Auch der Besuch der Christmetten nimmt ab Wenn die Heilige Nacht Privatsache wird

Düsseldorf · Immer weniger Menschen wollen die Christmette am Heiligabend besuchen. Die Säkularisierung macht auch vor dem Weihnachtsfest nicht halt. Und auch die Kritik an der Institution spiegelt sich darin. Inzwischen denkt jedes vierte Kirchenmitglied über Austritt nach.

 Eine Bild aus Corona-Zeiten von der Christmette in der Münchner Frauenkirche. Viele fürchten, dass dies ein Erscheinungsild auch für die Zukunft sein könnte.

Eine Bild aus Corona-Zeiten von der Christmette in der Münchner Frauenkirche. Viele fürchten, dass dies ein Erscheinungsild auch für die Zukunft sein könnte.

Foto: Tobias Hase / dpa

Was für Zeiten waren das! Als am fortgeschrittenen Heiligabend wenigstens ein und mitunter murrendes Familienmitglied vorausgeschickt wurde, um für den Rest der Sippe ein paar Plätze in der Kirchenbank „zu sichern“. Nicht zu weit vorne bitte, aber bloß nicht hinten, wo man nichts sieht und nichts versteht, also irgendwo dazwischen. So etwa lauteten die deutungsfähigen Ansagen. Was für Zeiten also – mit gut besuchten Gotteshäusern wenigstens in der Heiligen Nacht.

Vieles deutet darauf hin, dass dies sehr wahrscheinlich der Vergangenheit angehören wird. Denn zu den jährlichen Beobachtungen einer immer kleiner werdenden Zahl von Besuchern der Christmette gibt es jetzt auch ein paar Zahlenhinweise: So gaben nur noch 15,4 Prozent von 1200 Menschen, die die Münchner Bundeswehr-Universität befragte, an, Heiligabend in die Kirche gehen zu wollen. 2019 seien es noch 23,6 Prozent gewesen, hieß es.

Die Zeiten ändern sich, wäre ein lapidarer Kommentar dazu. Die Glaubensbasis bricht weg, wäre der dramatisch klingende Befund. Wobei gut besuchte Gotteshäuser auch früher nicht unbedingt etwas über die Gläubigkeit der Gesellschaft aussagten. Doch war das zumindest noch eine sichtbare gesellschaftliche Relevanz der Kirche einschließlich sozialer Kontrolle.

Das Ergebnis ist pünktlich zur Adventszeit naturgemäß ein Aufreger. Dabei bildet es bloß eine bereits langfristige Entwicklung ab. Wenn in den Bistümern hierzulande der Anteil der Gottesdienstbesucher inzwischen deutlich unter der Fünf-Prozent-Marke aller Kirchenmitglieder fällt, dann kann das Fernbleiben selbst an stimmungsvolleren Hochfesten nicht wirklich überraschen. In Nordrhein-Westfalen ist der sonntägliche Gottesdienstbesuch besonders gering und lag nach jüngsten Zahlen in den katholischen Kirchen im Bistum Münster bei 3,7 Prozent, in Paderborn bei 3,5, im Erzbistum Köln bei 3,4, in Aachen bei 2,6 und im Essener Ruhrbistum nur noch bei 2,4 Prozent.

Der Verlust eines inneren Bezuges zum Weihnachtsfest beschreibt sehr genau den fortschreitenden Säkularisierungsprozess. Denn der wird – länderübergreifend – getrieben vom Rückgang des Glaubens an einen personalisierten Gott, wie es der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack nennt.

Eine Art höhere Macht spielt für die private Lebensführung eine immer kleiner werdende Rolle. Stattdessen, so Pollack, mache sich ein „unkonkreter Glaube“ breit. Noch gibt es so etwas wie ein spirituelles, obgleich undefiniertes Bedürfnis; das aber sei letztlich nur eine Zwischenstufe zur Säkularisierung.

Vor diesem Hintergrund muss die Weihnachtsbotschaft vielen Menschen besonders unbegreiflich und fremd erscheinen. Weil gerade die Weihnachtsgeschichte in hohem Maße den Glauben und die Erlösung der Menschheit durch Personen erzählt wird: mit Maria und Josef auf ihrer Suche nach einer Herberge, mit den Heiligen Drei Königen als Glaubenszeugen und ganz besonders mit der Geburt Jesu. Gott wird Mensch in dieser Nacht. Eine stärkere Personalisierung des Mysteriums ist nicht denkbar.

Hinzu kommen andere Faktoren, die weniger mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung zu tun haben, sondern eher in den Bereich von Begleitumständen gehören. Dazu gehört etwa der Trend zu Bindungsverlusten an Institutionen generell, der mit der Pandemie forciert wurde. Inzwischen beklagen beispielsweise auch etliche Kulturveranstalter, dass ihr Publikum fernbleibt und auch nach etlichen Lockerungen auch nicht einfach wieder zurückkehrt. Die Befürchtung wächst, dass es sogar für immer verloren ist.

Sich auf den Weg zu machen, kostet Mühe, Zeit und Geld. Dazu sind nur noch jene bereit, die wirklich vom Angebot überzeugt sind. Aber zählt dazu noch die Kirche, deren Glaubwürdigkeit durch den umfassenden Missbrauchsskandal tiefe Risse bekam und deren wenig überzeugende Versuche von Aufklärung, Prävention und systemischen Veränderungen viele weiterhin empört?

Kirche hat sich in den vergangenen Jahren als resistent gegenüber Veränderungen erwiesen. Das meint nicht die Pflege von Tradition, von Ritualen und Glaubensfesten, sondern die Anpassung kirchlicher Lehre an die Lebenswirklichkeit der Menschen im 21. Jahrhundert. Es mangelt somit an Glaubwürdigkeit und echter Ansprache.

Vor allem darin sieht die Bonner Kirchenrechtlerin Judith Hahn einen Grund für die rasant kleiner werdende Zahl an Gottesdienstbesuchern – selbst zu Weihnachten. Denn „wer einen Gottesdienst mitfeiert, signalisiert durch das Einlassen auf die diversen symbolischen Handlungen, Personenkonstellationen und Umstände Zustimmung“.

Das schreibt Hahn auf dem theologischen Online-Portal „feinschwarz.net“. Die Mitfeier eines katholischen Gottesdienstes signalisiere danach eine Übereinstimmung mit den amtlichen Vorstellungen von Kirche, und zwar unabhängig davon, ob die Mitfeiernden diese Vorstellungen bejahen oder bezweifeln. Nach ihren Worten ist die Feier in hierarchischer Ordnung der „kontinuierliche Ausdruck einer bestimmten Vorstellung von Kirche“.

Zwar habe sich durch den „Liturgieentzug“ während des Lockdowns das Unbehagen verstärkt, so die Professorin für Kirchenrecht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Doch sei es zu oberflächlich, die allein Corona-Pandemie als „Motivationskillerin“ für Gottesdienstbesuche ins Feld zu führen.

Dieser Befund entspricht dem jetzt veröffentlichten „Religionsmonitor 2023“ der Bertelsmann-Stiftung. Danach habe im vergangenen Jahr jedes vierte Kirchenmitglied über einen Austritt aus der Kirche nachgedacht; und jedes fünfte habe eine feste Austrittsabsicht geäußert.

Unfrohe Weihnachten? Wenn die Heilige Nacht zur Privatsache wird, bleibt das unerhört, was Menschen seit mehr als 2000 Jahren weitergeben: die frohe Botschaft von der Geburt Jesu.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort