Wegen angeblichem Spionagevorwurf Gericht in Russland erlässt Haftbefehl gegen US-Journalisten

Moskau · Der russische Geheimdienst wirft ihm Spionage vor. Seine Zeitung weist die Vorwürfe zurück und fordert seine sofortige Freilassung. Jetzt wurde Haftbefehl erlassen.

 Der Reporter des Wall Street Journal, Evan Gershkovich, wird am Donnerstag, 30. März 2023, in Moskau von Beamten vom Lefortovsky-Gericht zu einem Bus eskortiert.

Der Reporter des Wall Street Journal, Evan Gershkovich, wird am Donnerstag, 30. März 2023, in Moskau von Beamten vom Lefortovsky-Gericht zu einem Bus eskortiert.

Foto: AP/Alexander Zemlianichenko

Der russische Inlandsgeheimdienst hat einen Reporter der US-Zeitung „Wall Street Journal“ unter Spionagevorwürfen festgenommen. Der FSB erklärte am Donnerstag, Evan Gershkovich sei in Jekaterinburg im Ural in Gewahrsam genommen worden, während er versucht habe, an geheime Informationen zu gelangen. Die Zeitung äußerte sich zutiefst besorgt über die Sicherheit ihres Reporters. In einer Erklärung wies sie die Vorwürfe entschieden zurück und forderte Gershkovichs sofortige Freilassung.

Bei einer Anhörung entschied ein Moskauer Gericht umgehend, dass Gershkovich während der laufenden Ermittlungen in Haft bleiben muss. Das geht aus dem offiziellen Telegram-Kanal der Gerichte in der russischen Hauptstadt hervor.

Der FSB erklärte, Gershkovich habe geheime Informationen „über die Aktivitäten eines der Unternehmen des russischen militärisch-industriellen Komplexes gesammelt“. Dabei habe er auf Anweisung der USA gehandelt. Wann die Festnahme erfolgte, wurde nicht mitgeteilt. Im Fall einer Verurteilung wegen Spionage drohen Gershkovich bis zu 20 Jahre Haft.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, es gehe nicht um einen Verdacht, der Mann sei auf frischer Tat ertappt worden.

Gershkovich berichtet aus dem Moskauer Büro des „Wall Street Journals“ als Korrespondent über Russland und die Ukraine. Der FSB erklärte, er habe für seine Arbeit als Journalist eine Akkreditierung des russischen Außenministeriums. Außenamtssprecherin Maria Sacharowa sagte jedoch, er habe seine Akkreditierung als Deckmantel für Aktivitäten genutzt, die nichts mit Journalismus zu tun hätten.

Gershkovich spricht fließend Russisch und arbeitete zuvor für die französische Nachrichtenagentur Agence France-Presse und die „New York Times“. Sein jüngster Bericht aus Moskau erschien in dieser Woche. Er handelte vom russischen Wirtschaftsabschwung inmitten der Sanktionen, die wegen des russischen Einmarschs in die Ukraine vom Westen verhängt wurden. Der Krieg hat zu großen Spannungen im Verhältnis zwischen Russland und den USA geführt.

Gershkovich ist der erste Reporter eines US-Medienunternehmens seit dem Kalten Krieg, der in Russland unter Spionagevorwürfen festgenommen wurde. Zuletzt wurde im September 1986 Nicholas Daniloff, ein Moskauer Korrespondent für das Nachrichtenmagazin „U.S. News and World Report“, vom damaligen sowjetischen Geheimdienst KGB festgenommen. Er wurde 20 Tage später im Austausch gegen einen Beschäftigten der sowjetischen UN-Mission freigelassen, der von der US-Bundespolizei FBI festgenommen worden war.

Jeanne Cavelier, bei Reporter ohne Grenzen mit Sitz in Paris für Osteuropa und Zentralasien zuständig, sagte, Gershkovich sei der erste ausländische Journalist, der seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine in Russland festgenommen worden sei. „Es sieht wie eine Vergeltungsmaßnahme Russlands gegen die USA aus“, sagte sie der Nachrichtenagentur AP. „Wir sind sehr alarmiert, denn es ist wahrscheinlich ein Weg, alle westlichen Journalisten einzuschüchtern, die versuchen, vor Ort in Russland zu Aspekten des Kriegs zu recherchieren.“

Der russische Journalist Dmitri Kolesew sagte bei Telegram, er habe vor dessen Reise nach Jekaterinburg mit Gershkovich gesprochen. „Er hat sich auf die übliche, wenngleich unter den aktuellen Umständen ziemlich gefährliche journalistische Arbeit vorbereitet“, schrieb Kolesew. Gershkovich habe ihn um Kontakte zu örtlichen Journalisten und Behördenvertretern gebeten, weil er Interviews führen wollte.

Im Dezember wurde die US-Basketball-Spielerin Brittney Griner nach zehn Monaten in russischer Haft gegen den russischen Waffenhändler Viktor But ausgetauscht, der 2011 in den USA wegen Terrorismus schuldig gesprochen worden war. Ein weiterer US-Bürger, Paul Whelan, wird seit Ende 2018 von Russland unter Spionagevorwürfen festgehalten. Seine Familie und die US-Regierung haben erklärt, die Vorwürfe seien haltlos.

(ele/dpa)
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