Mehrweg contra Einweg Dauerstreit um die Verpackungssteuer

Düsseldorf · Seit Jahresbeginn müssen Gastronomen und Händler bei Essen zum Mitnehmen auf Wunsch der Kundschaft eine Mehrweglösung anbieten. Die Einwegsteuer, die die Umwelthilfe zusätzlich fordert, hat ein prominentes Vorbild.

 Wer Essen zum Mitnehmen anbietet, muss seit Jahresbeginn auch Mehrwegbehälter anbieten.

Wer Essen zum Mitnehmen anbietet, muss seit Jahresbeginn auch Mehrwegbehälter anbieten.

Foto: dpa-tmn/Hauke-Christian Dittrich

Boris Palmer hat schon mehr als einmal die Gemüter erhitzt – mit Aussagen über bahnfahrende Flüchtlinge ohne Fahrschein beispielsweise und über Werbekampagnen der Deutschen Bahn. Anfang des vergangenen Jahres hat Tübingens Oberbürgermeister die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gezogen, als die Stadt im gleichnamigen Landkreis in Baden-Württemberg eine Verpackungssteuer einführte. Seither werden auf jeden Einweggetränkebehälter sowie für jede Einwegspeiseverpackung jeweils 50 Cent fällig, für jedes Einwegbesteck-Set 20 Cent. Pro Bestellung wurde eine Deckelung von 1,50 Euro pro Mahlzeit beschlossen.

Kurz nach dem Start der neuen Mehrwegregeln für Handel und Gastronomie in Deutschland zitiert die Deutsche Umwelthilfe (DUH) das Beispiel Tübingen gern noch einmal, um ihren Forderungen nach einer zusätzlichen bundesweiten Einwegsteuer Nachdruck zu verleihen. Dass Restaurants, Lieferdienste und Caterer ihrer Kundschaft seit Jahresbeginn Mehrwegverpackungen anbieten müssen, wenn die Klientel Essen und Getränke mitnehmen oder sich liefern lassen will, genügt den Umweltschützern noch lange nicht. „Einweg muss benachteiligt werden“, sagte Thomas Fischer, Bereichsleiter Kreislaufwirtschaft bei der DUH, am Montag unserer Redaktion. Will sagen: Tübingens Modell soll Schule machen, am besten eine zusätzliche Einweggebühr von mindestens 20 Cent gesetzlich festgelegt werden.

Doch dazu besteht aktuell im zuständigen Ressort von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) noch wenig Bereitschaft. Die tendiert offenbar erst einmal dazu, das neue Verfahren zu testen, ehe schon wieder geändert wird. Probezeit also für die neuen Regeln, von der kleine Betriebe mit höchstens fünf Beschäftigten und maximal 80 Quadratmetern Verkaufsfläche ausgenommen sind. Andererseits müssen sie hinnehmen, wenn Kundinnen und Kunden ihre eigene Verpackung mitbringen und ihnen das Essen auf Wunsch in diese Behältnissen abfüllen. Das gilt auch für andere Handels- und Gastronomiebetriebe, unter denen so manchem die mitgebrachte Kundenschüssel und deren Befüllen vermutlich auch lieber ist als Mehrwegverpackungen, bei denen nicht sicher ist, wie viele Kunden diese tatsächlich wollen.

Die DUH fürchtet, dass bei der Klientel die einfache Lösung verfangen könnte. Die Vermutung: Solange man für Einweg nicht mehr zahlen muss, nehmen viele eben Einweg. Erst wenn der Kunde nachfragt, müssen Gastronomie und Handel handeln. Dann kann es bei Verstößen teuer werden. Bis zu 10.000 Euro Bußgeld könnten fällig werden. Zuständig für die Überwachung sind in Nordrhein-Westfalen die unteren Abfallbehörden der Landkreise und Städte.

Die Umwelthilfe hofft, dass das Beispiel Tübingen möglichst schnell bundesweit Geltung finden wird oder zumindest kommunale Nachahmer findet. Doch Städte wie Dortmund, die schon einmal Interesse an einer irgendwie gearteten Verpackungssteuer signalisiert haben, warten noch auf ein Urteil, das Rechtssicherheit geben könnte. In Tübingen hat nämlich eine Franchise-Nehmerin des amerikanischen Fastfood-Anbieters ­McDonald’s gegen die Steuer geklagt und vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim Recht bekommen. Der ließ dem Konzern das Recht auf sein Einweg-Geschäftsmodell mit der Begründung, dass die Bundesregierung für die Abfallvermeidung verantwortlich sei, und hat daher die Verpackungssteuer in Tübingen für unwirksam erklärt.

Aber: Das Mannheimer Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Boris Palmer und seine Mitstreiter sind dagegen in Revision gegangen. Bis dahin sind bundesweite Anpassungen der gerade erst eingeführten neuen Regeln kaum denkbar: Schon im August, nach dem zwischenzeitlichen McDonald‘s-Sieg vor Gericht, hatte eine Sprecherin des Bundesumweltministeriums gesagt: „Sobald die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vorliegt, wird das Bundesumweltministerium prüfen, inwieweit ergänzende kommunale Regelungen durch eine gesetzliche Regelung durch den Bund ermöglicht werden könnten.“ Bis zu einer Entscheidung des obersten Gerichts kann indes noch viel Zeit vergehen. Und im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien in Berlin steht nichts von einer bundesweiten Verpackungssteuer.

Dabei stellt die Sinnhaftigkeit der Bevorzugung einer Mehrwegverpackung wohl kaum jemand infrage. Für das Jahr 2019 (neue Zahlen wurden bisher nicht veröffentlicht) hat die Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM, Mainz) errechnet, dass jährlich etwa 2,7 Milliarden Einweg-Teller, 2,9 Milliarden Plastikbesteckteile und 4,5 Milliarden Einweg-Essensboxen verbraucht worden sind. Dass die Zahlen während der Pandemie eher gestiegen sind, liegt auf der Hand. Seitdem die Restaurants aber wieder geöffnet haben, dürften sie auch wieder gesunken sein.

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