Hohe Zahl der Frührentner Die Rente braucht mutige Reformen

Meinung | Berlin · Der Kanzler macht sich Sorgen, weil mehr als die Hälfte der Älteren deutlich vor Erreichen der Regelaltersgrenze in Rente geht. Olaf Scholz müsste echte Reformen anstoßen. Doch davon gibt es bislang keine Spur.

 Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beim Verlassen seines Büros im Kanzleramt. Rechts hängt ein Proträt von Altkanzler Konrad Adenauer.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beim Verlassen seines Büros im Kanzleramt. Rechts hängt ein Proträt von Altkanzler Konrad Adenauer.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Der Bundeskanzler will die Zahl derer steigern, „die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können“. Anders ausgedrückt: Olaf Scholz sorgt sich um die hohe Zahl älterer Arbeitnehmer, die jedes Jahr vorzeitig in Rente gehen. 2021 nutzte jeder Dritte die Möglichkeit, bereits nach 45 Versicherungsjahren mit knapp 64 Jahren abschlagsfrei die Altersrente zu beantragen. Und jeder Vierte nahm laut Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung Abschläge in Kauf, verließ den Arbeitsmarkt im Schnitt 28 Monate vor Erreichen der Regelaltersgrenze. Ergebnis: Seit fünf Jahren stagniert das tatsächliche Renteneintrittsalter bei 64 Jahren. In der Realität gilt die etwa zwei Jahre höhere gesetzliche Altersgrenze für mehr als die Hälfte der Neurentner nicht.

Scholz hat Recht: Das ist besorgniserregend. Es darf nicht so bleiben, vor allem vor dem Hintergrund der rasanten Alterung der Gesellschaft, die das Umlageverfahren der Rentenversicherung auf eine kaum zu bewältigende Probe stellen wird. Allerdings war es die Partei des Kanzlers, die trotz aller Warnungen 2014 die abschlagsfreie damalige „Rente mit 63“ in der großen Koalition durchgesetzt hatte. Es hat schon eine gewisse Ironie, wenn sich heute ein SPD-Kanzler Sorgen über die negativen Folgen eines zentralen SPD-Wunschprojekts macht.

Ein Jahr Ampel-Regierung: Was gut und was schlecht lief
Infos

Was der Regierung gut gelang – und was nicht

Infos
Foto: AP/Markus Schreiber

Die Zahl der Menschen, die 45 Jahre zusammenbringen, wurde von der Regierung sträflich unterschätzt: Bis heute haben 400.000 Menschen mehr die Rente mit 63 angetreten als prognostiziert. Für jüngere Beitrags- und Steuerzahler ein enorm teures Projekt. Noch schmerzlicher ist der zu frühe Verlust Hunderttausender Fachkräfte. Viele Unternehmen können ihren Betrieb wegen Personalmangels schon heute nicht mehr aufrechterhalten. Bis 2030 fehlen sieben Millionen Arbeitskräfte, wenn es nicht gelingt, radikal gegenzusteuern.

Doch dazu müsste Scholz den Mut haben, in der Rentenpolitik das Ruder herumzureißen. Wahrscheinlich ist das nicht. Der Möchtegern-Modernisierer Scholz würde nach dem Hartz-Trauma seiner Partei kaum Gefolgschaft finden, wollte er etwa die „Rente mit 63“ abschaffen, das Rentenalter nach 2031 weiter anheben oder die Abschläge für die vorzeitige Rente erhöhen.

Dennoch muss die Regierung noch in dieser Legislaturperiode Anreize für längeres Arbeiten setzen. Der Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen für Frührentner war ein Schritt in die richtige Richtung. Ein weiterer Schritt könnte sein, für Rentenbeiträge, die im höheren Arbeitnehmer-Alter eingezahlt werden, einen höheren Gegenwert für die spätere Rente zu versprechen.

Tatsächlich droht die Rentenpolitik der Ampel-Koalition, die sich vieler Reformmöglichkeiten schon im Koalitionsvertrag beraubt hatte, eher weiter in die volkswirtschaftlich falsche Richtung zu gehen: Der Arbeitsminister bereitet derzeit ein Gesetzespaket vor, das Rentenpaket II, mit dem das Rentenniveau auch für die Jahre ab 2025 bei 48 Prozent festgeschrieben werden soll. Wie das dauerhaft finanziert werden soll, wenn die Babyboomer den Arbeitsmarkt verlassen, bleibt ein Rätsel, das die Koalition erst noch lösen muss.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort