Interview mit Ursula von der Leyen “Der IS ist noch nicht vollständig besiegt“

Berlin · Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) spricht im Interview über den Rückzug der Amerikaner aus Syrien, die Berateraffäre in ihrem Haus und den Personalmangel bei der Bundeswehr.

 Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) Ende Oktober vor deutschen Soldaten bei dem Nato-Manöver Trident Juncture (Archiv).

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) Ende Oktober vor deutschen Soldaten bei dem Nato-Manöver Trident Juncture (Archiv).

Foto: dpa/Kay Nietfeld

War es rückwirkend schlecht, so viele Berater ins Haus zu holen?

von der Leyen Wenn wir wichtige Projekte der Modernisierung und Digitalisierung im notwendigen Tempovorantreiben wollen, brauchen wir auch Beratung und Unterstützung von externen Fachleuten. Das ist auch im Grundsatz vom Rechnungshof unbestritten. Wir bauen zum Beispiel eine komplette neue IT-Architektur über die gesamte Struktur der Bundeswehr, vom militärischen Gefechtsstand in Mali über sichere Datenkommunikation bis hin zum Bürorechner im Ministerium und neuen Rechenzentren und Versorgungskonzepten. Keine Organisation schafft solch eine Mammutaufgabe aus eigener Kraft. Für die Bundeswehr birgt das große Chancen.

Welche zum Beispiel?

von der Leyen Nehmen sie etwa die Digitalisierung unseres Ersatzteilmanagements: Da werden wir künftig die Ersatzteile zeitgenau beschaffen können, weil Sensoren die Abnutzung bereits im laufenden Betrieb eines Fahrzeuges weitergeben. Das erhöht die Einsatzbereitschaft.

Trotzdem waren 55 Prozent der Berater-Verträge rechtswidrig.

von der Leyen Die hohe Quote an Vergaberechtsfehlern in der untersuchten Stichprobe wird zu Recht kritisiert. Das hätte einer Verwaltung nicht passieren dürfen; da haben Qualitätskontrollen versagt. Es hatte sich Laxheit im Umgang mit einem Rahmenvertrag eingeschlichen. Der war zwar für IT-Leistungen von IBM-Software zugelassen aber nicht für andere Zwecke. Der Großteil der Beratungsleistungen wird rechtmäßig abgerufen, im Volumen machen sie auch nur einen Promille-Anteil am Verteidigungsetat aus.

Können Sie Vetternwirtschaft bei den Beraterverträgen ausschließen?

von der Leyen Es gibt Kenn-Verhältnisse. Die geben natürlich einen unschönen Anschein. Deswegen muss selbstverständlich genau geprüft werden, ob diese Verhältnisse irgendeinen Einfluss auf die Leistung und die Konditionen hatten. Was wir bisher wissen, ist, dass es sich um anerkannte Fachleute handelte, die zu marktüblichen Preisen für die Bundeswehr gute und notwendige Leistungen erbracht haben. Für mehr fehlt trotz intensiver Nachforschungen immer noch jeder handfeste Beweis.

Wer ist für die Fehler verantwortlich?

von der Leyen Ganz grundsätzlich: Ich trage immer die politische Gesamtverantwortung für alles, was in der Bundeswehr mit ihren 250.000 Menschen passiert. Die allermeisten Beamten und Soldaten kennen ihre Verantwortung sehr gut und handeln vorbildlich. Ich kann aber gut verstehen, dass die Opposition von ihrem Minderheitenrecht Gebrauch machen will, um in einem Untersuchungsausschusss die Zeugen auch noch persönlich zu befragen. Der sollte dann möglichst öffentlich tagen, dass volle Transparenz herrscht und sich jeder ein eigenes Urteil bilden kann, was an den Vorwürfen dran ist.

Im Mittelpunkt der Pannen steht das Beschaffungsamt der Bundeswehr in Koblenz. Klagen der schleppenden Beschaffung haben Tradition. Wird das Beschaffungsamt irgendwann fit genug für seine Aufgaben sein?

von der Leyen Ich will für die Beschäftigten dort unbedingt eine Lanze brechen. Diese Organisation ist 2012 neu aufgestellt worden und hat einen gewaltigen Modernisierungsschwung in den letzten Jahren mitgemacht und das Auftragsvolumen verfünffacht. Das ist eine große Leistung, die niemand kleinreden sollte. Das Amt schließt jedes Jahr rund 10.000 Verträge. Dass im Detail Fehler gemacht wurden, ist nicht in Ordnung, das ändert aber nichts an der ausgesprochen guten Gesamtbilanz. Wichtig ist, dass wir Fehlerquellen konsequent abstellen und Schritt für Schritt besser werden.

Was bedeutet der Rücktritt von US-Verteidigungsminister Mattis für die Verbündeten der USA?

von der Leyen Ich bedaure den Rückzug von Jim Mattis sehr. Er ist ein hervorragender Kenner unseres NATO-Bündnisses und ein Freund der Europäer. Seine kluge, bedachte und verlässliche Art, hat in den vergangenen zwei Jahren auf vielen kritischen Feldern, auf denen wir mit den USA eng zusammenarbeiten, enorm geholfen. Wichtig ist jetzt, dass wir schnell Klarheit über den künftigen Kurs bekommen und die anstehenden Schritte im Bündnis besprochen werden.

Wie verändert der angekündigte Abzug der Amerikaner aus Syrien und der Rücktritt von Mattis den dortigen Bundeswehreinsatz?

von der Leyen Wir engagieren uns in Syrien und Irak ja in einer breiten Allianz gegen den IS-Terror. Wir stehen dort auch zusammen mit vielen befreundeten europäischen Nationen und Ländern der muslimischen Welt, die ein Wiederaufflammen des IS-Terrors unbedingt verhindern wollen. Im Kreis der Verbündeten herrscht Einigkeit darüber, dass der IS leider noch nicht vollständig besiegt ist. Dazu kommt, dass die USA bisher noch niemandem erläutert haben, wie weitgehend die Pläne für Syrien sind. Das Bundeswehrmandat ist daher erst einmal nicht betroffen. Es gibt weiterhin Bedarf an der Betankung alliierter Jets und den Aufklärungsbildern unserer Tornadosinsbesondere von IS-Verstecken in den Weiten der irakischen Wüste.

Können Sie sich vorstellen, dass sich Deutschland nach einem Friedensvertrag in Syrien an einem Stabilisierungseinsatz beteiligt?

von der Leyen Eine Friedenslösung für Syrien muss beinhalten, dass alle Parteien einbezogen sind. Und es muss auch geklärt sein, wie eine Waffenruhe eingehalten wird und die Menschen in ihre angestammten Gebiete zurückkehren können. Die Vereinten Nationen bemühen sich sehr um eine Lösung. Aber wann die kommt und wie sie aussieht, steht heute noch völlig in den Sternen. Deswegen werde ich auch nicht spekulieren.

Wie ist denn aktuell die Bewerberlage bei der Bundeswehr? Reicht sie quantitativ wie qualitativ für die Einsätze aus?

von der Leyen Wir sind stolz darauf, was wir in einem herausfordernden Umfeld schaffen, obwohl die Wirtschaft brummt und auch viele qualifizierte Mitarbeiter braucht. 75 Prozent der Truppe haben Mittlere Reife und höhere Abschlüsse, unter den Freiwillig Wehrdienstleistenden sind sogar mehr als 40 Prozent Abiturienten. Wie alle anderen Konkurrenten aus der Wirtschaft suchen wir aber händeringend nach Technikern, Naturwissenschaftlern, IT-Spezialisten. Gut ist, dass wir endlich wieder wachsen. Wir erreichen am Ende dieses Jahres die Marke von 182.000 Soldatinnen und Soldaten, das sind 2500 mehr Zeit- und Berufssoldaten als noch vor einem Jahr und ein Plus von 6500 gegenüber dem Tiefststand 2016.

Wie groß sollte die Bundeswehr noch werden? Wie viele Soldaten wären optimal?

von der Leyen Das ist abhängig von der Sicherheitslage und den daraus folgenden Aufgaben für die Truppe. Die aktuelle mittelfristige Personalplanung sieht vor, dass wir bis bis 2025 die Zahl von 203.000 Soldaten erreichen wollen, darunter viele neue Kräfte etwa für die Cybersicherheit oder Projekte im Rahmen der Europäischen Verteidigungsunion.

Wie steht es mit den Frauen beim Bund?

von der Leyen Wir haben mit 22.000 Frauen einen neuen Höchststand erreicht, das sind zwölf Prozent. Mich freut vor allem, dass die Frauen bei der Bundeswehr Karriere machen wollen. Bei den Bewerbungen haben wir den höchsten Frauenanteil für die Offizierslaufbahn. 2017 kam noch jede vierte Bewerbung für die Offizierlaufbahn von einer Frau, in diesem Jahr bereits jede dritte. Das ist klasse.

Von einzelnen Bundeswehrangehörigen, von Angehörigen auch der Sicherheitsbehörden, hört man immer wieder, dass sie in rechtsextreme Netzwerke verstrickt sind. Welche Erkenntnisse haben Sie in dem Zusammenhang im Fall „Hannibal“, einem Elitesoldaten, der ein rechtsextremes Netzwerk aufgebaut haben soll?

von der Leyen Die aktuellen Ermittlungen laufen zum Großteil über Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Generalbundesanwalt. Die sagen in Übereinstimmung mit dem Militärischen Abschirmdienst, dass sie bislang keine belastbaren Hinweise auf ein rechtsextremes Netzwerk in der Bundeswehr haben. Es ist aber richtig, jedem neuen Hinweis sorgfältig nachzugehen. Jeder Soldat, der den Boden der Verfassung verlässt, schädigt nicht nur den Ruf, sondern auch Kampfkraft und Moral der Truppe. Das ist das Schlimme.

Wie schützen sie sich vor Extremisten in den Reihen der Bundeswehr?

von der Leyen Seit Juli 2017 überprüfen wir alle Männer und Frauen, die neu zur Bundeswehr kommen wollen. 16.000 angehende Soldatinnen und Soldaten sind schon überprüft worden. 20 von ihnen sind vor Dienstantritt ausgefiltert worden. Mit Blick auf die aktive Truppe kam der MAD im Schnitt in vier von rund 300 untersuchten Verdachtsfällen pro Jahr zu der Bewertung, dass bei Soldaten eine rechtsextremistische Haltung vorliegt. Die haben dann keinen Platz mehr in der Bundeswehr.

Wie peinlich war es Ihnen, dass die Kanzlerin nicht pünktlich zum G20-Gipfel nach Argentinien reisen konnte?

von der Leyen Das war quälend. Ich habe die Gefasstheit der Kanzlerin bewundert, mit der sie die Tatsache aufgenommen hat, dass sie am nächsten Tag mit einer spanischen Airline zum G20-Gipfel reisen musste.

Welche Konsequenzen ziehen Sie?

von der Leyen Innerhalb des Kabinetts haben wir jetzt geklärt, dass wir für solche wichtigen internationalen Termine die Flotte aufstocken müssen. Zwei Flugzeuge für Langstreckenflüge, die 18 und 19 Jahre alt sind, sind zu wenig. Ich möchte dennoch die Flugbereitschaft der Bundeswehr in Schutz nehmen. In den vergangenen zwei Jahren sind von mehr als 1600 Flügen nur 18 wegen technischer Probleme ausgefallen. Wir werden nun ein oder zwei neue Flieger für die Langstrecke anschaffen, die dann bei wichtigen internationalen Terminen auch mit Ersatzcrews zur Verfügung stehen sollen.

Wann werden Sie besser ausgestattet sein?

von der Leyen Dafür müssen wir jetzt erst einmal die Verhandlungen führen, ab wann welche Flugzeuge zur Verfügung stehen könnten und ob wir kaufen oder leasen.

Wie gespalten ist die CDU nach der Vorsitzenden-Wahl?

von der Leyen Ich nehme die Partei nicht als gespalten wahr. Vielmehr haben die acht Wochen vor dem Parteitag gezeigt, dass das Herz der CDU kräftig schlägt. Durch die drei Kandidaten wurde die ganze Bandbreite der Partei sichtbar. Diese Bandbreite brauchen wir, um wieder über 40 Prozent zu kommen. Wer breit aufgestellt sein will, muss auch kontroverse Debatten wertschätzen, um die beste Lösung zu erarbeiten. Das ist Volkspartei. Ich freue mich über die Bereitschaft von Friedrich Merz, in der Partei weiter mitzuarbeiten.

Sollte Friedrich Merz ins Kabinett gehen?

von der Leyen Der Regierungssprecher hat dazu das Entscheidende gesagt.

Er hat gesagt, dass die Kanzlerin keine Kabinettsumbildung plant.

von der Leyen Es ist vor allem wichtig, dass sich Friedrich Merz mit seinen Positionen in der Partei einbringt. In welcher Form das geschehen soll, muss er mit der Parteivorsitzenden klären.

Hat der CDU-Parteitag die richtige Entscheidung getroffen, als er Kramp-Karrenbauer zur neuen Vorsitzenden gewählt hat?

von der Leyen Ja. Sie hat auf ihrem Weg viel Mut, Geschick und Ausdauer bewiesen. Sie kann glaubwürdig für die Zukunft der CDU als breit ausgreifende Volkspartei stehen.

Ist die neue CDU-Chefin kanzlertauglich?

von der Leyen Sie ist Parteivorsitzende. Der im fairen Wettstreit erkämpfte Aufstieg in diese Position impliziert, dass man fähig sein muss, Kanzlerin zu werden. Für die nächste Kanzlerkandidatur hat sie die Pole-Position.

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