Kritik an Faesers Kandidatur Es lebe der Wahlkampf

Meinung · Der SPD-Politikerin Nancy Faeser wird vorgeworfen, sie vernachlässige ihr wichtiges Amt, weil sie Wahlkampf als Innenministerin macht. In einer Demokratie sollten aber andere Maßstäbe gelten.

 Bundesinnenministerin Nancy Faeser beim Hessengipfel der Sozialdemokraten in Friedewald.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser beim Hessengipfel der Sozialdemokraten in Friedewald.

Foto: dpa/Boris Roessler

Es stimmt: Der Kanzler und seine Ministerinnen und Minister haben den Eid geschworen, ihre ganze Kraft „dem Wohle des deutschen Volkes“ zu widmen. Ein Ministeramt ist also kein Teilzeitjob, wie ein Unions-Abgeordneter kritisch anmerkte, als die Chefin des Innenressorts, Nancy Faeser (SPD), ihre Kandidatur für den Posten der hessischen Ministerpräsidentin ankündigte, jedoch gleichzeitig ihre bisherige Aufgabe weiterführen will. Nimmt sie es folglich mit ihrem Amtseid nicht so genau?

Hinter dieser Kritik an Faeser steht ein eigenartiges Politikverständnis. Das zeigten freilich auch die Sozialdemokraten im umgekehrten Fall, als die Kandidatur des früheren Bundesumweltministers Norbert Röttgen (CDU) für das Amt des NRW-Ministerpräsidenten rüffelten. Ministerämter werden in Deutschland gern überhöht. Es wird so getan, als ob der Ressortchef des Inneren oder der Finanzen, um zwei der wichtigsten Ministerien zu nennen, sowohl Experte in seinem Fach sein muss, als auch stets seine ganze Aufmerksamkeit der Verwaltung seiner Behörde zu widmen hat. Da bleibt für Wahlkampf wenig Zeit. Denn nach dieser Lesart ist der Kampf um Stimmen bestenfalls zweitrangig im Verhältnis zur Führung des Amtes.

In einer Demokratie sollten aber andere Maßstäbe gelten. Wahlkampf bedeutet das Ringen um die Gunst des wahren Souveräns, des Bürgers und der Bürgerin. Er oder sie verteilen das Mandat – und zwar auf Zeit. Nach diesem Konzept ist der Wahlkampf wichtiger als das Amt. Es geht nämlich darum, die Wählerschaft von einer bestimmten Politik zu überzeugen, die dann von Experten, den Beamtinnen und Beamten, so effizient wie möglich umgesetzt wird.

Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat es zu einer Zeit, als er noch nicht von seinem russischen Freund Wladimir Putin mit guten Jobs versorgt wurde, prägnant auf den Punkt gebracht. Die Regierung, so Schröder in seinen Erinnerungen, könnten auch fähige Staatsdiener führen, der Politiker oder die Politikerin bewähren sich im Wahlkampf. Der Erfolg in der demokratischen Abstimmung setzt den Wert und die Macht einer politischen Persönlichkeit fest.

Natürlich sind Fähigkeiten bei der Führung eines Ministeriums wichtig. Dazu gehören Menschenkenntnis, schnelle Auffassungsgabe, die Kunst des Delegierens und Durchsetzungsfähigkeit. Wenn jemand Verwaltungserfahrung hat, hilft das an der Spitze des Ressorts. Aber begnadete Persönlichkeiten können auch die Führung ihres Hauses an einen starken und loyalen Staatssekretär abgeben und sich ganz um das demokratische Werben für die eigenen Ideen kümmern.

Oft wird davon gesprochen, dass in modernen Demokratien permanenter Wahlkampf herrscht. Das ist gar nicht so verkehrt, sofern es nicht nur um oberflächliche Auftritte und Show-Gehabe geht. Der Kontakt zu den Menschen ist wichtig, um bodenständig und demütig zu bleiben. Zugleich reicht die Konzentration auf die zentralen Vorhaben und Wahlkampfversprechen, um bei der Wählerschaft glaubhaft zu bleiben.

Bundesministerin Faeser hat also recht, wenn sie sich als Ressortchefin um den neuen Posten bemüht, genauso wie Amtsinhaber Boris Rhein. Ob sie gut beraten ist, im Falle einer Niederlage Ministerin zu bleiben, steht auf einem anderen Blatt. Da geht es ihr doch eher um einen gut bezahlten und wichtigen Posten, als um die Umsetzung eines Programms, für das sie ein Mandat des Wählers hat und für das sie bereit ist, Risiken einzugehen.

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