Fragen & Antworten Wie der Cum-ex-Betrug funktionierte

Düsseldorf · Dem Staat gingen mehr als 30 Milliarden Euro Steuern durch trickreiches Verschieben von Aktien verloren. Im vergangenen Jahr hat der Bundesgerichtshof endgültig Rechtsklarheit geschaffen.

Foto: dpa/Monika Skolimowska

Die Diskussion um die Herkunft der fast 215.000 Euro, die in einem Schließfach des SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs gefunden worden sein sollen, und um die Rolle von Bundeskanzler Olaf Scholz haben das Thema Cum-ex nun wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Wir beantworten wichtige Fragen, nicht nur zu Cum-ex, sondern auch zu Cum-cum – artverwandten Aktiengeschäften, mit denen der Fiskus bis 2016 ebenfalls geprellt wurde. Immer geschah dies unter dem Anschein des Steuerschlupflochs, bis die deutsche Gerichtsbarkeit dem ein Ende bereitet hat. Der Oberbegriff für solche Deals lautet Dividendenstripping. Das bedeutet: Verkauf einer Aktie kurz vor dem Dividendentermin und Kauf derselben Aktie kurz nach dem Dividendentermin.

Wofür stehen Cum und ex? Die Begriffe kommen aus dem Lateinischen und bedeuten im Zusammenhang mit den inzwischen verbotenen Deals, dass Aktien mit einem Anspruch auf die Dividende (cum) und ohne Anspruch (ex) zwischen mehreren Beteiligten hin- und hergeschoben werden.

Was war das Ziel der Geschäfte? Mehrere Beteiligte haben sich Steuern erstatten lassen, obwohl nur einer von ihnen tatsächlich Steuern gezahlt hatte. Die Geschäfte gab es quer durch Europa; allein der deutsche Fiskus soll um rund 30 Milliarden Euro betrogen worden sein, einschließlich von Cum-cum-Geschäften, die weiter unten erläutert werden.

Wie funktionierte Cum-ex? Das System: A besitzt Aktien eines Unternehmens, B nicht. Trotzdem verkauft B Aktien an C. Das nennt man Leerverkauf – die Veräußerung von Papieren, die man gar nicht besitzt. Anschließend wird Dividende gezahlt. 75 Prozent davon kassiert A, der Rest geht als Kapitalertragsteuer (die sich A später erstatten lassen kann) an den Staat. So weit alles okay. Nach der Ausschüttung verkauft A seine Aktien an B. Die Papiere sind nach der Dividendenzahlung in der Regel weniger wert, also zahlt B einen geringeren Preis. Er bekommt aber auch die Dividende. B gibt die Aktien jetzt an C weiter – man erinnere sich an den Leerverkauf – und überlässt ihm auch noch die Netto-Dividende. Für die restlichen 25 Prozent lässt sich C eine Steuerbescheinigung ausstellen. Jetzt gibt C die Aktien wieder an A zurück. Alles ist wieder wie am Anfang – nur dass A und C sich Steuern erstatten lassen können, obwohl nur A tatsächlich welche gezahlt hat.

Was hat B von dem Deal? Als Investor verkauft er Papiere, die er noch nicht besitzt, sondern sich erst später am Markt besorgt. Sein Gewinn besteht darin, dass er die Aktien für weniger Geld einkauft als er sie vorher verkauft hat. Das Ganze ist also eine Wette auf die Entwicklung des Aktienkurses.

Was war Cum-cum? Hier geht es um Steuerersparnis, nicht mehr um doppelte Erstattung einer Steuer. Die Deals sind seit sechs Jahren nicht mehr attraktiv. Das Modell bis dahin: Ein ausländischer Aktionär verlieh ein Aktienpaket an eine deutsche Bank und kassierte dafür beispielsweise 90 Prozent der Ausschüttung als Gebühr. Die Bank erhielt die Dividende, zahlte darauf 25 Prozent Kapitalertragsteuer, die sie aber meist erstattet bekam. Ergo: Sie kassierte 100 Prozent Dividende, zahlte 90 Prozent Leihgebühr und verdiente zehn Prozent.

Der Anteilseigner aus dem Ausland kassierte 90 Prozent der Dividende und damit meist immer noch mehr, als wenn er als Aktionär mit Dividendenanspruch in Erscheinung getreten wäre. Dann hätte er nämlich 15 bis 25 Prozent Kapitalertragsteuer zahlen müssen – je nachdem, ob Deutschland und das Herkunftsland des Aktionärs ein Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen haben. Seit dem Jahr 2016 ist für solche Aktionäre eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer nur noch dann möglich, wenn sie die Aktie mindestens 45 Tage vor und nach dem jeweiligen Dividendenstichtag halten.

Wie hat die Justiz geurteilt? Das wichtigste Urteil in Bezug auf Cum-ex ist ohne Zweifel das des Bundesgerichtshofes aus dem Juli 2021 (Az.: 1 StR 519/20), in dem klar festgehalten wurde, dass Cum-ex-Geschäfte Steuerhinterziehung bedeuten und dass Gewinne daraus eingezogen werden können. Im Cum-ex-Komplex sind zahlreiche Strafverfahren vor deutschen Gerichten anhängig. Nach Angaben der Bürgerbewegung „Finanzwende“ liegen allein bei der Staatsanwaltschaft Köln, die demnach für die Mehrheit der Fälle zuständig ist, inzwischen über 100 Fallkomplexe mit mehr als 1400 Beschuldigten.

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