein Reclam-Band in die Hände gefallen. Nun strebe ich eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an.

Goertz Hat der Inhalt Ihren Unmut erregt?

Sieben „Cornelii Nepotis Liber de excellentibus ducibus exterarum gentium". Ich darf übersetzen: „Das Buch des Cornelius Nepos über die vorzüglichen Feldherren auswärtiger Völker". Ein halbes Jahr meiner Jugend hat man mir damit gestohlen. Und alles basierte auf einer Lüge.

Goertz Mag schon sein, aber Cornelius Nepos liest sich doch recht einfach. Was missfällt Ihnen?

Sieben Sie haben das gelesen? Was haben Sie behalten? Lysander? Aristides? Oder Cato? Ich bitte Sie! Die Entscheidung für Latein war ein großer Fehler. Das Auffinden dieses orangenen Bändchens lässt alte Wunden aufbrechen.

Goertz Ihre Aversionen (lat. Ursprung) wurden offenbar von einem unmotivierten Pauker (vom lateinischen Adjektiv paucus, -a, -um: klein, gering) induziert (lat.). Mein Lateinlehrer war ein Verführer, er hat uns diese Sprache lieben gelehrt. Davon profitiere (lat.) ich noch heute.

Sieben Mein Lateinlehrer Herr K. und ich hatten einen „running gag" (engl.). Er begrüßte uns mit „Salvete pueri et puellae". Und ich entgegnete „Salvete o magister!" Worauf Herr K. lachte und schrie: „Sieben, ich bin vielleicht dick. Aber nicht schwanger". Ein halbes Jahr ging das so. Wir hatten ja sonst nichts. Und Sie profitieren heute, weil Sie dunkel den Ursprung einiger Wörter ahnen? Schön, dass Sie bescheiden geblieben sind. Wie viele romanische Sprachen beherrschen Sie noch? Obacht, eine Fangfrage!

Goertz Mein Latein, so dünkt mich, ist noch recht wacker. Den Rest in der Welt erschließe ich mir in der Rückbesinnung auf mehrere Bände „Fundamentum Latinum", die wir damals lasen. Ihr Lehrer hat sich tatsächlich am Pluralis maiestatis „salvete" gestört? Hätten Sie „salve" gesagt, hätte er vermutlich auch gemeckert.

Sieben Uns sagte man damals, wer Latein kann, erlernt später schneller andere romanische Sprachen. Nun hätte man damals natürlich auch gleich Französisch lernen können. Ebenfalls eine romanische Sprache. Eine Sprache übrigens, mit der man im Leben etwas anfangen kann. Aber lassen wir das. Kommen wir zum nächsten Argument. Warum schult der AcI das logische Denken?

Goertz Weil er auch in anderen Sprachen auftaucht. Im Deutschen: Ich sehe den Sieben weinen. Im Englisch: I see Christian cry. Außerdem lernt man, dass Satzstellung kompliziert, aber trotzdem verständlich sein kann. Haben wir heute noch. Nehmen wir nur den Genitivus ruris aereae (Genitiv des Ruhrgebiets): Dem Sieben sein Weinen. Um solche Dinge zu begreifen, ist Latein hilfreich.

Sieben Bitte unterlassen Sie diese Sottisen. Schon bei Ihrem englischen Beispiel geraten Sie an Ihre Grenzen. Ihr Satz steht im NcI. Zudem sprechen auch Menschen, die kein Latein beherrschen, recht passabel Deutsch. Obwohl sie bei ACI nur an die Brausetabletten denken, die gegen verstopfte Nebenhöhlen helfen. Aber ich muss insistieren (das schenke ich Ihnen!): Sprechen Sie Französisch, Italienisch, Rumänisch oder Katalanisch? Was hätte aus Ihnen werden können!

Goertz Katalanisch ist ein Nebenkriegsschauplatz. Bleiben wir bei der Sache. Das Lexikon sagt: Auch im Englischen kann der AcI nach Verben der Wahrnehmung und des Wollens verwendet werden. Beispiel: I saw her go. („Ich sah sie gehen" bzw. „Ich sah, dass sie ging.") Man sieht, bei Ihnen wurde grammatisch kein „Fundamentum Latinum“ gelegt.

Sieben Sie haben nachgeschlagen? Fair. Träumten Sie nie davon, in Paris bei den Damen zu reüssieren (auch dies sei Ihnen gegönnt). Oder in Barcelona in Landessprache ein Mahl zu bestellen? Oder Fellini im Original zu sehen? Dass man junge Menschen stattdessen die Heldentaten des Eumenes übersetzen lässt, verneint letztlich das Leben. Neulich habe ich übrigens von einer Dame gehört, die das Latinum, Graecum und Hebraicum in der Schule erworben hat. Ahnen Sie, wie es dazu kam?

Goertz Ich bin in Paris immer satt geworden und kenne auch reizende Spanierinnen. Beim Kellner zeige ich auf den Teller auf dem Nachbartisch, in Sevilla lächle ich tiefgründig. Das ist die Sprache, die jedermann versteht. Aber verratet mir, wie die Dame so vieler Sprachen in kurzer Zeit begierig, kundig, eingedenk, teilhaftig, mächtig, voll sein konnte!

Sieben Im Sekretariat ihres Gymnasiums wurde vergessen, auf der Rückseite des Abiturzeugnisses „Unzutreffendes" durchzustreichen.

Goertz Sehen Sie, so hat sie von der Schule doch schön profitiert. Apropos, ich esse nun Profiteroles. Wir sprechen uns noch.

Sieben Ça va sans dire. (Schlagen Sie es gerne nach!)

(Im Aufspüren von Fehlern sind unsere Leser unschlagbar. Ein besonders grober Regelverstoß wurde von Kommentator KaRai mit pädagogischer Gründlichkeit geahndet. Er hat selbstverständlich recht. Wie konnte das passieren! Wir haben diese Form von textlicher Karies sofort weggebohrt und repariert.)

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