„All or nothing“ Warum die WM-Doku von Amazon für den DFB zur Unzeit kommt
Meinung | Düsseldorf · Am 8. September startet eine Dokumentation über das Fußball-Nationalteam bei der WM in Katar. Exklusive Bilder zerstrittener Profis und ratloser Verantwortlicher dürften allerdings kaum dazu taugen, Vorfreude auf die Heim-EM 2024 zu entfachen. Ein PR-Malheur.
Es hätte alles schon schön sein können. Ja, perfekt. Ein PR-Coup mit fünf Sternchen. Die deutsche Fußballnationalmannschaft gewinnt am 18. Dezember in Katar zum fünften Mal den WM-Titel. Und ein Dreivierteljahr später kommt die TV-Dokumentation auf den Markt, die den Fans einen unvergesslichen Blick hinter die Kulissen des WM-Triumphs bietet. Wie Sönke Wortmanns Film zum Sommermärchen 2006. Mindestens.
Nun ist die WM tatsächlich ein Dreivierteljahr her, und am 8. September kommt auch tatsächlich eine Dokumentation heraus, die die DFB-Auswahl bei der WM in Katar ungeschminkt zeigt. Doch genau das ist das Problem. Deutschland wurde bekanntlich nicht Weltmeister, sondern schied kläglich in der Vorrunde aus. Und aus dem PR-Coup mit fünf Sternchen wird so ein PR-Desaster. Just in einer Zeit, in der das Nationalteam mit der Außendarstellung seiner Oberen und den gezeigten Nicht-Leistungen in den Testspielen des laufenden Jahres den Eindruck erweckt, sich sorgfältig immer weiter von der Weltspitze zu entfernen, zeigen exklusive TV-Bilder das Vergeigen einer WM in Reinform.
Gemach, wird jetzt mancher sagen. Es ist erst nur ein Trailer. 1:44 Minuten lang. Und natürlich sind die Ausschnitte zugespitzt, das ist das Wesen eines Trailers. Lust machen soll er ja. Auf das Ganze, den ganzen Film, die ganze Doku. Aber deswegen alles aus dem Zusammenhang gerissen? Alles ein Missverständnis? Dafür fehlt der Glaube.
Denn was in diesen knapp 100 Sekunden bildstark und tonstark geboten wird, bestärkt all die in ihrer Meinung, dass der Fehler im System DFB und im System Nationalmannschaft schwer zu finden sein wird, solange man nicht einsehen will, dass das System der Fehler ist. Ein System, in dem man hochbegabten Spielern offenbar Hochnäsigkeit durchgehen lässt. Da zofft es hier zwischen Antonio Rüdiger und Joshua Kimmich, da zwischen Rüdiger und Goretzka. Niklas Süle begegnet Kritik mit einem patzigen „Laber mich nicht voll, ich sag es dir“. Aus dem Off wird die Frage aufgeworfen, wo „dein Anspruch“ bleibt. Flick poltert: „Ich glaube, es geht los hier, wir spielen eine Weltmeisterschaft.“ Und der damalige DFB-Manager Oliver Bierhoff fragt in die Kamera: „Was ist bloß mit dieser Mannschaft los?“ Natürlich muss die Serie erst geguckt werden, so wie jedes Spiel erst gespielt werden muss. Aber dass sie positive Effekte haben wird, darf zumindest bezweifelt werden.
Wenn die Serie am 8. September herauskommt, sind es noch knapp neun Monate bis zum Start der Heim-EM. Von Aufbruchsstimmung ist nichts zu spüren. Bundestrainer Hansi Flick durfte nach der WM weitermachen, blieb bislang ein sichtbares Konzept für den Neustart schuldig und echauffierte sich erst neulich übellaunig über die Kritik im Land nach den ausbleibenden Leistungen und Ergebnissen in den drei Freundschaftsspielen im Juni.
Unter dem Strich muss man sich fragen: Was hat den DFB bewogen, Amazon zuzugestehen, im Rahmen seiner beliebten „All or Nothing“-Sportdokureihe das Nationalteam in Katar zu begleiten? Dass alle anderen Sportarten im Moment auch ihre Hochglanz-Dokus haben? Unter dem Strich gibt es nur zwei Antworten. Beide sind für den Verband wenig schmeichelhaft. Entweder brauchte der finanziell nicht länger auf Rosen gebettete DFB schlichtweg das Geld oder es herrschte ganz einfach die Chuzpe vor, man werde schon weit kommen und habe dann im folgenden September tolle Bilder und Gänsehautmomente für die Fans mit Blick auf das nächste Sommermärchen 2024. Misserfolg ausgeschlossen. Ausgeblendet.
Die Testspiele gegen Japan (9. September) und Frankreich (12. September) stehen quasi vor der Tür. Es sind Endspiele für die Aufbruchsstimmung. Und wer das Gute an dieser Doku sehen will, der landet unweigerlich bei der Feststellung, dass diese TV-Bilder es dem DFB schwermachen, weiter alles kleinzureden, zu leugnen oder zu kontern, was schiefläuft. Die Doku zwingt den Verband fast schon zu einer ehrlicheren Außendarstellung. Und das könnte tatsächlich der erste Schritt zur Besserung sein.
Vielleicht sogar hin zu ein bisschen EM-Vorfreude.