Finanzminister bunkert 60 Milliarden für die Zukunft Christian Lindners Mitgift für die Ampel

Meinung | Berlin · Das Sein bestimmt das Bewusstsein, das gilt auch für Politiker. Im Regierungsamt gelten für Finanzminister Christian Lindner plötzlich andere Maßstäbe als in der Oppositionsrolle. Der FDP-Vorsitzende legt ungenutzte Milliarden-Kredite für die Zukunft beiseite – und sichert damit zum Start das finanzielle Fundament der Ampel.

 Finanzminister Christian Lindner (links, FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag auf der Regierungsbank im Bundestag.

Finanzminister Christian Lindner (links, FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag auf der Regierungsbank im Bundestag.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Hatte Lindner seinerzeit ein ähnliches finanzpolitisches Manöver der schwarz-roten Regierung als Taschenspielertrick angeprangert, vollzieht er diesen Trick im Ministeramt nun selbst: Lindner bunkert 60 Milliarden Euro, die er sich am Kapitalmarkt leiht, aber im laufenden Jahr nicht mehr ausgeben kann, im Reservetopf des Energie- und Klimafonds. Es ist eine Art Mitgift, die sich die Ampel zum Start selbst gönnt, um gerüstet zu sein für das, was da auf sie zukommen wird: Dekarbonisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel.

Der schnelle Rollenwechsel Lindners und die krasse Kehrtwende der liberalen Finanzpolitik dienen der Union nun als Gründe für eine Fundamentalkritik an Lindner. Sie will ihn als Wendehals entlarven und zieht gegen seinen Nachtragshaushalt vor das Bundesverfassungsgericht. Allerdings hat diese Strategie einen Haken: Auch die schwarz-rote Bundesregierung hatte die Schuldenbremse im vergangenen Jahr gedehnt, indem sie ungenutzte Kredite von 28 Milliarden Euro ebenfalls in den Energie- und Klimafonds einbuchte. Der Vorwurf gegen Lindner richtet sich also auch gegen die eigenen Leute, etwa die frühere Bundeskanzlerin. Die Union weiß das natürlich, aber es ist ihr egal: Die Chance eines für die Ampel negativen Verfassungsurteils will sie sich nicht entgehen lassen.

Lindner wiederum hat die Augen vor der Vergangenheit fest verschlossen. War er in der Opposition noch der oberste Anwalt einer soliden Finanzpolitik, wählt er nun mit SPD und Grünen den Weg in die höhere Verschuldung. 2017 ließ Lindner die Jamaika-Verhandlungen platzen. Er hoffte damals, dass ihm die Wähler das vier Jahre später verzeihen. Und genauso kam es, die FDP zog wieder mit zweistelligem Ergebnis in den Bundestag ein. 2021 bricht Lindner mit vermeintlich ehernen Vorsätzen. Wieder kann er darauf hoffen, dass ihm das verziehen wird.

Ohne die neue 60-Milliarden-Reserve wäre die Ampel nicht zustande gekommen, und Lindner wollte ebenso wie SPD und Grüne unbedingt regieren. Der FDP-Vorsitzende gab sich in den Koalitionsverhandlungen entsprechend geschmeidig und nahm den Vorschlag des Haushalts-Staatssekretärs Werner Gatzer gerne auf, noch einmal viel geliehenes Geld im Energie- und Klimafonds zu parken. Gatzer ist SPD-Mitglied und ein enger Vertrauter des früheren Finanzministers und aktuellen Bundeskanzlers Olaf Scholz. Der Nachtragsetat sei von seinem Vorgänger konzeptionell vorbereitet worden, gibt Lindner freimütig zu.

Haushaltstrick hin oder her, die Bürger wird am Ende weniger interessieren, wie Investitionen in den Klimaschutz finanziert wurden, als dass sie effektiv umgesetzt werden. Da sich Steuererhöhungen in der Krise ausschließen, durch Kürzungen, die deshalb nicht weniger nötig sind, kaum genügend Geld zusammenkommt und die Schuldenbremse ab 2023 unbedingt wieder eingehalten werden sollte, bleibt der Ampel vorerst nur der Weg in die zusätzliche Verschuldung.

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