Mehr als 200 Millionen bis 2050 Wie der Klimawandel Menschen zu Flüchtlingen macht

Analyse | Berlin · Wetterextreme entziehen immer mehr Menschen ihre Lebensgrundlage. Laut Weltbank ist bis 2050 mit über 200 Millionen Klimaflüchtlingen zu rechnen. Doch schon jetzt zwingen Dürre und Überschwemmungen die Betroffenen dazu, ihre Heimat zu verlassen.

Hitze in Europa: Brände, Verkehrschaos und Tausende Hitzetote
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Hitzewelle in Europa - Brände, Verkehrschaos und Tausende Hitzetote

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Foto: AP/Joao Henriques

Es ist die schlimmste Dürre seit 40 Jahren, die der Osten Afrikas derzeit erlebt. Experten rechnen damit, dass die Regensaison dort auch in diesem Jahr ausfallen wird – zum fünften Mal in Folge. Millionen Menschen droht der Hungertod. Doch auch andernorts nehmen Wetterextreme zu und zwingen die Betroffenen, ihr Zuhause zu verlassen. Schon jetzt fliehen zahlreiche Menschen vor den Auswirkungen der Klimakrise.

Das Internal Displacement Monitoring Center zählt in seinem Bericht über Binnenvertreibung rund 22,3 Millionen Menschen, die aufgrund von Wetterextremen im vergangenen Jahr ihre Heimat verlassen mussten. Vor allem Menschen in Ländern des globalen Südens sind davon betroffen. Die Mehrzahl der Flüchtlinge – knapp 19 Millionen – lebt demnach in Asien und dem Pazifikraum. „Immer wieder zerstören Katastrophen ihr Zuhause sowie ihr Hab und Gut, beeinträchtigen die Trinkwasserversorgung, führen zu Ernte- und Einkommensausfällen, kurzum: zerstören oder beeinträchtigen ihre gesamten Lebensgrundlagen“, wie Christian Reuter, Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuz, unserer Redaktion sagte.

Aber auch in anderen Ländern wie Afghanistan, Madagaskar, Südsudan oder gerade in Pakistan hätten Dürren und Überschwemmungen dazu geführt, dass die Menschen nicht mehr wüßten, wie sie sich ernähren sollen, ergänzte Marlehn Thieme, Präsidentin der Welthungerhilfe. Die in der Genfer Konvention festgelegte Definition von Flüchtlingen umfasst als anerkannte Fluchtgründe jedoch nur Krieg, Gewalt und Verfolgung. Eine Flucht werde aber ohnehin durch andere Gründe erschwert: „Die Mehrzahl der Menschen bleibt im Heimatland oder den angrenzenden Ländern, weil sie schlichtweg keine finanziellen Mittel für eine Flucht nach Europa haben“, sagte Thieme auf Nachfrage.

Angesichts fehlender Versicherungen oder Sozialleistungssysteme prognostiziert Thieme dennoch eine Zunahme der Binnenvertreibung: „Wenn die betroffenen Menschen keine Unterstützung bekommen, um sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen, werden sie gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen.“ Gleichzeitig könne aber auch die Ressourcenknappheit vermehrt zu Konflikten führen, wie die deutsche Vertretung des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) zu Bedenken gibt. Wenn sich mehrere Parteien um denselben Flusslauf oder das weniger werdende fruchtbare Ackerland streiten, könnten diese Konflikte dann auch zu Vertreibung führen, sagte ein Sprecher der UNHCR unserer Redaktion.

Einer Schätzung der Weltbankgruppe zufolge könnte es bis 2050 mehr als 216 Millionen Klimaflüchtlinge geben. Eine genau Prognose der zu erwartenden Flüchtlingsströme sei jedoch sehr kompliziert, wie der UNHCR anmerkte. Auch das Entwicklungsministerium verweist auf die stark variierenden Zahlen. Nichtsdestotrotz verdeutliche die Prognose jedoch, dass Entwicklungsregionen wie Afrika am stärksten betroffen seien und dringender Handlungsbedarf bestehe.

„Die Klimakrise ist zutiefst ungerecht. Die Menschen in den ärmsten Ländern haben fast nichts beigetragen zum CO2-Ausstoß, aber sie tragen die größte Last des Klimawandels“, sagte Ministerin Svenja Schulze (SPD) unserer Redaktion. Um diesen Auswirkungen entgegenzuwirken, müsse unter anderem der globale Klimaschutz engagierter vorangetrieben werden. Schulze sieht besonders bei den Industrieländern Handlungsbedarf: „Wir müssen anerkennen, dass es Klimaschäden gibt und gerade die verwundbarsten Länder unsere Solidarität brauchen, um damit umzugehen.“

Einige Gebiete in Afrika erleben die größte Trockenheit seit 40 Jahren.

Einige Gebiete in Afrika erleben die größte Trockenheit seit 40 Jahren.

Foto: dpa/Dong Jianghui

Auch Thieme fordert eine ambitionierte Klimapolitik, „die den Temperaturanstieg begrenzt und den betroffenen Ländern ausreichende Finanzierungen für Anpassungsprogramme und die Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Menschen zur Verfügung stellt.“ Ein globaler Schutzschirm gegen Klimakrisen soll helfen: Die Bundesregierung will gemeinsam mit den G7-Partnern Entwicklungsländer beim Umgang mit Verlusten und Schäden durch den Klimawandel unterstützen. Dazu gehören soziale Sicherungssysteme. „Angefangen bei den verwundbarsten und ärmsten Ländern geht es dann systematisch, Land für Land, um die Frage: Wo sind die größten Risiken und welche effizienten Sicherungs- und Vorsorgesysteme sind nötig, um diese abzufedern?“, so Schulze.

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