Nils Petersen kämpft um sein WM-Ticket Der Überraschungsgast

Düsseldorf/Eppan · Nils Petersen kämpft im DFB-Trainingslager um sein Ticket für die WM in Russland. Der Freiburger Stürmer kann mit Talenten aufwarten, die Bundestrainer Joachim Löw besonders schätzt.

 Nils Petersen (rechts) im Zweikampf mit Julian Chabot (U20, l.).

Nils Petersen (rechts) im Zweikampf mit Julian Chabot (U20, l.).

Foto: dpa/Markus Gilliar

Nils Petersen mochte mal Grillwürstchen lieber als Fußbälle. Das hat er vor ein paar Jahren der „Berliner Zeitung“ verraten. Dem Blatt erzählte er diese Es-war-einmal-Geschichte: Es war einmal ein vierjähriger Junge, dessen Vater ein bekannter Fußballtrainer im Harz war. Am Sonntag nahm der Vater den Kleinen gern mal mit zum Fußballspiel. Eines Tages war der Filius nach dem Schlusspfiff nahezu unauffindbar. Erst am Grillstand endete die unverzüglich eingeleitete Fahndung. „Das Spiel“, sagte Petersen junior, „interessierte mich null, die Stadionbratwurst umso mehr.“ So kam es, dass der kleine Junge in den nächsten Jahren ein paar Pfund zu viel spazieren führte. Selbst dann noch, als das Spiel in mehr zu interessieren begann. Als nicht zuletzt Vater Andreas erkannte, dass sich in der Familie ein talentierter Stürmer befand, kamen die Berufungen in Auswahlmannschaften, kamen die Angebote der großen Klubs. Dafür gingen die Pfunde.

Heute ist Nils Petersen 29 Jahre alt, schlank wie eine Tanne in seiner Heimat und die große Überraschung in Joachim Löws vorläufigem WM-Aufgebot. Der spätberufene Angreifer kommt mit der Empfehlung, für das Bundesliga-Mauerblümchen SC Freiburg in dieser Saison stolze 15 Tore erzielt zu haben. Und er steht nicht in dem zweifelhaften Ruf, das überall herumzuposaunen. „Nils ist der Traum jedes Trainers“, sagte sein Vater dem Magazin „11 Freunde“, „er motzt nie. Aber er hat keine Ellbogen – das ist seine Schwäche.“

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Den ganz großen Wurf hat diese Schwäche bislang verhindert. Nach logischen Stationen bei Carl Zeiss Jena und Energie Cottbus verhob sich Petersen junior bei den großen Bayern. Er machte nur neun Bundesliga-Spiele in München, an Mario Gomez kam er nicht vorbei. Petersen zog klaglos zu Werder Bremen weiter, schoss in 68 Spielen immerhin 18 Tore, aber er landete auch dort auf der Ersatzbank. Selbst in Freiburg, wo ihm die Fans sicher bald die Ehrenmitgliedschaft antragen werden, weil er selbst nach dem zwischenzeitlichen Abstieg in die zweite Liga blieb, war er häufig der Joker. Mit dieser Rolle kam er allerdings bestens klar, weil er ein Mannschaftsspieler ist und nicht lange schmollt, wenn er nicht zur ersten Elf gehört. 20 Treffer gelangen ihm nach Einwechslungen - das ist ein Bundesliga-Rekord.

Auch dieses Talent mag Löw bewogen haben, Petersen bei der Nominierung wie das sprichwörtliche Kaninchen aus dem Zylinder gezogen zu haben. „Nils Petersen ist ein sehr interessanter Spielertyp“, sagt der Bundestrainer. Der Stürmer braucht im Spiel offenbar keine Anlaufzeit, das könnte auch bei der Auswahl der 23 Russland-Fahrer eine entscheidende Rolle spielen.

In Löws Kosmos könnte er die Stelle bekleiden, die nach dem verletzungsbedingten Ausfall des Mönchengladbacher Allrounders Lars Stindl frei geworden ist – die eines zweiten Stürmers, dessen angestammter Lebensraum nicht allein der Strafraum ist. Tatsächlich muss Petersen bei Freiburg auch außerhalb des Rechtecks vor dem Tor vorkommen, weil der Sportclub notgedrungen nicht zu jenen Teams gehört, die ihre Gegner in deren Spielhälfte einschnüren und deshalb viele Strafraumszenen haben. Petersen muss sich in Freiburg den Ball schon mal holen, und im Breisgau hat er gelernt, auf wenige Möglichkeiten schnell und entschlossen zu reagieren.

In direkte Konkurrenz zu den Stürmern Timo Werner und Mario Gomez wird er wohl nicht treten. Beide haben andere Vorzüge. Werner lebt von seiner ungeheuren Geschwindigkeit, sein eingeübter Weg ist der vom linken Flügel vors Tor. Gomez ist der klassische Strafraumstürmer, der Zuarbeit von den Außenpositionen benötigt. Beide sind in ihrer Spielweise so unterschiedlich, dass Löw sie sehr wahrscheinlich beide berufen wird.

Für Petersen spricht, dass er wiederum ein anderer Fußballertyp ist. Und für ihn spricht, dass er überhaupt keine große Klappe hat. Ganz anders als Bayern Münchens Stürmer Sandro Wagner, der auf seine Nichtnominierung mit einem lächerlichen Theaterdonner und dem Rücktritt aus der Nationalmannschaft reagierte. Dergleichen ist von Petersen nicht zu erwarten, wenn er auf der Streichliste landet.

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