Erdrutschsieg für Protestpartei Wie es jetzt für die Niederlande weitergeht

Amsterdam · Der historische Sieg der Protestpartei „BauernBürgerBewegung“ bei den niederländischen Provinzwahlen hat das Land erschüttert. Jetzt stellt sich die heikle Frage, wie die Politik darauf reagiert.

Wähler bei den Provinzwahlen in Amsterdam (Archivbild).

Wähler bei den Provinzwahlen in Amsterdam (Archivbild).

Foto: AP/Peter Dejong

In den Tagen danach wurde das Ausmaß dessen, was da am vergangenen Mittwoch in den Niederlanden geschehen war, erst richtig deutlich: In jeder der zwölf Provinzen, in etwa vergleichbar mit deutschen Bundesländern, hatte die „BoerBurgerBeweging“ (BBB) die Wahlen gewonnen – und das nicht einmal vier Jahre nach ihrer Gründung. Neuesten Berechnungen zufolge bekommt sie damit im neuen Senat, der Ende Mai von den Abgeordneten der Provinzparlamente gewählt wird, 17 der 75 Sitze. Die vier Parteien der Mitte-Rechts-Koalition, die in Den Haag regiert, hat zusammen nur fünf Sitze mehr.

Mit arithmetischen Details wie diesen lässt sich die hellgrüne Welle, die über das Land kam, durchaus vermessen. Weniger sagen sie über die entscheidende Frage aus, die sich daraus ergibt: Wo soll all das noch hinführen? Die der Realität entrückte Einschätzung von Premier Mark Rutte in der Wahlnacht, das Ergebnis habe keinerlei unmittelbaren Einfluss auf die Stabilität seiner Regierung, ist längst knallhart wieder in derselben gelandet. Die schwer abgestrafte Koalition aus Ruttes rechtsliberaler VVD, der progressiv-liberalen D66, Christdemokraten sowie der calvinistischen ChristenUnie muss sich bewegen, nicht zuletzt im Hinblick auf die Parlamentswahlen im Frühjahr 2025.

Unter Druck steht die Koalition auf zwei Ebenen. Die erste ist ganz konkret und betrifft die eigene Stickstoff-Politik: Bis 2030 will Ruttes Regierung den Stickstoff-Ausstoß in den Niederlanden halbieren – ein rotes Tuch vor allem für die Landwirtschaft. Die BBB will dieses Ziel bis 2035 aussetzen und es mit Hilfe innovativer Technik erreichen - also, und das ist der entscheidende Punkt, nicht mit dem im Zweifelsfall erzwungenen Aufkauf stark verschmutzender Agrarbetriebe.

„Keine Enteignungen“ - mit dieser Parole war die BBB in den Wahlkampf gezogen. Caroline van der Plas, Gründerin und Galionsfigur der Partei, bestätigte sie gegenüber unserer Redaktion kurz vor den Wahlen. Es ist auch ihre Devise, wenn in diesen Tagen auf Provinz-Ebene die Koalitionsverhandlungen beginnen. Die BBB mag eine Protestpartei sein, doch keine, die der Regierungsverantwortung aus dem Weg geht.

Ein auffälliges Zeichen ist in dieser Hinsicht die Anstellung der sogenannten Vermittler, einer typisch niederländischen Funktion bei der Regierungsbildung: Meist handelt es sich um graue Eminenzen des Politbetriebs, in der Regel aus den Reihen der stärksten Partei. Nicht so in diesem Fall: In zehn der zwölf Provinzen hatte die BBB zu Wochenbeginn Vermittler ernannt, die ihr nicht angehören. So wird in Südholland, wo etwa Rotterdam und Den Haag liegen, der ehemalige VVD-Staatssekretär Fred Teeven die Lage eruieren. Grund: Ein Vermittler solle neutral sein.

Dass die Wahlsiegerin sich solche Gesten leisten kann, steht außer Frage. Der Druck nämlich liegt ohnehin bei den etablierten Parteien, die sich zur BBB und ihrer Agenda nicht nur verhalten, sondern auch mit ihr kooperieren müssen. Ein Versuch, mit einer möglichst breiten Senatsmehrheit künftig an ihr vorbei Politik zu betreiben, würde den Willen der Wähler grob missachten und sich letztlich kontraproduktiv auswirken, warnte Van der Plas noch in der Wahlnacht. Eine Analyse der Onlinezeitung decorrespondent.nl kam daher in dieser Woche zum Schluss: „Die einzige mögliche Option für dieses Kabinett ist eine Probe-Hochzeit mit der BBB.”

Letzteres freilich ist leichter gesagt als getan: Angesichts der unterschiedlichen Hintergründe und Wählergruppen der Koalitionsparteien birgt eine mögliche Kooperation mit der BBB derart viel Konfliktpotential, dass sie durchaus das Ende der vierten Regierung Mark Ruttes bedeuten könnte. Vor allem gilt das für die Verbindung zwischen den Christdemokraten (CDA), die zahlreiche Wähler an die BBB verloren, und den im progressiven Stadtmilieu verankerten D66, die besonders ambitioniert sind beim Einschränken der Stickstoff-Emissionen und die einen drastisch reduzierten Viehbestand anstreben.

Wopke Hoekstra, der Vizepremier und CDA-Fraktionsvorsitzende, hatte schon im vergangenen Jahr gesagt, das Zieljahr 2030 für die Halbierung der Stickstoff-Emissionen sei „nicht heilig”. Am Wochenende kündigte die Limburger Provinz-Abgeordnete Madeleine van Toorenburg in einer TV-Debatte an, man werde in den Provinzen daran einfach nicht mitarbeiten. Unter den Christdemokraten nimmt der Unmut zu, als ehemalige Partei der Landbevölkerung am schwersten vom BBB-Aufstieg getroffen zu sein. Dieser Unmut könnte auch die Position Hoekstras gefährden - und langfristig den Bestand der Koalition.

Hans Huibers, der christdemokratische Parteivorsitzende, betonte im öffentlich-rechtlichen Sender NOS, dass „nun den Menschen in der Provinz wirklich zugehört werden” müsse, vor allem beim Thema Stickstoff. Damit spielte er auf die zweite Ebene des BBB-Erfolgs an, bei dem die Debatte um Bauern und Umweltauflagen zwar ein wesentlicher, aber längst nicht der einzige Aspekt ist. Die Hälfte der hellgrünen Stimmen kommt nicht von der Landbevölkerung, sondern von Städtern, die freilich nicht weniger unzufrieden mit der Rutte-Regierung sind.

Wie unbequem deren Lage ist, wurde am Montag von ganz anderer Seite noch einmal verdeutlicht: Der jüngste Bericht des Klimapanels der Vereinten Nationen (IPCC) unterstrich einmal mehr, dass beim Kampf gegen den Klimawandel keine Zeit zu verlieren ist. Die latente Stickstoffkrise in den Niederlanden trägt freilich auch dazu bei, dass ein wachsender Teil der Gesellschaft solche Berichte inzwischen als Panikmache abtut.

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