Analyse zum Katholikentag Von den letzten Tagen der Volkskirche

Stuttgart · Auf dem Katholikentag stellten sich viele die Frage, ob die Kirche noch zu retten sei. Darauf gab es ehrliche, harte, hoffnungsvolle Antworten. Kirche dürfe uns nicht gleichgültig lassen, so Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

 Gisela Forster (l.) und Regina Ladewig, die sich vor Jahren im europäischen Ausland zur Bischöfin und zur Diakonin weihen ließen und deswegen exkommuniziert wurden, nehmen beim Katholikentag an einer Demonstration teil.

Gisela Forster (l.) und Regina Ladewig, die sich vor Jahren im europäischen Ausland zur Bischöfin und zur Diakonin weihen ließen und deswegen exkommuniziert wurden, nehmen beim Katholikentag an einer Demonstration teil.

Foto: dpa/Marijan Murat

In Stuttgart gab es gleich drei Premieren zu feiern: Es war der erste Katholikentag seit Pandemieausbruch. Der erste Katholikentag nach jener christlichen Volkszählung, wonach in Deutschland erstmals weniger als die Hälfte der Einwohner einer der christlichen Kirchen angehören. Und es war der Katholikentag mit einer der schwächsten Beteiligungen: Nicht einmal 30.000 Teilnehmer interessierten sich für eine der 1500 Veranstaltungen. Rekordverdächtig sind dazu die jüngsten Austrittszahlen: 221.390 Katholiken kehrten 2020 ihrer Kirche den Rücken. Das war der zweithöchste jemals gemessene Wert.

Zu diesen Premieren kamen noch „Evergreens“ hinzu, die in der katholischen Kirche seit langem verhandelt werden: Fragen nach der Ordination für Frauen etwa, zur Zukunft und Berechtigung kirchlicher Hierarchie und Machtverteilung, dem zölibatären Leben der Priester, der Sexualmoral.

Das alles klingt nach einem Endzeitdrama mit dem Titel „Die letzten Tage der Volkskirche“. Oder doch zumindest ihrer Institution. In Stuttgart schien dieser Eindruck mit Äußerungen selbst von geweihter Stelle bestätigt zu werden: „Ein System, das solche Verbrechen möglich macht, darf nicht gerettet werden“, so der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer mit Blick auf den Missbrauchsskandal. An anderer Stelle musste in Stuttgart ein Laie fast schon zur Ehrenrettung der Kirche antreten: „Ich glaube nicht, dass die Gesellschaft besser dran wäre, wenn es die verfasste Kirche nicht gäbe“, betonte der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert. Mit der nicht unbedeutenden Einschränkung: „Meine Frustration ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen – und meine Zweifel an dem Veränderungswillen auch.“

Eine Kirche im internen Krisenmodus, und doch herrschte auf dem Katholikentag keine ausgeprägte Untergangsstimmung, kaum Depression. Was die insgesamt erschreckende Lage aber verändert hat und in Stuttgart fast überall zu erleben war: Die Debatten werden endlich offener ausgetragen und meist ehrlicher, sie werden häufiger gleichberechtigter geführt, mitunter auch härter.

Volkstümlicher formuliert: Die noch gläubigen Menschen haben die Nase voll vom Stillstand ihrer Kirche, die in einer Art monarchischem Kokon lebt und sich himmelweit entfernt hat von den Selbstverständlichkeiten demokratischer Lebens- und Entscheidungsfreiheiten der Menschen.

Konkret heißt das: Kirche ersetze seit dem 19. Jahrhundert Argumente durch Autorität – „daran leiden wir bis heute, und wir wissen, dass das nicht funktioniert“, so die Theologin Johanna Rahner. Nach ihren Worten hat die katholische Kirche „einen Schritt in der Moderne nicht verstanden, nämlich was Autonomie des menschlichen Subjekts bedeutet. Was unser Gewissen uns sagt, das ist doch eine entscheidende Autorität.“

Reformfreudig sind in Stuttgart fast alle, reformwillig die meisten. Und Veranstaltungen unter mehrdeutigen Titeln wie „Ist die Kirche noch zu retten?“ sind die Blockbuster des Katholikentags. Bei einer dieser Nabelschauen erklärt dann der Publizist Heribert Prantl: „Solange die Kirche Menschen aus ihrer Not rettet, solange ist sie auch zu retten.“ Das Kirchenasyl hat er im Blick, die vielen Flüchtlinge aus den Kriegs- und Krisengebieten unserer Welt. Und vielleicht war Stuttgart auch deshalb kein Abgesang, weil mit den vielen Veranstaltungen zum Krieg in der Ukraine der Blick geweitet wurde auf das schreiende Unrecht dieser Tage und die absolute Notwendigkeit schneller und umfassender Hilfe.

Auch die Kirche ist dabei gefordert und war damit wieder bei den Menschen angekommen. Der Wunsch, der für Prantl daraus folgt: dass Kirche nicht nur Kirche heißt, sondern auch Kirche ist. Ein Kirchenaustritt kommt für ihn selbst trotz aller beherzter Kritik aber nicht in Frage, „weil man aus seinem Leben nicht austreten kann“.

Blicke in die Zukunft blieben naturgemäß vage, waren aber nicht ohne Hoffnungsschimmer: „Wir werden anders Kirche sein, aber wir werden Kirche sein“, glaubte Margot Käßmann, frühere Ratspräsidentin der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die theologische Durchhalteparole fand man in den Schriften des vor einem Jahr gestorbenen Hans Küng. Der fragte sich nämlich, warum er die Kirche, die er in besseren Tagen erlebt und viel von ihr profitiert habe, in stürmischen Zeiten verlassen und das Rudern im Boot anderen überlassen solle?

Es war der gastgebende Ministerpräsident des Katholikentags, Winfried Kretschmann, der in der Kirche als Sinnstifterin eine wesentliche Ressource für unsere Gesellschaft sah. „Kirche darf uns nicht gleichgültig lassen, und der säkularen Welt geht viel verloren, wenn die Kirche aus der Krise nicht herauskommt.“

Was an Hoffnung bleibt? Vor allem die Reforminitiative des Synodalen Wegs und mit ihm die Einrichtung eines permanenten Synodalen Rates. Denn die Reformdebatten dürfen nicht als eine Art Ausnahmeveranstaltung wahrgenommen werden. Welche Furcht dennoch regiert? Dass seine Reformbeschlüsse weltkirchlich zu den Akten gelegt werden. Und dort verstauben. Schon einmal fragten deutsche Bischöfe Rom offiziell an, ob Frauen Diakonninen werden und ob Priester heiraten dürfen. Das war zur Würzburger Synode 1975. Eine Antwort dazu aus dem Vatikan steht bis heute aus. Inzwischen fragen sich manche, ob dieses Schweigen nicht doch als Zustimmung zu werten sei.

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