Antisemitismus in der Kulturszene Der Streit Claudia Roths mit dem Zentralrat der Juden

Berlin · Kritiker werfen Kulturstaatsministerin Claudia Roth vor, den Kampf gegen den Antisemitismus herabzustufen. Vor allem wenn es um jenen von Künstlern aus muslimischen Ländern geht.

 Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) auf einer Pressekonferenz in Berlin.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) auf einer Pressekonferenz in Berlin.

Foto: dpa/Monika Skolimowska

In der Hauptstadt macht gerade eine Personalie die Runde, die der grünen Kulturstaatsministerin Claudia Roth gehörig auf die Füße fallen könnte. Es geht um nichts Geringeres als den Vorwurf, ausgerechnet die Politikerin, die das Gewissen der Grünen-Partei bildet, nehme den Kampf gegen den Antisemitismus nicht allzu ernst. Vor allem dann, wenn es um antijüdische Vorurteile in der Kunstszene oder um Gruppen geht, die gegen Israel hetzen.

Doch der Reihe nach. Die Bundesbeauftragte für Kultur hatte vor Kurzem das Doppelreferat Kulturelle Bildung und Antisemitismus-Prävention in ein einfaches Referat umgewandelt. Dabei wanderte der Posten des Antisemitismusbeauftragten in ein anderes Referat, das sich mit Erinnerungskultur in einer modernen Einwanderungsgesellschaft befasst. Besetzt wird die Aufgabe mit einer Referentin, nicht mehr wie bisher mit einem Referatsleiter. Gleichzeitig verliert der bisherige Referatsleiter Hagen Philipp Wolf, der frühere Sprecher der Roth-Vorgängerin Monika Grütters (CDU), seinen Posten.

Beim Zentralrat der Juden in Deutschland war man über diese Umgruppierung und Personalie nicht allzu glücklich. Sie gilt als Abschwächung der Aufgabe. Zudem galt Wolf als kompetenter Beamter in Sachen Antisemitismus und als aktiver Kämpfer gegen Judenhass. Beim Zentralrat genießt er ein hohes Ansehen. „Wir waren über diese inhaltliche Umstrukturierung nicht informiert. Uns überrascht das schon etwas“, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster der „Bild“-Zeitung. Zugleich warnte er: „Das vergangene Jahr sollte gezeigt haben, dass gerade im Kulturbetrieb insbesondere Antisemitismus-Prävention kein zu vernachlässigendes Thema ist.“

Hintergrund der neuen Unstimmigkeit zwischen Roth und Zentralrat ist der Skandal auf der vornehmlich staatlich finanzierten Kunstausstellung „documenta 15“, auf der Bilder von Künstlerkollektiven gezeigt werden sollten, auf denen Juden in unseliger mittelalterlicher Tradition als Schweine mit Geldsack dargestellt wurden, die auf Palästinenser schießen. Eindeutig antisemitische Klischees. Eines der Bilder wurde nach Protesten verdeckt. Dem Hause Roth und insbesondere Staatssekretär Andreas Görgen wurde vorgehalten, auf Vorab-Hinweise nicht reagiert zu haben. Erst als die Bilder öffentlich zu sehen waren, distanzierte sich Roth – allerdings unmissverständlich und deutlich – von den antisemitischen Darstellungen.

Welche Rolle Roths nun abgelöster Antisemitismus-Beauftragter in diesem Zusammenhang spielte, ist unklar. Im Hause hieß es, er habe sich nicht immer loyal zur Ministerin verhalten – weder während des Documenta-Skandals noch danach. Ob es allerdings nur eine interne Umgruppierung eines illoyalen Beamten ging, bleibt offen. Denn Roth bietet durchaus Angriffsflächen, wenn es um Antisemitismus von Gruppierungen aus muslimischen Entwicklungsländern oder Palästina geht. So ist die Haltung Roths zur israelfeindlichen Kampagne Boykott Desinvestitionen Sanktionen (BDS) zumindest umstritten. Diese Vereinigung will israelische Künstler oder Wissenschaftler von internationalen Veranstaltungen ausschließen und verneint indirekt das Existenzrecht des jüdischen Staats. Der Bundestag hat BDS als antisemitisch eingestuft – mit der Gegenstimme Roths. Die Grünen-Politikerin hält die Organisation nach Worten ihres Sprechers ebenfalls für tendenziös und hassgetrieben. Sie will aber nicht die ganze Institution und alle ihre Unterstützer als antisemitisch einstufen.

Das bringt der Kulturstaatsministerin den Vorwurf ein, bei Sympathien von Künstlern oder Intellektuellen für BDS nicht so rigoros zu verfahren, wie es viele fordern, die das einstige Täterland Deutschland in einer besonderen Rolle im Kampf gegen Antisemitismus sehen. So gab es eine Kontroverse um den aus Kamerun stammenden Kunstkritiker und Biotechnologen Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, der noch unter Roths Vorgängerin Grütters als Intendant des Berliner Hauses der Kulturen der Welt (HKW) ausgewählt wurde. Der Kurator wird im Frühjahr sein Amt antreten. Der israelische Botschafter Ron Prosor und der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, werfen ihm eine Nähe zu BDS vor, die Ndikung allerdings bestreitet. Roth dagegen verteidigte das Verfahren und die Personalie. Im Jahr 2014 hatte Ndikung in einem Facebook-Post davon gesprochen, dass die Israelis „für jeden Tropfen Blut in Gaza millionenfach bezahlen“ werden. Eine Äußerung, die sich durchaus als antisemitisch einstufen lässt und mit berechtigter Kritik an Israel wenig zu tun hat. Allerdings hat sich der neue HKW-Intendant inzwischen davon distanziert.

Niemand wirft Roth Verharmlosung von Antisemitismus vor, aber zu viel Nähe zu Personen, die sich davon nicht ausreichend distanzieren. Nach dem Documenta-Skandal, bei dem die Ministerin keine allzu gute Figur gemacht hat, muss sie nun im eigenen Interesse umso mehr darauf achten, über jeden Verdacht des allzu sorglosen Umgangs mit solchen Künstlern und Intellektuellen erhaben zu sein. Immerhin hat sie mit Julia Yael Alfandari von der Bildungsstätte Anne Frank eine neue Antisemitismusbeauftragte berufen, die auf der Documenta gegen Judenhass bei Künstlern aufgetreten ist. Die Mitarbeiterin wird auch direkt an den Leitungsstab im Staatsministerium berichten. Eine deutlich herausgehobene Stellung für eine Referentin.

In einer früheren Version des Artikels stand, dass Kulturministerin Roth den HKM-Intendanten berufen hätte. Das ist nicht korrekt und wurde verändert.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort