Bundeskartellamts-Chef Andreas Mundt „Hohe Preise sind nicht verboten“

Interview | Düsseldorf · Der Kartellamts-Chef spricht über hohe Preise für Diesel und Benzin sowie Absprachen unter Digital-Konzernen. In 2023 rechnet die Behörde wieder mit viel mehr Strafen. Zudem wird geprüft, ob Energiepreise ungerechtfertigt erhöht wurden.

Bundeskartellamtschef Andreas Mundt sagt: „Aktuelle Preiserhöhungen spiegeln hauptsächlich Kostensteigerungen wider.“

Bundeskartellamtschef Andreas Mundt sagt: „Aktuelle Preiserhöhungen spiegeln hauptsächlich Kostensteigerungen wider.“

Foto: dpa/Oliver Berg

Herr Mundt, wie hohe Bußgelder hat das Kartellamt in 2022 verhängt?

Mundt In diesem Jahr haben wir rund 24 Millionen Euro Bußgelder wegen illegaler Kartellabsprachen verhängt.

2019 wurden noch Bußgelder in Höhe von 358 Millionen Euro festgelegt. Also gibt es immer weniger Preisabsprachen und andere Kartelle?

Mundt Nein. Die niedrigen Zahlen sind vielmehr Ausdruck der Tatsache, dass die Jahre der Pandemie die Kartellverfolgung auf allen Ebenen erschwert haben. Aber wir sind wieder auf dem Weg der Normalisierung. In diesem Jahr alleine haben wir 12 Durchsuchungsaktionen durchgeführt und wir haben 13 neue Kronzeugenanträge, also Hinweise auf Verstöße von einem Unternehmen, das an einem Kartell beteiligt war, erhalten. Im Gegenzug für diese Hilfe bei der Aufdeckung eines Kartells, kann dem Unternehmen das drohende Bußgeld erlassen werden.

Werden sogenannte Kronzeugen künftig neben dem Erlass der Bußgelder auch von Zivilklagen geschützt, damit mehr Firmen auspacken?

Mundt Das ist ein wichtiges Thema. Die Mitglieder eines Kartells werden neben der behördlichen Verfolgung inzwischen regelmäßig auch auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Dieses Risiko könnte das eine oder andere Unternehmen davon abhalten, sich bei uns zu melden, mit der Folge, dass das Kartell dann vielleicht gar nicht aufgedeckt wird. Natürlich sollen die Opfer eines Kartells für ihren Schaden voll entschädigt werden. Wir würden den Kronzeugen hier aber gerne gegenüber den anderen Kartellanten noch besserstellen, als es heute schon der Fall ist, um den Anreiz für eine Zusammenarbeit mit den Behörden hoch zu halten.

Und jetzt?

Mundt Das Thema ist sehr komplex, aber wir arbeiten daran auf der europäischen Ebene. Darüber hinaus machen wir große Fortschritte dabei, Kartelle durch Marktbeobachtung und digitale Analyseprogramme aufzuspüren. Außerdem funktioniert unser anonymes Hinweissystem sehr gut. 2022 haben wir zwei Verfahren auf der Basis von Hinweisen eröffnet, die uns über dieses System erreicht haben.

Großes Thema in diesem Jahr sind ja die massiv steigenden Preise - so hat auch NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) das Kartellamt aufgefordert, sich die explodierenden Preise für Baustoffe anzuschauen. Wie sehen Sie die Lage?

Mundt In fast allen Wirtschaftsbereichen sehen wir Preissteigerungen. Die Inflation ist überall spürbar, besonders bei den Energiepreisen. Wir leiden alle darunter. Aber man muss klarstellen, dass Inflation und selbst die sogenannten Mitnahmeeffekte im Kern kein kartellrechtliches Thema sind. Eine Wettbewerbsbehörde ist keine Preisbehörde. In einer Marktwirtschaft wird der Preis durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Um es klar zu sagen: Hohe Preise sind nicht verboten. Sie haben in unserer Wirtschaftsordnung auch eine steuernde Funktion: Sie sind Zeichen einer zeitweisen Knappheit und können eine Erhöhung des Angebots herbeiführen. Die Aufgabe des Bundeskartellamtes ist es, den Wettbewerb zu schützen, also illegale Absprachen und den Missbrauch von Marktmacht zu verfolgen und eine zu hohe Konzentration auf den Märkten zu verhindern.

Zwischen Juni und August sollten die Spritpreise stark sinken, weil die Bundesregierung ja mit dem Tankrabatt zeitweise die Mineralölsteuern gesenkt hatte, doch ganz so stark sackten die Preise dann doch nicht ab. Das hat Bürger empört. Was meinen Sie?

Mundt Wegen der hohen Bedeutung des Themas haben wir die Preisentwicklungen das ganze Jahr über sehr genau analysiert. Auffällig war insbesondere im Frühjahr, dass sich der Abstand zwischen den Tankstellen- und Raffineriepreisen zu den Rohölpreisen nachhaltig vergrößert hatte. Wir haben deshalb noch eine umfassende Untersuchung der Raffinerie- und Großhandelsebene eingeleitet. Wir haben unter anderem gesehen, dass sich die hohen Preise an der Tankstelle nicht allein auf Kostensteigerungen zurückführen lassen. Dem widersprechen schon die hohen Gewinne, die die meisten Mineralölkonzerne in dieser Zeit mit ihren Raffinerien gemacht haben. Ob das allerdings eine kartellrechtliche Relevanz hat, steht auf einem anderen Blatt. Und zum Tankrabatt: Der ist entgegen der Meinung vieler überwiegend weitergegeben worden.

Der ADAC meint, der Tankrabatt sei nicht weitergegeben worden.

Mundt Das ist natürlich ein komplexes Preisgeschehen. Aber nicht nur unsere Berechnungen, sondern auch verschiedene wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass der Tankrabatt überwiegend bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern angekommen ist. Es gibt viele Faktoren für die Preisentwicklung der vergangenen Monate. Knappheiten aufgrund der kriegs- und krisenbedingten Verwerfungen auf den Märkten spielen natürlich eine Rolle. Hinzu kamen zumindest zeitweise Sonderfaktoren, wie das Niedrigwasser auf dem Rhein und Raffinerieausfälle. Wenn die Nachfrage nach raffinierten Kraftstoffen steigt, führt dies zu steigenden Preisen. Aber wir werden die Raffinerie- und Großhandelsebene auch noch genauer untersuchen.

Es fällt auch auf, dass die Ölkonzerne die Preise fast wie abgesprochen gleichzeitig erhöhen.

Mundt Für Preisabsprachen der Mineralölgesellschaften untereinander gibt es bislang keine Anzeichen. Es gibt sicherlich strukturelle Probleme im Markt, wie zum Beispiel, dass einige Gesellschaften vom Bohrloch bis zum Zapfhahn auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette aktiv sind und dass eine hohe Markttransparenz auch auf der Raffinerie- und Großhandelsebene existiert. Es sind ja auch nicht viele Unternehmen, wir sehen eine Konzentration. Wir werden das wie gesagt noch weiter untersuchen. Nach geltender Rechtslage können wir aber nur einschreiten, wenn ein Anfangsverdacht auf ein kartellrechtswidriges Verhalten vorliegt. Dafür sind hohe Preise und hohe Unternehmensgewinne für sich genommen aber noch kein ausreichendes Indiz.

Was raten Sie uns Kunden?

Mundt Die Verbraucherinnen und Verbraucher halten am besten dagegen, indem sie die Preise an der Tanksäule mit Hilfe der Daten unserer Markttransparenzstelle vergleichen und gezielt die jeweils günstigste Tankstelle in der Gegend ansteuern. Das erhöht den Druck auf die teuren Anbieter.

Bei Strom- und Gaspreisen soll Ihre Behörde künftig teilweise den Markt kontrollieren. Wie soll das funktionieren?

Mundt Wir werden in konkreten Verdachtsfällen überprüfen, ob Energiepreise ungerechtfertigt erhöht wurden, also ob die Erhöhung missbräuchlich ist, weil ihr keine entsprechende Kostensteigerung gegenübersteht. Das ist eine sehr herausfordernde Aufgabe für unser Haus. Aber es ist natürlich auch eine sehr wichtige Aufgabe.

Warum?

Mundt Aufgrund der Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sind die Energiepreise in den vergangenen Monaten stark angestiegen. Viele Versorger müssen deshalb die Energie auch zu sehr hohen Preisen einkaufen. Aktuelle Preiserhöhungen spiegeln hauptsächlich diese Kostensteigerungen wider. Um dies abzufedern, stellt der Staat riesige Finanzmittel zur Entlastung von Verbraucherinnen und Verbrauchern und Industrie zur Verfügung. Wenn einzelne Unternehmen dies ausnutzen sollten, um höhere bzw. ungerechtfertigte staatliche Subventionen zu erlangen, müssen wir diese missbräuchlichen Verhaltensweisen verfolgen.

Die Grünen sagen, man solle die hohen Strompreise bekämpfen, indem man das Angebot von Wind- und Solarstrom erhöht, die FDP meint, man solle zu dem Zweck die Kernkraftwerke länger laufen lassen. Was meinen Sie?

Mundt Bundestag und Bundesregierung entscheiden über die deutsche Energiepolitik, nicht das Kartellamt, wobei der Ausbau der erneuerbaren Energien ja unstrittig ist. Aber grundsätzlich gilt natürlich, dass mehr Angebot zu niedrigeren Preisen führt.

Auch wegen des Atomausstiegs steigt die Bedeutung von RWE im Strommarkt immer weiter, weil speziell deren Braunkohlekraftwerke an Bedeutung gewinnen. Bereitet Ihnen das Sorge?

Mundt Durch die Energiewende und die Stilllegung von Kapazitäten bei der konventionellen Stromerzeugung befinden sich die Märkte seit Längerem im Umbruch. In den letzten Jahren ist der Konzentrationsgrad bei der konventionellen Stromerzeugung in Deutschland gestiegen, einige Stromerzeuger sind für die Deckung der Stromnachfrage in Deutschland zunehmend unverzichtbar. Nach unseren Ermittlungen lag RWE schon Ende des vergangenen Jahres über der Schwelle für eine marktbeherrschende Stellung.

Was hätte eine solche Einstufung für Folgen?

Mundt Ganz generell gilt, dass ein marktmächtiges Unternehmen seine Marktmacht nicht missbräuchlich ausnutzen darf. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Für einen marktbeherrschenden Energieerzeuger könnte es sich rechnen, einzelne Kraftwerke aus dem Markt zu nehmen, obwohl diese profitabel arbeiten, weil es noch gewinnbringender wäre, durch das Abschalten einzelner Anlagen den Strompreis so hochzudrücken, dass dann die verbliebenen Kraftwerke umso profitabler wären. Eine solche Kapazitätszurückhaltung könnte ein verbotener Missbrauch von Marktmacht sein.

Bis zum Ukraine-Krieg galt das Hauptaugenmerk des Kartellamts der immer größeren Marktmacht der Digitalkonzerne. Wie sieht die Lage aus?

Mundt Das steht natürlich nach wie vor ganz oben auf unserer Agenda. Es ist gut, dass wir seit Anfang 2021 mit der erweiterten Missbrauchsaufsicht arbeiten können. In diesem Jahr haben wir Verfahren gegen Meta, Amazon und Google abgeschlossen. Erste konkrete Verbesserungen für den Wettbewerb und die Verbraucherinnen und Verbraucher wurden erwirkt. Die laufenden Verfahren treiben wir mit hoher Priorität voran.

Gegen Amazon führen Sie zwei Verfahren?

Mundt Ja, Amazon ist ja nicht nur direkter Verkäufer von Produkten, sondern beeinflusst den Markt sehr viel weiter durch die hohe Bedeutung des Amazon-Marktplatzes. Darum prüfen wir, ob Amazon mit Markenherstellern wie Apple Vereinbarungen trifft, die unabhängige Händler beim Verkauf dieser Markenprodukte behindern.

Und im zweiten Amazon-Verfahren?

Mundt Wir untersuchen auch, inwieweit Amazon durch bestimmte Mechanismen Einfluss auf die Preissetzung von unabhängigen Händlern nimmt, die den Amazon-Marktplatz nutzen, um ihre Ware zu verkaufen.

Hier sehen wir eine Parallele dazu, wie Sie Amazon vor Jahren verboten haben, nur Händler in den Marktplatz aufzunehmen, die sich verpflichtet haben, ihre Preise bei Amazon nicht auf einer anderen Online-Seite zu unterbieten.

Mundt Es geht immer darum, den Missbrauch von Marktmacht zu verhindern. Dabei zeigt unser Erfolg gegen die sogenannte Best-Preis-Klausel, wie wir die internationale Praxis mit Entscheidungen in Deutschland beeinflussen können: Zuerst änderte Amazon damals die Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Deutschland, dann in vielen Ländern Europas, dann weltweit.

Einen vergleichbaren Domino-Effekt erhoffen Sie sich bei Ihrem Dauerbrenner Meta, den Sie seit 2019 dazu zwingen wollen, die Daten des reinen Netzwerkes Facebook nicht mehr mit denen der Ableger WhatsApp und Instagram sowie anderen Websites zusammenzuführen?

Mundt Ja, es lohnt sich, dicke Bretter zu bohren, obwohl ich mir über die große Macht von Konzernen wie Meta/Facebook, Google oder Amazon und Apple keine Illusionen mache. Aber wir sind beim Verfahren gegen Meta schon sehr weit gekommen. Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof hält unsere Linie für richtig. Wenn der EuGH das ähnlich sehen würde, wird sich das OLG in Düsseldorf festlegen müssen. Wenn dann eine Trennung der Daten für Deutschland durchgesetzt wird, hätte dies Signalwirkung. Und da wir nach dem neuen Gesetz solche Verfahren künftig direkt vor dem Bundesgerichtshof austragen, werden wir also deutlich schneller.

Reinhard Kowalewsky und Maarten Oversteegen führten das Gespräch

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