Speicher, Puffer, Kühlsystem Was der Rhein fürs Klima tut

Was das Klima derzeit mit unseren Flüssen macht, ist allerorten auf erschreckende Weise zu sehen. Aber wie ist es umgekehrt? Nehmen Ströme wie der Rhein Einfluss auf unser Wettergeschehen. Und wenn ja, wie?

Der Rheinbogen in Düsseldorf Himmelgeist.

Der Rheinbogen in Düsseldorf Himmelgeist.

Foto: Matzerath, Ralph (rm-)

Wer in diesen Tagen über eine der Düsseldorfer Rheinbrücken fährt, muss aufpassen, dass er keinen Unfall baut: Der geschrumpfte Strom ist ein derart schockierender Anblick, dass man die Augen kaum abwenden kann. Im vergangenen Jahr sahen wir eine Jahrhundertflut. Diesen Sommer erleben wir, was Trockenheit und Hitze aus Flüssen machen können. Der Klimawandel macht keine Pause. Aber wie ist es andersherum? Macht ein Strom wie der Rhein – mit seiner Länge von rund 1233 Kilometern ist er immerhin einer der größten Flüsse Europas – auch umgekehrt etwas mit der Umwelt?

Denken wir uns die aktuelle Extremwetterlage einmal weg, lautet die Antwort: normalerweise schon. Den kühlenden Effekt eines Fließgewässers kennt jeder, der ab und an in der Natur unterwegs ist. Wasser ist ein Wärmespeicher und wirkt daher im Tagesverlauf wie ein Temperaturpuffer. Tagsüber wirkt das Gewässer kühlend, weil es Wärme aus der Umgebung aufnimmt. Da Wasser aber auch langsamer wieder abkühlt, kann die Wassertemperatur in Sommermonaten nachts höher sein als jene der Luft. Extreme Temperaturschwankungen können so gedämpft werden. „Besonders zum Tragen kommen diese Effekte bei großen Wasserflächen in Meeren und Ozeanen“, sagt Thomas Kesseler-Lauterkorn vom Deutschen Wetterdienst. Bei bestimmten Wetterlagen könne man aber auch den Rhein durchaus als Kaltluftschneise bezeichnen. „Dann sammelt sich die kühle Luft im Rheintal und bewegt sich als Luftfluss entlang des Stroms“, erklärt der Meteorologe. Ein Spezialfall sei in diesem Zusammenhang die Kölner Bucht: „Hier haben die den Rhein flankierenden Höhenzüge (Bergisches Land und Kölner Ville) einen kanalisierenden Effekt“, so Kesseler-Lauterkorn. Der entstehende Rheintalwind wehe daher dort aus südöstlicher Richtung entlang des Verlaufs. „In Richtung Düsseldorf, wenn die Gebirge enden, kippt dieser Effekt, und es setzt sich zunehmend der übliche Westwind durch“, so der Experte.

Generell spielt auch die Uferlandschaft von Gewässern eine Rolle für das umgebende Mikroklima. Pflanzen, Bäume, Bebauung, Flächennutzung – all das macht einen Unterschied. Gehölze und bewachsene Uferstreifen etwa filtern die Luft und reduzieren die Konzentration von Feinstäuben. Außerdem unterstützen sie durch Beschattung und Verdunstung den Fluss in seiner kühlenden Funktion. „Fließgewässer leisten als sogenannte grün-blaue Infrastruktur einen wichtigen Beitrag zu einem angenehmen Klima sowohl in Städten als auch im ländlichen Raum und zur Anpassung an die Folgen klimatischer Veränderungen“, schreibt der Deutsche Wetterdienst. „Aber“, und das ist dem Meteorologen sehr wichtig, „all diese Parameter haben nur einen lokal begrenzten Einfluss, wir sprechen hier von einem Bereich von wenigen Kilometern“. Außerdem sei grundsätzlich die allgemeine Wetterlage entscheidend. Nur bei einer vor Ort entstehenden Witterung (Fachleute nennen dies „autochthone Wetterlage“) kommen solche Effekte für das Mikroklima überhaupt zum Tragen. Kesseler-Lauterkorn: „Bei einer dynamischen Wetterlage mit starken Hochs oder Tiefs werden solche Mikroeffekte überlagert.“

Und was ist mit dem gerne genutzten Begriff vom Fluss als Wetterscheide? „Das ist eher ein Mythos“, sagt Meteorologe Kesseler-Lauterkorn. Unser Wetter wird in der oberen Atmosphäre gemacht, in etwa fünf bis sechs Kilometern Höhe. „Wenn dort oben eine große dynamische Wetterlage entsteht, ist es völlig egal, ob unten der Rhein fließt, ein kleinerer Höhenzug verläuft oder Bäume stehen.“ Dann fege das Wetter einfach darüber hinweg.

Anders sieht die Lage an einem windschwachen Tag aus, wenn die Luft steht und es keine Höhenströmungen gibt. „Dann kann der Rhein durchaus eine Wetterscheide sein, wo es auf der einen Seite regnet und auf der anderen Seite kein Tropfen fällt“, so Kesseler-Lauterkorn.

Auch der Verlauf eines Flusses kann ein Klimafaktor sein: Mäander – also die Schleifen, in denen sich ein großer Strom sein Fließbett sucht – sind essentiell wichtig für die Bindung von Kohlenstoff aus der Luft. Und das funktioniert so: In diesen Bögen fließt das Wasser gemächlich, aber mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Sand lagert sich abwechselnd dort ab und wird immer wieder weitergespült. An diesen Sandkörnern binden sich organische Kohlenstoffverbindungen aus Pflanzen und Böden. Mit der Zeit gelangen die Sandpartikel mit dem Fluss ins Meer. Dort können sie über sehr lange Zeit bleiben; der an die Sandkörner gebundene Kohlenstoff gelangt also nicht in die Atmosphäre. Erst im vergangenen Jahr haben Wissenschaftler am GeoForschungsinstitut Potsdam in einer Studie diesen Efffekt von Flussmäandern für die Kohlenstoffbindung bewiesen. Das Magazin European Scientist berichtete darüber.

Für den Rhein und seine Geschichte bedeuten die Mäander zwei Seiten einer Medaille: Im 19. Jahrhundert rückte der Ingenieur Karlsruher Ingenieur Johann Gottfried Tulla dem Strom zu Leibe: Unter seiner Initiative begann ein jahrzehntelanges Baggern und Schaufeln vor allem am Oberrhein. Nördlich von Karlsruhe wurden Mäander durchstochen, der Fluss begradigt, verkürzt und in ein starres schnurgerades Bett gezwungen. Am Ende verlor der Rhein zwischen Basel und Mannheim rund 90 Kilometer seines ursprünglichen Flusslaufes. Warum? Man wollte die Schifffahrt erleichtern, das Land für Ackerbau und Viehzucht entsumpfen und gleichzeitig die Gefahr von Seuchen und Hochwassern eindämmen.

Heute wissen wir: Der Fluss gab eine andere Antwort. Statt gemächlich zu mäandern, schoss das Wasser nun viel schneller durch die enge und schnurgerade Fahrrinne. Es grub sie tiefer, so dass der Grundwasserspiegel mit der Zeit sank. Artenreiche Feuchtgebiete trockneten aus. Und auch was den Hochwasserschutz angeht, verfehlte die Begradigung ihr Ziel. Zwar konnte sich Hochwasser nun nicht mehr in den Rheinauen des Oberrheins ausbreiten – dafür überflutete es fortan Gebiete weiter flussabwärts.

Ein Problem, das wir uns in diesen Tagen kaum noch vorstellen können.

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