Mit drastischen Worten Schulz und Gabriel mischen SPD-Klausur auf

Osnabrück · In Osnabrück beraten die SPD-Bundestagsabgeordneten aus NRW, Niedersachsen und Bremen zwei Tage lang über die Zukunft ihrer Partei. Zum Auftakt gab es gepfefferte Beiträge von zwei Männern, die erst kürzlich aus der ersten Reihe verdrängt wurden.

 Von rechts: Sigmar Gabriel und Martin Schulz mit dem britischen Botschafter Sebastian Wood auf der Klausurtagung der SPD.

Von rechts: Sigmar Gabriel und Martin Schulz mit dem britischen Botschafter Sebastian Wood auf der Klausurtagung der SPD.

Foto: dpa/Friso Gentsch

Sigmar Gabriel und Martin Schulz kommen am Nachmittag gemeinsam in den Veranstaltungssaal des Steigenberger Hotels in Osnabrück. Knapp 50 SPD-Bundestagsabgeordnete sind bereits da, angereist für eine Klausur in der Krise. Dass die Beiden Seit‘ an Seit‘ erscheinen und sich dann nebeneinander setzen, wäre noch vor wenigen Monaten kaum denkbar gewesen. So tief saß bei den Männern der Ärger übereinander, Stichwort „der Mann mit den Haaren im Gesicht“. Jetzt aber ist alles anders, aller Groll von damals vergessen. Sie wollen dafür kämpfen, dass die SPD nicht in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Der erste Prüfstein im neuen Jahr: die Europawahl im Mai.

Schulz und Gabriel, den früheren Präsidenten des Europaparlaments und den früheren Bundesaußenminister, eint die Sorge um die Europäische Union. Beide wählen drastische Worte, um ihre Parteifreunde im Raum wachzurütteln für den Europawahlkampf, sollte das überhaupt noch nötig sein angesichts brutal schlechter Umfragewerte. Schulz warnt in einer bewegenden Rede, die ihm auch als Kanzlerkandidat im Bundestagswahlkampf 2017 gut zu Gesicht gestanden hätte, vor dem Brexit als „Desaster“ für Europa. Er erinnert an die Bedeutung einer stabilen Europäischen Union für Deutschland. Dieses Konzept eines in die internationale Gemeinschaft eingebundenen Nationalstaats habe ihm und seiner Generation ein Leben in Frieden und Sicherheit ermöglicht, von dem viele Milliarden Menschen auf der Welt nicht einmal zu träumen wagten. „Und dafür, verdammt nochmal, lohnt es sich zu kämpfen“, ruft er den Abgeordneten zu. Die Europawahl sei eine „Schicksalswahl für unseren Kontinent, für unsere Nation und auch für die SPD“, sagt Schulz. Er meint den Kampf gegen Rechts, gegen Feinde einer freien Demokratie, gegen Anhänger einer autoritären Staatsform. Diese seien überall auf dem Vormarsch, mahnt Schulz. Jeder merkt, bei diesem Thema fühlt er sich wie ein Fisch im Wasser. Schulz fordert eine Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene. „Und wenn es da nicht klappt, müssen wir den Mut haben, da auf nationaler Ebene voranzugehen“, so Schulz. Er spricht sich für europäische Mindestlöhne aus, für eine europäische Arbeitslosenversicherung, für gemeinschaftlichen Schutz vor Kinderarmut und eine Umschichtung zugunsten von Investitionen im EU-Haushalt. Er warnt vor einer bipolaren Welt, bestimmt durch die USA und China, in der man die Briten an der Seite der EU brauche.

Gabriel stößt in das selbe Horn, geht aber noch weiter: „Europa ist eine geostrategische Nullnummer“, sagt er mit der für ihn typischen Lust an Provokation und Zuspitzung. Das sei jetzt schon so und werde erst recht so bleiben, wenn die Briten sich verabschieden würden aus der EU. Er ruft zur Selbstbehauptung der Europäer auf, zu einer starken Achse mit Frankreich, fordert endlich Antworten auf die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Gabriel warnt davor, Serbien, Albanien und den Kosovo in die EU aufzunehmen: „Dann bieten wir der organisierten Kriminalität freien Zugang zu Europa.“

Die beiden Männer dominieren die Debatte im Saal, sie sind immer noch politische Schwergewichte, das ist spürbar. Das gilt, auch wenn sie als zwei Ex-SPD-Vorsitzende jüngst eher unrühmlich die erste Reihe ihrer Partei verlassen mussten, und zumindest im Fall von Sigmar Gabriel jetzt zumeist durch (unerbetene) Seiteneinwürfe auffallen. Doch Gabriel findet bei den Abgeordneten Zustimmung, und Schulz wirkt schon fast wie der SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl. Dabei ist es Bundesjustizministerin Katarina Barley, die für die Sozialdemokraten ins Rennen gehen wird. Sie fehlt in Osnabrück, trifft sich an diesem Nachmittag mit ihren SPD-Kabinettskollegen, um die Reihenfolge der nächsten Gesetzentwürfe in der Bundesregierung festzulegen.

Für die Chefs der beiden mächtigsten Landesgruppen NRW und Niedersachsen mit Bremen, Achim Post und Johann Saathoff, hätte dieser Klausurauftakt nicht besser laufen können. Vor den Augen vieler aus Berlin angereister Journalisten bewiesen die anwesenden Genossen, dass sie kämpfen können, Haltung zeigen - etwa, indem sie auch dem britischen Botschafter Sir Sebastian Wood als Ehrengast die Stirn bieten in den Fragen des Brexit. Offen jedoch blieb am ersten Tag, was aus den Debatten in Osnabrück folgt. Konkrete Positionen für den Europawahlkampf? Die sollen erst im März beschlossen werden. Konkrete Beschlüsse, die man als mächtigste Landesgruppen in der Bundestagsfraktion durchsetzen will? Vielleicht. Doch Parteichefin Andrea Nahles reist erst am zweiten Tag, an diesem Mittwoch an. Bleibt es bei Spiegelstrichen eines vorab veröffentlichten Positionspapiers, wird das der Partei in den bevorstehenden Wahlen nicht mehr helfen.

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