Alexander Graf Lambsdorff über den Ukraine-Krieg „Ich fürchte, es wird noch eine Weile dauern“
Düsseldorf · Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Abgeordneter und designierter deutscher Botschafter in Moskau, spricht über den Ukraine-Krieg und die „eigene Rationalität“ Wladimir Putins. Und er erlaubt sich einen versteckten Seitenhieb auf seine Parteifreundin Marie-Agnes Strack-Zimmermann.
Er entstammt einem deutsch-baltischen Adelsgeschlecht, sein Großvater war russischer Staatsbürger, der Vater als Diplomat auch in Moskau stationiert. Alexander Graf Lambsdorff, heute 56, damals im Internat, besuchte die Eltern schon als 15-Jähriger in der russischen Hauptstadt und war seitdem oft dort. Im Sommer soll der FDP-Bundestagsabgeordnete aus Bonn deutscher Botschafter in Moskau werden, am Donnerstagabend machte er Station in Düsseldorf: für einen Vortrag beim Neujahrsempfang des Familienunternehmer-Verbands, der mit rund 200 Gästen im Industrie-Club stattfand.
Der designierte Botschafter war 13 Jahre lang Europaabgeordneter, die Außenpolitik begleitet ihn schon sein ganzes Berufsleben, die Schriften und Reden von Wladimir Putin verfolgt er nicht erst seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine vor knapp einem Jahr. Selbst von Panzern versteht er als Reserveoffizier etwas. In seiner Biografie bringt er Anknüpfungspunkte mit, die ihm in Moskau helfen können. Als junger Mann habe er in der Ausbildung zum diplomatischen Dienst sogar einen zweimonatigen Sprachkurs in Sibirien absolviert, aber viel sei nicht hängengeblieben, sagt er.
In dem Mann, der im Industrie-Club frei über die großen Themen spricht, zeigt sich der Politiker stärker als der Diplomat, und er hebt sich dabei markant von der abwesenden Düsseldorfer Parteifreundin Marie-Agnes Strack-Zimmermann ab. Sie drängte den Bundeskanzler beim Leopard 2 über Monate, er fand dessen Strategie dagegen „richtig“. In der Nato gehe es darum, Lasten und Risiken zu verteilen, und die USA hätten ja zunächst keine Kampfpanzer in die Ukraine liefern wollen. „Da hat der Kanzler mit seinem Stab hart daran gearbeitet, das weiß ich.“ Ironisch mokiert er sich über die, die es besser zu wissen glauben. „Heute heißt der führende Panzerexperte der Bundesrepublik Anton Hofreiter“, sagt er über den Grünen-Politiker unter Gelächter des Publikums und schiebt den kaum freundlich gemeinten Halbsatz nach, dass nur Strack-Zimmermann noch kompetenter sei.
Deutschland werde durch die Lieferung von Waffen nicht zur Kriegspartei, nicht bei Panzern, selbst nicht bei Flugzeugen, wenn keine deutschen Piloten drinsäßen. Das sei völkerrechtlich eindeutig. Wer das anders sehe, liege falsch, und da schreibe auch der Ex-Düsseldorfer Gabor Steingart in seinem Newsletter „einfach Quatsch“. Lambsdorffs zentraler Punkt: Aus russischer Perspektive gebe es keine Zeitenwende, sondern zeige sich in der Ukraine die „Kontinuität einer imperialen Agenda“, wie die Beteiligung am Krieg in Syrien, der Einmarsch in Georgien vor bald 15 Jahren und die Annexion der Krim vor neun Jahren belegten. Wladimir Putin habe „eine eigene Rationalität“, die der Westen zu lange verkannt habe.
Ein Ende sei in der Ukraine nicht in Sicht. „Ich fürchte, es wird noch eine Weile dauern.“ Denn Russland könne einen „eingefrorenen Krieg“ lange durchhalten, und Verhandlungen könnten jetzt wenig bewirken – auch wenn gerade in schwierigen Zeiten kontinuierlich Gespräche geführt werden müssten. Er sehe sich da als Genscher-Schüler – der langjährige Außenminister aus der FDP habe beharrlich Kontakt mit seinem Amtskollegen Andrei Gromyko gehalten, der allerdings häufig „Njet“ gesagt habe.
Das Publikum folgt Lambsdorff gebannt bei seinen Analysen, es wird häufig genickt und immer wieder geklatscht. Aber den größten Applaus erhält er bei seinem Bekenntnis zur Atomkraft. Auch Klimaaktivistin Greta Thunberg habe sich dagegen gewandt, in Deutschland auf Kohle zu setzen und die letzten drei AKW vom Netz zu nehmen. „Ich kann nicht verstehen, warum man die im April abschaltet“, sagt Lambsdorff.