Atomwaffen in Belarus Wie gefährlich ist Putins Atomwaffen-Drohung?

Meinung | Düsseldorf · Erneut hat Wladimir Putin die Drohkulisse verschärft: Nun stationiert er Atomwaffen in Belarus. Was bedeutet das für die Ukraine und den Westen? Eine Einordnung.

 Russlands Präsident Wladimir Putin am Samstag.

Russlands Präsident Wladimir Putin am Samstag.

Foto: AP/Gavriil Grigorov

Samstagabend, beste Sendezeit. In Europa fiebern die Menschen mit ihren Fußballern. Die EM-Qualifikation läuft. In Russland dagegen hat der Präsident das wichtigste TV-Zeitfenster gebucht. Wladimir Putin hält eine Botschaft bereit, die sofort weltweit über die Ticker geht: Russland wird taktische Atomwaffen in Belarus stationieren. Dabei tut Putin so, als könnte er gar nicht anders. Der belarusische Präsident Alexander Lukaschenko habe ihn gebeten und ihn mit dem Argument überzeugt, dass „die Amerikaner dasselbe auf den Territorien ihrer Verbündeten auch machen“.

Es ist ein klassischer Putin. Der Kremlchef, der vor einem Jahr einen brutalen, auf Vernichtung zielenden Angriffskrieg in der Ukraine entfesselt hat, eskaliert und weist die Schuld dem Westen zu. Er zählt die Nato-Staaten auf, in denen amerikanische Nuklearwaffen stationiert sind. Im Übrigen sei auch der Atomwaffensperrvertrag nicht verletzt, weil die Befehlsgewalt über die Bomben bei Russland bleibe.

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Foto: United States Air Force

In Wirklichkeit geht es Putin nicht ums Prinzip, nicht um Verträge oder eine jahrzehntelange Praxis. Die Stationierung taktischer Atomwaffen in Belarus ist nichts anderes als eine erneute, nochmals zugespitzte Drohung mit dem Einsatz der Bombe. Der Rest ist Propaganda.

Erster Adressat ist die Ukraine. Denn von der belarusischen Grenze sind es keine 100 Kilometer bis Kiew. Das verringert die Frühwarnzeit. Schon jetzt läuft es so: Sobald in Belarus ein russischer Bomber aufsteigt, schrillen in der ukrainischen Hauptstadt die Sirenen. Aber die Menschen in der Ukraine sagen mit großer Mehrheit, dass sie auch bei einem Nukleareinsatz nicht kapitulieren werden.

Der zweite Adressat sind deshalb die Regierungen im Westen. Die Unterstützung für die Ukraine stand dort von Anfang an unter dem Vorbehalt, eine direkte Konfrontation mit Russland ebenso zu vermeiden wie eine atomare Eskalation. Wenn der Kreml nun das Drohpotenzial erhöht, verändert er die Risikoanalyse in den USA und Europa.

Zuallererst aber schürt Putin dort die Angst der Menschen. Jener Menschen, die viel lieber Fußball gucken und feiern möchten, als sich um einen Atomkrieg zu sorgen. Wir Europäer sind der dritte und wichtigste Adressat des Kremlchefs. Putin zielt auf uns, auf die westlichen Gesellschaften mit ihrer völlig verständlichen und berechtigten Friedenssehnsucht. Er will bei uns Furcht und Schrecken auslösen. Damit der Druck von unten auf die Regierungen wächst, lieber die Ukraine fallen zu lassen, bevor es zum Schlimmsten kommt.

Genau diese Angst ist Putins stärkste Waffe. Denn seine Armee kommt in der Ukraine nicht voran. Hält der Westen an seinen Waffenlieferungen fest, drohen Russland weitere Niederlagen. Zugleich sind sich alle Fachleute einig, dass ein Einsatz von Nuklearwaffen in der Ukraine militärisch nicht den geringsten Sinn ergibt. Was auch sollte eine Atombombe in Bachmut ausrichten oder sonst irgendwo an der Front? Die eigenen Soldaten wären ebenso Ziel wie der Gegner. Und der Abschuss einer nuklear bestückten Rakete auf Kiew würde Putin endgültig zum internationalen Paria machen. Dann würde ihm selbst Chinas Staatschef Xi Jinping von der Fahne gehen.

Nein, faktisch ändert die Stationierung von Atomwaffen in Belarus nichts an der Bedrohungslage. Wenn Putin den Nukleareinsatz wollte, hätte er ihn längst befehlen können. Was sich aber ändert, ist das Bedrohungsgefühl im Westen. Dabei wäre es ein fundamentaler Fehler, der Angst nachzugeben. Denn dann wird Putin weitermachen und immer weitermachen. So bitter es ist: Erst wenn der Kriegsverbrecher im Kreml gestoppt ist, werden wir wieder unbeschwert feiern können.

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