Erdrutsch-Sieg für Protestpartei bei Provinzwahlen Eine hellgrüne Welle überrollt die Niederlande

Den Haag · Die Protestpartei BBB gewinnt die Provinziwahlen mit großem Abstand. Das Ergebnis ist eine drastische Abrechnung mit der Rutte-Regierung.

Umgedrehte niederländische Fahnen wehen in der Nähe eines Bauernhofes aus Protest gegen die Pläne der niederländischen Regierung, den Ausstoß von Stickstoffschadstoffen in der Landwirtschaft des Landes drastisch zu reduzieren.

Umgedrehte niederländische Fahnen wehen in der Nähe eines Bauernhofes aus Protest gegen die Pläne der niederländischen Regierung, den Ausstoß von Stickstoffschadstoffen in der Landwirtschaft des Landes drastisch zu reduzieren.

Foto: dpa/Peter Dejong

Es hatte sich abgezeichnet, doch am Ende übertraf das Ergebnis alle Erwartungen: Mit einem Erdrutschsieg der BoerBurgerBeweging (BBB) bei den Provinzwahlen hat sich die politische Landschaft in den Niederlanden drastisch verändert. Die Protestpartei von Caroline van der Plas wurde bei ihrer ersten Teilnahme mit Abstand die stärkste Partei. Die Mitte-Rechts-Regierung von Premier Mark Rutte erlitt dagegen eine empfindliche Klatsche, die in Den Haag lange nachwirken dürfte. Kommentatoren und Politiker mehrerer Parteien stellten noch in der Wahlnacht die Frage nach dem Fortbestand der Koalition.

Bereits die ersten Nachwahlbefragungen aus dem urban geprägten Nord-Holland mit der eher links wählenden Hauptstadt Amsterdam hatten die hellgrüne (Hellgrün ist die Farbe der BBB) Welle an: Selbst hier liegt die Partei mit acht Sitzen an der Spitze, wenn auch gemeinsam mit der VVD von Premier Rutte. In den ländlicheren Provinzen war das Ergebnis noch wesentlich deutlicher: In Overijssel holte die BBB knapp ein Drittel der Stimmen und 17 Sitze - mehr als die vier Den Haager Koalitionsparteien zusammen. In Nord-Brabant sprang sie aus dem Stand mit zwölf Sitzen an die Spitze. Im nordöstlich gelegenen Drenthe gab es ebenfalls 17 Sitze gegenüber vier für die VVD. In Gelderland, Ursprung der Bauernproteste des vergangenen Sommers, waren es 13 gegenüber sechs für die Regierungspartei.

Dass der Urnengang zu einer derartigen Abrechnung mit dem Kabinett wurde, liegt im niederländischen Wahlsystem begründet. Anders als die Landtagswahlen in Deutschland finden die Wahlen zu den zwölf Provinzparlamenten alle am gleichen Tag statt. Dazu spielen die Provinzen eine kleinere Rolle als die deutschen Bundesländer, sodass sich die Wahl als unmittelbare Reaktion auf die Politik in Den Haag anbietet. Hinzu kommt, dass die Provinzabgeordeneten Ende Mai die Mitglieder der Ersten Kammer, des Senats, wählen, der wiederum für neue Gesetzesvorhaben essenziell ist.

In den bisherigen Prognosen, die spät in der Nacht eintrafen, steht die BBB auch hier entsprechend deutlich vorne und erhält 15 der 75 Sitze. Teilen wird sie sich den Status als stärkste Fraktion demnach mit der sozialdemokratischen Partij van de Arbeid sowie GroenLinks, die im Senat künftig die Kräfte bündeln wollen. Während GroenLinks bei acht Sitzen stagniert, gewann die PvdA einen hinzu und liegt nun bei sieben. Für die Regierung bedeutet das eine besonders heikle Lage: mit bislang 16 Sitzen ist sie weit entfernt von einer Mehrheit und damit entweder auf linke oder auf BBB-Stimmen angewiesen.

Während Premier Rutte in der Wahlnacht abstritt, dass das Ergebnis unmittelbare Folgen für seine Koalition habe, erhöhte die triumphierende BBB- Chefin Van der Plas den Druck auf Den Haag: „Die Leute, auf die seit Jahren nicht gehört wurde, haben ihre Stimme hören lassen - und wie!”, sagte sie im öffentlich-rechtlichen Fernsehsender NOS. Die Koalition müsse nun mit der BBB verhandeln. Ihre Partei sei bereit für Regierungsverantwortung. Mehrfach betonte die Wahlsiegerin zudem, ihr Erfolg sei nicht allein den anhaltenden Bauernprotesten und der Stickstoffkrise geschuldet.

Eine Umfrage, deren Ergebnisse in der Wahlnacht publiziert wurden, bestätigt das: 60 Prozent der teilnehmenden Wähler nannten ihre Stimme eine Reaktion auf die Regierungspolitik. Als Hauptgrund wurde dabei die „Unfähigkeit” des Kabinetts genannt- eine schallende Ohrfeige, die zugleich die Trends aus Untersuchungen der letzten Zeit bestätigt: Diese hatten den etablierten Parteien starke Vertrauensverluste bescheinigt.

Besonders drastisch trifft dies aktuell die Christdemokraten: Der CDA, bisher gerade auf dem Land ein bestimmender Faktor, verlor vielfach die Hälfte seiner Stimmen und behält im Senat wohl nur noch fünf seiner neun Sitze. Parteichef Wopke Hoekstra nannte das Ergebnis eine „außergewöhnlich bittere Pille” und sprach von einem „Erdrutsch, wie wir ihn seit Jahren nicht erlebt haben”. Der Aufstieg der BBB geht freilich nicht allein auf Kosten der Regierungsparteien: Auch die rechtspopulistische Freiheitpartei von Geert Wilders verlor Stimmen an sie und büßt wohl einen ihrer fünf Senatssitze ein.

Die erst 2019 gegründete BBB ist durchaus populistisch und konservativ, hebt sich aber deutlich von der rabiat migrantenfeindlichen PVV von Geert Wilders oder dem offen rechtsextremistischen Forum voor Democratie (FvD) ab. “Wenn man schaut, wie wir abstimmen, liegen wir ein bisschen rechts von der Mitte. Im sozialen Bereich eher links”, sagte Van der Plas in einem Telegraaf-Interview kurz vor der Wahl. Man versteht sich als “Stimme der Provinz” und galt lange als Vertreterin von Bauern, die sich von der Stickstoff-Politik der Regierung in ihrer Existenz bedroht sehen.

Während deren Proteste gegen verschärfte Umweltschutzmaßnahmen aus Den Haag im vergangenen Sommer weitreichende Unterstützung im Rest der Bevölkerung bekamen, geriet auch die BBB in den Fokus von Menschen und Gruppierungen, die die Regierungspolitik scharf kritisieren - etwa auf dem Gebiet der Migration, aber auch der Behandlung von Erdbebenopfern aus Groningen oder Betroffenen der sogenannten Kindergeld-Affäre. Dabei waren Tausende Leistungsempfänger fälschlicherweise des Betrugs bezichtigt und mit horrenden Rückzahlungsforderungen konfrontiert worden.

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