Ukraine-Krieg Polen zeigt Herz und Wärme für Flüchtlinge

Warschau · Mehr als 100.000 Ukrainer sind seit Kriegsbeginn bereits nach Polen geflohen. Die allermeisten wollen dort bleiben. Die polnische Regierung hat die humanitäre Hilfe gut organisiert und die Bürger engagieren sich. Und das ist deutlich anders als beim hartem Umgang mit Migranten an der Grenze zu Belarus vor einigen Wochen.

Ganz Polen hilft. Das ist der Eindruck, den man in der Kleinstadt Przemysl nahe der Grenze zur Ukraine bekommen kann. Vor dem Bahnhof stauen sich Autos und Kleinbusse. Manche sind bis unters Dach vollgeladen mit Spenden für die Flüchtlinge, die hier mit Zügen aus der Ukraine ankommen.

Renata Czarnecka und ihre Tochter Wioletta sind mit einem schicken weißen Flitzer vorgefahren. Sie laden Windeln, Baby-Wischtücher und Mineralwasser aus dem Kofferraum. „Wir könnten alle in der gleichen Situation sein. Niemand ist mehr sicher“, sagt die 60-jährige Justizangestellte. „Für mich ist das ein ganz normaler menschlicher Reflex, hier etwas zu spenden.“

Seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine hat Polen nach Angaben der Regierung in Warschau bereits 100 000 Flüchtlinge aus dem östlichen Nachbarland aufgenommen. In der Nähe von Przemysl befinden sich zwei Grenzübergänge. Der Bahnhof der ostpolnischen Stadt hat ein Gleis mit russischer Breitspur. Hier kommen die Züge aus Kiew, Lwiw und Odessa an. Sie bringen immer mehr verzweifelte Menschen.

Für die Neuankömmlinge gibt es direkt auf dem Bahnhof ein großes Hilfsangebot. Große rote Pfeile und Schilder auf Polnisch und Ukrainisch weisen den Weg zum Aufnahmepunkt in der Bahnhofshalle. An langen Tischen kümmern sich hier Männer und Frauen von der Berufsfeuerwehr um die Anliegen der Flüchtlinge.

„Menschen, die aus der Ukraine ankommen und keine Reisemöglichkeit ins Landesinnere von Polen haben, können sich bei uns auf Listen setzen lassen. Freiwillige kommen hierher, bieten Transport und Unterkunft an. Wir führen das dann zusammen“, sagt Feuerwehrhauptmann Lukasz Zielinski. Der Aufnahmepunkt vermittelt auch Plätze in Notunterkünften, die die Stadt Przemysl in Schulturnhallen eingerichtet hat.

Schon seit mehreren Wochen hat Polens nationalkonservative PiS-Regierung ihr Land auf die Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen vorbereitet. Das Innenministerium wies die Gebietsverwaltungen an, geeignete Räume aus Notunterkünfte herzurichten. Selbst der erzkonservative Bildungsminister Przemyslaw Czarnek betonte, ukrainische Kinder seien willkommen in polnischen Schulen.

Ein krasser Unterschied zu der Art, wie Polen noch vor wenige Monaten reagierte, als viele Migranten aus Krisengebieten wie Afghanistan, Syrien und dem Irak versuchten, von Belarus aus illegal in die EU zu gelangen. Die PiS-Regierung schickte 10 000 Soldaten an die Grenze, richtete eine Sperrzone dort ein. Sie baut gegenwärtig einen 5,5 Meter hohen Zaun. Die Botschaft lautet: Migranten sollen draußen bleiben.

„Zu Ukrainern fühlen die Polen eine enge Verbindung. Außerdem ist der Krieg nicht weit weg, sondern direkt an unserer Grenze“, sagt Sprecherin Kalina Czwarnog von der Hilfsorganisation „Ocalenie“ (Rettung), die sich für die Migranten an der belarussischen Grenze eingesetzt hat. Jetzt hilft sie auch den Ukrainern. „Aber leider hat der unterschiedliche Umgang auch mit rassistischen Vorurteilen zu tun.“ Das könne man gut daran sehen, wie sich die PiS-Regierung zu den Migranten aus Afghanistan, Syrien und dem Irak geäußert habe, und welche Position sie heute zu den Ukrainern einnehme.

Die Flüchtlinge aus der Ukraine jedenfalls fühlen sich in Polen gut aufgenommen - und die meisten wollen erstmal im Nachbarland bleiben. „Wir suchen gerade hier eine Wohnung. Wenn sie nicht mehr bombardieren, gehen wir zurück nach Lwiw “, sagt die Apothekenhelferin Maria Pototschniak (38), die in der Bahnhofshalle von Przemysl auf einem Feldbett sitzt und ihrer kleinen Tochter Alinka ein Fläschchen gibt.

Ähnliche Pläne haben Oksana (45) und ihr Mann Oleg. Beide sind in einer Notaufnahme in der Turnhalle einer Grundschule in Przemysl untergekommen. „Heute Morgen kamen schon Polen und haben uns eine Wohnung angeboten. Ich glaube, kostenlos“, sagt Oksana. Sie hat das Angebot nicht angenommen, denn sie wartet noch auf die Ankunft ihrer Mutter und ihrer Tochter. „Wir wollen in Polen bleiben, Arbeit suchen, wir sind fleißige Leute.“ Vor allem hofft Oksana, dass der Krieg bald vorbei sein wird. „Wenn die ukrainische Armee Lwiw drei Tage verteidigt, werden sich die Russen zurückziehen“, glaubt sie.

(felt/dpa)
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