Promis verlassen soziale Medien Wenn auf Facebook und Twitter der Hass dominiert

Düsseldorf · Hass und Hetze in den sozialen Medien treffen zahllose Nutzer tagtäglich. Prominente machen nun in wachsender Zahl ihren Ausstieg bei Facebook oder Twitter öffentlich. Auch die Politik sieht weiteren Handlungsbedarf.

 Jeder zwölfte Deutsche war schon einmal persönlich von Hate-Speech betroffen.

Jeder zwölfte Deutsche war schon einmal persönlich von Hate-Speech betroffen.

Foto: dpa/Lukas Schulze

Robert Habeck hat es getan. Igor Levit ebenfalls. Oder auch Frank Buschman. Ein Spitzenpolitiker, ein Starpianist, ein bekannter TV-Sportkommentator. Sie alle haben sich teilweise oder ganz aus den sozialen Medien zurückgezogen. So unterschiedlich ihre Berufe auch sein mögen – ihre Motivation ist dieselbe: Den Hass, der ihnen Tag für Tag im Netz entgegenschlägt, wollen sie nicht länger ertragen.

Mit dieser konsequenten Haltung stehen die drei nicht allein. In zunehmendem Maße kehren Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Facebook, Twitter & Co demonstrativ den Rücken, obwohl sie dort auch sehr viel Anerkennung erfahren. Doch schwerer wiegen offenbar Beleidigungen, Gewaltandrohungen oder Diskriminierungen, die im Netz immer stärker um sich greifen. Mit ihrem Schritt setzen Prominente zugleich ein Zeichen – für all diejenigen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Das sind nicht wenige, wenngleich deren Schicksal meist im Dunklen bleibt.

Immerhin jeder zwölfte Deutsche war schon einmal persönlich von Hate-Speech betroffen, bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren ist es schon fast jeder Fünfte, wie der Soziologe und Rechtsextremismusforscher Matthias Quent in Studien herausgefunden hat. Stress, Angst und Depressionen können die Folgen sein. Darüber hinaus befürchten 72 Prozent der Bundesbürger, dass durch Aggressionen im Internet die Gewalt im Alltag zunimmt.

Vernetzt zu sein, war für die Menschen immer von großer Bedeutung. Die Digitalisierung hat diesem Bedürfnis einen mächtigen Schub verliehen. Soziale Netzwerke im Internet werden nicht wieder verschwinden. Doch die Skepsis wächst. Im vergangenen Jahr schlossen einer Umfrage in Deutschland zufolge 36 Prozent der Interviewten eine Löschung ihres Facebook-Account nicht aus, 27 Prozent zogen das für Twitter und 22 Prozent für Instagram in Betracht. In den USA lagen die Werte teils noch höher.

Nicht immer mag das im Zusammenhang mit Hassbotschaften stehen. Doch sie bleiben das größte Problem. Für Robert Habeck, der Facebook und Twitter schon 2019 ade sagte, waren Anfeindungen, Verleumdungen und Drohungen definitiv der Grund. Twitter etwa sei wie kein anderes digitales Medium so aggressiv, in keinem anderen Medium gebe es so viel Hass, Böswilligkeit und Hetze. Unlängst bekräftigte der Grünen-Chef seinen Entschluss: „Das war eine der weisesten Entscheidungen, die ich in meinem Leben getroffen habe.“ Auch der Antisemitismusbeauftragte von Baden-Württemberg, Michael Blume, verkündete bereits 2019 einen entsprechenden Rückzug: „Es ist der Punkt erreicht, an dem ich sage, ich kann das Geschäftsmodell, das unsere Demokratie bedroht, nicht mehr weiter unterstützen.“

Erst vor wenigen Tagen deaktivierte auch der jüdische Starpianist Levit seinen Account auf Twitter offenbar endgültig, nachdem er ihm vorher bereits vorübergehend verlassen hatte. Der 34-Jährige engagiert sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus und erhielt via Internet sogar Morddrohungen.

Ähnlich wie Sportmoderator Buschmann erging es dem Stadionsprecher bei Werder Bremen und TV-Moderator Arndt Zeigler („Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“): „Da es offenbar Menschen gibt, die ein verlorenes Fußballspiel zum Anlass nehmen, mich noch während des laufenden Spiels zu bedrohen, zu belästigen und zu beleidigen, habe ich zunächst die Kommentarfunktion deaktiviert, die persönlichen Nachrichten gesperrt und werde diese Seite vom Netz nehmen“, kündigte er kürzlich seinen Ausstieg bei Facebook an. Zuvor hatte sein Kollege Buschmann festgestellt: „Mir geht‘s ohne Facebook und Twitter besser.“ Ihm gefalle die Grundidee nicht mehr. „Dort wird andauernd versucht, Menschen schlechtzumachen und zu spalten."

Der ehemalige französische Fußball-Weltmeister Thierry Henry hatte nicht nur die sozialen Netzwerke verlassen, sondern im März 2021 auch andere Betroffene aufgerufen, es ihm gleichzutun. Das schiere Ausmaß von Rassismus und Schikane und die „daraus resultierende mentale Folter von Individuen“ seien zu giftig, um sie zu ignorieren. Massive Anfeindungen haben nicht zuletzt Alice Hasters aus dem Netz getrieben. Die deutsche Journalistin, Tochter einer schwarzen US-amerikanischen Mutter und eines weißen Vaters, wurde unter anderem wegen eines Kommentars gegen Rassismus in der „Tagesschau“ bei Twitter massiv angegriffen und hat ihren Account deshalb stillgelegt.

Wenn Verunglimpfungen und Drohungen dazu führen, dass sich Menschen aus dem öffentlichen Diskurs zurückziehen, dann stellt das eine Bedrohung der Meinungsvielfalt und damit letztlich der Demokratie dar. Die Bundesregierung hat darauf mit dem neuen „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus der Hasskriminalität reagiert. Es sieht unter anderem eine Pflicht für Anbieter großer Netzwerke vor, solche Inhalte zu melden und gegebenenfalls zu löschen. Auch werden Beleidigungen, üble Nachrede und Verleumdung gegen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker künftig härter bestraft.

Allerdings: Für die Ermittler sind die Absender von Hassbotschaften nur schwer zu fassen. Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Torsten Renz (CDU) will das ändern und die Täter im Netz aus ihrer Anonymität holen. „Wir können die Verursacher nicht dingfest machen, weil sie sich auf den Plattformen mit Phantasienamen registrieren lassen“, klagte Renz vor wenigen Tagen. Zugleich kündigte er eine auch von Niedersachsen getragene Initiative für eine Identifizierungspflicht an.

„Nur, wenn die Betreiber wissen, zu wem der Account gehört und den Anmelder für Ermittlungen auch an die zuständigen Behörden weitergeben, können wir auch etwas tun. Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein“, betont Renz, der zugleich auf einen erzieherischen Effekt setzt: Im Straßenverkehr sei jeder Fahrzeugführer schließlich auch mit einem Nummernschild unterwegs und könne somit zur Verantwortung gezogen werden, wenn er zu schnell gefahren sei. „Auch, wenn es immer Raser geben wird, so diszipliniert das doch.“

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