Interview mit Start-up-Investor Claas Heise „Für Schüler sollten Gründungen normal sein“

Interview | Düsseldorf · Claas Heise investiert für die NRW.Bank seit Jahren erfolgreich in Start-ups. Ein Gespräch über die Folgen der Geldflut durch US-Investoren, die neue Strategie der Förderbank – und die Frage, was NRW vom Silicon Valley lernen kann.

 Claas Heise leitet den Bereich Venture- und Seed-Capital bei der NRW.Bank

Claas Heise leitet den Bereich Venture- und Seed-Capital bei der NRW.Bank

Foto: NRW.Bank

Claas Heise hat für die Risikokapitaltochter der Telekom, T-Venture, im Silicon Valley nach Start-ups gesucht, seit 2008 kümmert er sich bei der landeseigenen NRW.Bank um den Bereich Risikokapital. Ein Gespräch über Gründerkultur, explodierende Bewertungen bei Start-ups – und die Frage, wie eine Förderbank in diesem Spiel dauerhaft konkurrenzfähig bleibt.

Herr Heise, im vergangenen halben Jahr ist gefühlt mehr Risikokapital in deutsche Start-ups investiert worden als früher in einem ganzen Jahr. In NRW kommt davon aber bislang kaum etwas an – oder täuscht der Eindruck?

Heise Die Summen sind in den vergangenen Jahren tatsächlich explodiert, weil auch immer mehr US-Investoren in Deutschland investieren. Momentan sieht man die Effekte überwiegend in Berlin und Bayern, weil die Start-up-Szene dort etwas reifer ist. Ich würde aber erwarten, dass die Volumen auch in NRW in zwei bis drei Jahren steigen, weil es dann mehr sogenannter Later-Stage-Investments, also Geld für reifere Start-ups, gibt.

Kann eine Förderbank noch mithalten, wenn Start-ups wie der Express-Lieferdienst Gorillas plötzlich ein Jahr nach Gründung mit mehr als einer Milliarde Euro bewertet werden?

Heise In NRW sehen wir dieses Niveau noch nicht. Aber klar haben die Veränderungen auch Folgen für uns. Ein Beispiel: Unser dritter Fonds hat ein Volumen von 100 Millionen Euro, die wir eigentlich über einen Zeitraum von fünf Jahren investieren wollten. Die Größen der Finanzierungsrunden sind aber so explodiert, dass wir das Geld schon ein Jahr früher investiert haben werden. Es ist klar, dass eine Förderbank nicht ohne weiteres einen 300- oder 500-Millionen-Fonds auflegen kann. Also müssen wir uns natürlich auch fragen, wie wir damit umgehen, wenn die Finanzierungsrunden steigen und welche Rolle wir zukünftig spielen wollen? Das ist übrigens eines der Themen, über die wir auch mit unserem neuen Venture Circle, einem Expertengremium, in den Austausch gehen wollen.

Und, zu welchem Ergebnis kommen Sie? Wird die NRW.Bank noch gebraucht?

Heise Daran habe ich keinen Zweifel. Die Corona-Pandemie ist jetzt nach dem Platzen der Internetblase rund um die Jahrtausendwende und der Finanzkrise 2008/2009 die dritte Krise, die ich als Wagniskapitalgeber erlebe. Eins hat sich jedes Mal gezeigt: Sobald eine Krise kommt, ziehen sich die ausländischen Kapitalgeber als erstes zurück. Das haben wir auch hier in Deutschland im zweiten Quartal 2020 gesehen. Da sind etliche Finanzierungsrunden von Start-ups in Deutschland plötzlich nicht mehr zustande gekommen. Und wie jedes Mal, ist so eine Krise immer die Zeit, wo man uns besonders braucht, und wo wir auch die Ärmel nochmal höher gekrempelt haben.

Sie wollen künftig unter der Marke „NRW.Venture“ auftreten und haben einige Abläufe innerhalb der Bank geändert, um schneller agieren zu können. In der Vergangenheit wurde aber auch diskutiert, den Risikokapital-Bereich völlig unabhängig aufzustellen. Wäre das aus Ihrer Sicht besser gewesen?

Heise Ich finde die jetzige Lösung absolut sinnvoll. Wir finanzieren uns beispielsweise als NRW.Bank selbst, das macht uns flexibler. Das wäre bei einer Ausgründung anders gewesen. Hinzu kommt, dass wir weiter eingebunden sind in die Infrastruktur der NRW.Bank und diese nicht für den Fonds selbst aufbauen müssen – das ist deutlich effizienter. Außerdem profitieren wir auch von den zahlreichen ergänzenden Finanzierungs- und Beratungsangeboten in unserem Wagniskapital-Bereich und können hier Synergien nutzen.

Gleichzeitig investieren Sie auch immer stärker in andere Fonds, zum Beispiel in Cusp Capital in Essen oder in Capnamic aus Köln. Machen Sie sich damit nicht selbst Konkurrenz?

Heise Überhaupt nicht. Erstens sind wir bei diesen Fonds immer nur ein Geldgeber von vielen. Selbst bei den Regionalfonds wie dem Gründerfonds Ruhr oder Neoteq Ventures im Rheinland liegt unser Anteil unter 50 Prozent. Und zweitens gibt es einen Trend zu starken Konsortien, bei denen sich mehrere Geldgeber an einem Start-up beteiligen. Wir profitieren daher sogar eher durch unsere guten Kontakte.

Sie haben lange im Silicon Valley gelebt, einer Art Gründer-Mekka. Was fehlt NRW aus Ihrer Sicht, um ein bisschen mehr Silicon Valley zu werden?

Heise Als ich im Silicon Valley gelebt habe, kamen die Kinder schon ganz früh mit Unternehmertum und Gründungen in Kontakt. Da gab es an den Schulen in praktisch jeder Klasse Schüler, deren Eltern ein Start-up gegründet haben, bei einem Wagniskapitalgeber arbeiten oder zumindest bei einem großen Digitalkonzern wie Hewlett-Packard, wo sie über Aktienoptionen so viel Geld verdient haben, dass sie nebenbei in Gründer investieren konnten. Auch für NRW würde ich mir wünschen, dass bereits Schüler so aufwachsen, dass Gründungen für sie normal sind.

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