EU-Gipfel mit Krisen-Themen Scholz sucht seine neue Rolle in Europa

Brüssel · Gleich beim ersten Gipfel gerät Kanzler Olaf Scholz in eine uneinige EU: Ungetesteten das Reisen erschweren? Die Gaspipeline nach Deutschland aus Protest dicht machen? Die Stabilitätsvorgaben aufweichen? Scholz bekommt es mit gegensätzlichen Vorstößen zu tun - und hält sich selbst auffallend zurück.

Kanzler Olaf Scholz beim Eintreffen im EU-Ratsgebäude am Donnerstagmorgen.

Kanzler Olaf Scholz beim Eintreffen im EU-Ratsgebäude am Donnerstagmorgen.

Foto: AP/Kenzo Tribouillard

Er freue sich, zum ersten Mal bei einem EU-Gipfeltreffen dabei zu sein, sagt der neue Bundeskanzler - und wird schnell konkret: gegen die Förderung von Atomkraft als klimafreundliche Energie, für mehr Einsatz von PCR-Tests in der Corona-Omikron-Krise, für schärfere Sanktionen im Falle russischer Aggression gegen die Ukraine. Doch der Kanzler, der hier so deutlich wird, ist der andere Neuling: Karl Nehammer aus Österreich. Sein deutscher Amtskollege Olaf Scholz bleibt bei seiner Premiere in Brüssel unschärfer. Vielleicht stellt er sich darauf ein, am Ende in die Rolle des Vermittlers zu schlüpfen.

Und so hört es sich bei Scholz anders an als bei seinen Kolleginnen und Kollegen, wenn er etwa vom russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze spricht. Scholz nennt es eine „schwierige Situation“, Litauens Präsident Gitana Nauseda sieht dagegen die „gefährlichste Situation in den letzten 30 Jahren“. Das Gerichtsurteil über den russischen Auftragsmord im Berliner Tiergarten sei, so Scholz, eine Auskunft darüber, dass hier „schlimme Dinge passiert“ seien. Er stellt sich hinter Außenministerin Annalena Baerbock, die zwei russische Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärte. Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel geht weit darüber hinaus; er will Moskau eine europäische Antwort geben, wie dies die EU beim russischen Giftanschlag auf Großbritannien getan habe.

Erkennbar muss Scholz seine Rolle noch finden. Beim Reinkommen in den Konferenzraum begrüßt er den EU-Ratspräsidenten Charles Michel mit Corona-Faust, seine neuen Sitznachbarn, Kroatiens Ministerpräsident Andrej Plenkovic zur Linken und Portugals Premierminister Antonio Costa zur Rechten, mit gewohntem Händeschütteln. Während die anderen Staats- und Regierungschefs noch im angeregten Gespräch stecken, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron etwa von fünf Kollegen umringt wird, sitzt Scholz alleine auf seinem Platz, vertieft in seine Akten.

Bereits am Vortag hat er sich mit Macron und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu einem „Normandie-Drei“-Format getroffen. Die Bezeichnung erinnert an den Ursprung der ersten französisch-russisch-deutsch-ukrainischen Vierer-Zusammenkunft in der Normandie, nur halt ohne Russland. Macron, Slenskyj und Scholz verabreden, sich nun demonstrativ häufiger zu treffen, bis Russland das Gesprächsangebot annimmt und wieder an den Tisch kommt.

Die Reaktion Moskaus kommt schon am nächsten Tag: die Bereitschaft, sich an „neutralem“ Ort mit Nato-Vertretern zu treffen. Ein kleines Zeichen einer Bereitschaft zur Deeskalation? Jedenfalls befasst sich die Runde in Brüssel vorsorglich mit möglichen Zuspitzungen in den nächsten Wochen. EU-Außenbeauftragter Josep Borell bringt es auf den Punkt: Eine neuerliche russische Aggression gegen die Ukraine werde „höhere politische und wirtschaftliche Kosten“ nach sich ziehen als die nach der Krim-Annexion verhängten Sanktionen. Scholz fasst das unter den Vorsatz, dass alle gemeinsam alles dafür täten, dass es bei der Unverletzbarkeit der Grenzen bleibe. Dies sei „eine der ganz wichtigen Grundlagen des Friedens in Europa“. Lettland bringt die Gaspipeline von Russland nach Deutschland auf den Tisch. Auch die solle nicht an den Start gehen, wenn Russland gegen die Ukraine vorgehe.

An einer anderen Front, der polnisch-weissrussischen, versichern die Staats- und Regierungschefs dem polnischen Kollegen, Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, ihre Solidarität. Scharf verurteilen sie den Missbrauch von geflüchteten Menschen als Druckmittel gegen Polen. Scholz verweist darauf, dass die EU-Aktivitäten gegen die „hybride Attacke aus Belarus auf die europäische Grenze“ schon funktionierten, so seien die Fluggesellschaften davon abgebracht worden, den Lockungen Weißrusslands zu entsprechen und hätten bereits erste Flüchtlinge zurückgeflogen. „Den Weg werden wir weitergehen“, kündigt Scholz an.

Welchen Weg die EU im Kampf gegen Omikron wählt, bleibt lange unentschieden. Die Kommission zeigt in Schaubildern, wie schnell die Corona-Variante das Infektionsgeschehen in den Griff nehmen und auch außerhalb Großbritanniens im Januar und Februar beherrschen wird. Italien und Griechenland haben schon reagiert und die Einreise auch für Geimpfte von negativen Tests abhängig gemacht. Andere planen ähnliches. Mehr PCR-Tests als Bedingung fürs Reisen, Einkaufen, Kulturerleben. Viele warnen vor einem neuen Regel-Flickenteppich und vor einer Entwertung des europäischen Impfzertifikats. Es läuft auf den Kompromiss heraus, die Bewegungsfreiheit „nicht unverhältnismäßig“ einzuschränken und auf das Funktionieren des Binnenmarktes zu achten.

Nach dem Abendessen geht es vertieft um die europäischen Finanzen. Nachhaltig liefert EU-Parlamentspräsident David Sassoli dazu schon am Nachmittag als Stichwort den Appell, Europa dürfe nicht länger „Geisel der Drei-Prozent-Regel“ sein, also der (in Corona-Zeiten ausgesetzten) Vorgabe, die Verschuldung nicht über drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu treiben. Die Skandinavier sind strikt gegen Lockerungen, Frankreich und der Süden unbedingt dafür. Und Scholz deutet an, sich hier in Sachen Investitionen für den Klimaschutz etwas vorstellen zu können. Ende vorerst offen.

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