Fans haben die Qual der Wahl Dreimal ESC-Ersatz ist zu viel

Hamburg · Nach Stefan Raab plant nun auch die ARD eine Ersatzshow für den wegen Corona abgesagten Eurovision Song Contest. Weil die Niederlande ebenfalls ein Live-Spektakel ausstrahlen, haben Fans nun die Qual der Wahl. Hilfreich ist das eher nicht.

 Bei der ProSieben-Show „Free ESC“, die von Altmeister Stefan Raab produziert wird, moderieren Conchita Wurst (l.), die 2014 den ESC gewann, und Steven Gätjen.

Bei der ProSieben-Show „Free ESC“, die von Altmeister Stefan Raab produziert wird, moderieren Conchita Wurst (l.), die 2014 den ESC gewann, und Steven Gätjen.

Foto: dpa/Benedik

Für Fans des Eurovision Song Contest (ESC) brechen schwere oder goldene Zeiten an, je nachdem. Nicht, weil sie wegen der coronabedingten Absage des europäischen Gesangswettbewerbs darben müssen, sondern weil sie am 16. Mai nun die Qual der Wahl haben. Denn gleich drei Ersatzshows buhlen um Zuschauer: Hilversum will mit „Europe Shine A Light“ die Sänger ehren, die eigentlich im ESC-Finale in Rotterdam aufgetreten wären, Stefan Raab möchte auf ProSieben mit „Free European Song Contest“ mal wieder seine musikalische Expertise beweisen und die ARD bringt, wie sie am Sonntag verkündete, mit viel Tamtam ein deutsches Finale mit zehn Künstlern auf die Bühne der Elbphilharmonie. Selbst in der an Skurrilitäten reichen ESC-Geschichte hat es einen solchen Kuddelmuddel noch nicht gegeben. Aber der Reihe nach.

Als die Europäische Rundfunkunion EBU am 18. März bekanntgab, den Song Contest wegen des Coronavirus erstmals seit 1956 ausfallen zu lassen, war die Aufregung groß. Das Spektakel lockt weltweit alljährlich rund 150 Millionen Menschen vor die Bildschirme. Schnell kamen Wünsche für einen pandemiegeeigneten Ersatz auf. Auch die ARD bemühte sich laut Unterhaltungschef Thomas Schreiber um ein Alternativ-Konzept, bei dem jedes der 41 Länder inklusive Australien seinen Interpreten selbst auf eine Bühne gebracht hätte. Dafür habe es in Europa aber keine Mehrheit gegeben, bedauerte Schreiber. Deutlich fixer agierte Stefan Raab. Dem TV-Ruheständler haftet in Bezug auf den ESC ohnehin der Ruf eines Spindoctors an, seit er 2010 den Vorentscheid ausrichtete und sein Schützling Lena Meyer-Landrut in Oslo gewann.

Raab kann ESC, so die landläufige und wohl auch seine Auffassung. Entsprechend konterte er die diesjährige Absage des Finales mit seinem „Free European Song Contest“ auf ProSieben. In der von ihm produzierten Show sollen deutsche Musiker mit Bezug zu den Teilnehmerländern auftreten, moderiert von Dragqueen Conchita Wurst (die 2014 für Österreich den ESC gewann) und Steven Gätjen. In Deutschland, Österreich und der Schweiz können Zuschauer per Telefon und SMS abstimmen. Die zu vergebenden Punkte orientieren sich dabei am klassischen ESC-Modus. Sprich: Höchstpunktzahl ist die zwölf. Unter anderem soll zur Punktevergabe live in alle Teilnehmerländer geschaltet werden. Wie viele Länder es sind, blieb bislang unklar. Lokale „Sympathisanten“ des Wettbewerbs vergeben die jeweiligen Punkte, also eine Art Jury. Schauplatz ist Köln.

Nun hält die ARD dagegen und fährt ihrerseits ESC-bewährte Prominenz auf – Barbara Schöneberger soll den Abend in der Elbphilharmonie moderieren. Auch Ben Dolic, der für Deutschland in Rotterdam ins Rennen gegangen wäre, singt sein Lied „Violent Thing“. Dabei soll sich sein Auftritt so nah wie möglich an der Inszenierung orientieren, die fürs Finale geplant war. ARD-Unterhaltungskoordinator Schreiber und sein Team hatten dafür den Choreografen von Justin Timberlake engagiert. In einem Voting können die Zuschauer schließlich den „deutschen Sieger der Herzen“ küren. Der deutsche Beitrag kann dabei wie gewohnt nicht gewählt werden. Während des Votings singt Michael Schulte, der 2018 für Deutschland den vierten Platz beim ESC in Lissabon holte.

Sogar ein aufwendiges Halbfinale gibt es eine Woche zuvor. Dort wird ermittelt, welche zehn von den 40 Teilnehmerländern neben Deutschland im Finale stehen. Alle Künstler werden mit ihren Videos vorgestellt, die Zuschauer stimmen online oder per Tele-Voting ab, dazu urteilt eine hundertköpfige Eurovisionsjury. Es läuft am 9. Mai um 20.15 Uhr im ARD-Kanal One, in der Mediathek, im Netz auf funk.net, bei Youtube und bei eurovision.de. Doch damit nicht genug: Im Anschluss an die deutsche ESC-Ersatzsendung am 16. Mai will das Erste dann – zeitversetzt – ab 22 Uhr die internationale Ersatz-Liveshow „Europe Shine A Light“ aus dem niederländischen Hilversum übertragen. Die Show beginnt dort eigentlich um 21 Uhr. Darin sollen alle Künstler geehrt werden, die 2020 in Rotterdam aufgetreten wären. Zudem sind Schalten über den Kontinent, viel Musik und Überraschungsaufritte geplant, wie der NDR weiter mitteilte. Peter Urban und Sänger Michael Schulte kommentieren. Im Anschluss nach Mitternacht will das Erste dann auch noch das ESC-Finale von 2010 in Oslo wiederholen, bei dem Lena mit „Satellite“ für Deutschland siegte. Mehr ESC geht nicht.

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Ob das alles sinnvoll und zielführend ist, sei dahingestellt. Offensichtlich aber wollte es die ARD nicht zulassen, dass sich Raab erneut als ESC-Retter inszeniert. So werden trotz der Konkurrenz-Situation weder Kosten noch Mühe gescheut, ebenfalls ein Ersatzspektakel auf die Beine zu stellen. Es werde alles geboten, „was den ESC so einzigartig macht“, preist der federführende NDR sein Konzept. Einzigartig machte den ESC aber schon immer, dass sich wenigstens an einem Abend Europa unter der Fahne der Kunst vereint. Das diesjährige ESC-Triple zeigt dagegen klar: Alles nur Show.

(mit dpa)
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