Energiesparpläne der Städte Licht am Rheinturm aus, Aktionismus an

Analyse | Düsseldorf · Deutsche Unternehmen und Kommunen versuchen, sich für den Winter der Energieknappheit zu rüsten. Viele Maßnahmen in Sachen Gas und Strom aber sind reine Symbolpolitik. Ein anderer EU-Staat macht es besser, oder?

Bei diesen Sehenswürdigkeiten in NRW könnten Bald die Lichter ausgehen​
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Bei diesen Sehenswürdigkeiten in NRW könnten Bald die Lichter ausgehen

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Foto: dpa/Oliver Berg

Zappenduster, das ist ein Begriff, der in einem nichts anderes auslöst als Unbehagen. Wenn in diesen Tagen davon die Rede ist, wer wo wem demnächst besser das Licht ausknipst – aus ehrbaren Energiespargründen, versteht sich –, fürchtet sich manch einer vor dunklen Zeiten. Zu Recht. Russland führt seinen Angriffskrieg in der Ukraine unerbittlich fort, Wladimir Putins perfider Plan bleibt undurchschaubar, die Versorgungslage in diesem Winter unwägbar.

Trotzdem, oder gerade deswegen, werden unter hochsommerlichen Bedingungen in weiten Teilen Europas Überlegungen angestellt, wie möglichen Engpässen bei Gas- und Stromlieferungen beizukommen ist. Dem Notfallplan, der vorsieht, den Gasverbrauch bis zum Frühjahr um 15 Prozent zu reduzieren, haben sich alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet. Doch während etwa Spanien bereits sehr einschneidende Entscheidungen getroffen hat, bleibt man in Deutschland im Großen und Ganzen noch eher vage. Konkret hat die spanische Regierung in dieser Woche „dringende Maßnahmen“ beschlossen, die spätestens eine Woche nach Veröffentlichung im Amtsblatt umgesetzt werden und bis 1. November 2023 gelten sollen.

Demnach dürfen alle öffentlichen Gebäude, aber auch Kaufhäuser, Kinos, Arbeitsstätten, Hotels, Bahnhöfe und Flughäfen ihre Räumlichkeiten im Sommer auf nicht weniger als 27 Grad abkühlen und im Winter auf höchstens 19 Grad beheizen. Betriebe mit automatischen Systemen, die bis zum 30. September installiert sein müssen, werden verpflichtet, ihre Türen geschlossen zu halten, um je nach Jahreszeit das Entweichen von Wärme oder kühler Luft zu vermeiden. Die Beleuchtung von nicht genutzten Büros, von Schaufenstern und Denkmälern muss außerdem nach 22 Uhr ausgeschaltet werden.

Düstere Innenstädte, 27 Grad warme Einkaufszentren im Sommer, kühle Büroräume und Kinos im Winter – in Deutschland (noch) unvorstellbar. Hierzulande wird vieles diskutiert, erwägt, geprüft. Einiges passiert bereits, oft unter dem Radar: Lampen werden durch sparsame LED-Strahler ersetzt, Saunas und Solbäder nicht mehr betrieben, Warmwasserhähne zugedreht. Wie beim Thema Umweltschutz federt der Föderalismus die Schlagkraft vermeintlich ab: Der Staat setzt Rahmenvorgaben, die Länder passen sie an, geben sie weiter. Oftmals hat jede Stadt, jede Kommune ihr eigenes Klimaschutz- oder eben Energiesparkonzept.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beleuchte nachts das Schloss Bellevue nicht mehr, war eine der ersten Meldungen Ende Juli. Inzwischen zog nicht nur die Bundeshauptstadt nach: Am Brandenburger Tor, an der Siegessäule, am Roten Rathaus und insgesamt 200 öffentlichen Gebäuden in Berlin bleibt es fortan nachts dunkel. Auch Städte in Nordrhein-Westfalen handeln: In Aachen bleibt der Brunnen aus, Köln und Düsseldorf prüfen zumindest die Beleuchtung ihrer Wahrzeichen. Ob der Kölner Dom, die Hohenzollernbrücke oder der Düsseldorfer Rheinturm weniger leuchten, soll sich bald entscheiden.

Die fehlende Strahlkraft der Sehenswürdigkeiten und die reine Symbolwirkung der Maßnahmen sind einigen Bürgern dabei ein Dorn im Auge. Rathäuser, Schlösser, Kirchen – das sind Pfeiler der Identität, des Selbstbewusstseins, des Stolzes der Menschen, denen mit der Gaskrise und der sich erneut verschärfenden Corona-Lage viel zugemutet wird. Trotzdem sei die Wirkung solcher symbolpolitischer Maßnahmen nicht zu unterschätzen, meint Martin Kesternich vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Der Umweltökonom untersucht, wie politische Regulierungen auf Bürgerebene funktionieren, wie Maßnahmen wirken. Ob Einsparungen tatsächlich einen relevanten Effekt haben, sei nicht immer entscheidend, sagt Kesternich. „Rathäuser oder andere städtische Wahrzeichen nicht mehr anzuleuchten, kann wichtige Botschaften setzen“, so der Experte. Zum einen, weil man auf Nachahmer hoffen dürfe, dass Menschen zumindest einmal zu Hause prüfen, was sie tun könnten. „Zum anderen ist es ein wichtiges Signal der Städte und Kommunen, im Wortsinne mit gutem Beispiel voranzugehen – sollten im Winter doch härtere Maßnahmen auf die Bürger zukommen.“

Es ist sowohl die Symbolkraft als auch die Vorbildfunktion, die solchen politischen Aktionen einen Sinn geben und sich eben nicht als Aktionismus abtun lassen. Wichtig sei dabei, so Umweltökonom Kesternich, dass von vornherein mitbedacht werde, wie sich Maßnahmen auch auswirken könnten: „Wenn auf der einen Seite die Wassertemperatur in Schwimmbädern reduziert wird, die Menschen – platt gesagt – aber dann zu Hause öfter baden sollten, ist nicht viel gewonnen.“ Es könnte stattdessen hilfreich sein, die Bürger möglichst früh einzubeziehen. Als Stadt oder Gemeinde ein gemeinsames Einsparziel auszuloten, zu planen und umzusetzen. Vielleicht sogar mit einer Idee, was passiert, wenn das Ziel erreicht ist.

 Bleibt der Rheinturm bald unbeleuchtet? Die Stadt prüft das derzeit als Energiesparmaßnahme.

Bleibt der Rheinturm bald unbeleuchtet? Die Stadt prüft das derzeit als Energiesparmaßnahme.

Foto: Amadeus Petrides

Es lässt sich nicht vorhersagen, welche Methode unter den aktuellen Bedingungen wie gut funktioniert. Auch dürfen sich Corona- und Energiesparpläne nicht gegenseitig aushebeln – wenn etwa Lüftungsanlagen in Schulen oder Büros abgeschaltet werden, die die Virenlast verringern sollen. Die Situationen sind komplex, die Bedürfnisse verschieden. Ob dunkler Dom oder erleuchteter Rheinturm – es wird immer Licht und Schatten geben.

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