Uwe Janssens bei Anne Will „Wir müssen den Menschen ein positives Ziel geben“

Düsseldorf · Sollte „No Covid“ Deutschlands neue Strategie zur Coronabekämfpung sein? Anne Will diskutiert mit ihren Gästen wieviel Zumutung angesichts neuer Virus-Mutanten nötig ist.

Darum ging es

Anne Will beginnt ihren Sonntagabend-Talk zur Abwechslung mit einer guten Nachricht: Die Zahl der täglichen Neuinfektionen sinkt. Dann allerdings geht es auch in Sachen Optimismus eine Stunde lang bergab. “Wie viel Zumutung braucht es jetzt?” ist das Thema ihrer Sendung, in der es vor allem über die richtige Strategie im Umfang mit den neuen Corona-Mutanten gehen soll.

Die Gäste

  • Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, SPD
  • Helge Braun, Bundeskanzleramtsminister, CDU
  • Vanessa Vu, Redaktuerin von „Zeit Online“
  • Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft
  • Uwe Janssens, Intensivmediziner

Der Talkverlauf

Kanzleramtschef Helge Braun geht davon aus, dass die ansteckendere Mutationen des Virus bald auch in Deutschland die dominante Form wird. „Sie ist bei uns im Land angekommen und deshalb wird sie irgendwann so wie in anderen Ländern auch dann die Führung übernehmen und wird Probleme machen“, sagte der CDU-Politiker und ergänzt: „Da bin ich sehr sicher.“ Wichtig sei deshalb jetzt, dass wir “den Kurs halten” und die “Zahlen sehr stark senken.“ Nur mit niedrigeren Infektionszahlen lasse sich die Mutation - vor allem der in Großbritannien bekannte  Virustyp B.1.1.7 – aber auch das Stammvirus in Schach halten.

So richtig einig, wie das laufen soll, sind sich die Gäste in der ARD-Sendung allerdings nicht. Journalistin Vanessa Vu wünscht sich verbindlichere Homeoffice-Regelungen. Eine Zeit-Online Umfrage habe gezeigt, dass viele Arbeitnehmer, die zu Hause arbeiten könnten, sich gedrängt  fühlten doch ins Büro zu gehen. Im Übrigen hält sie eine No-Covid-Strategie für vielversprechend: die Zahlen ganz in Richtung Null zu bringen, ähnlich wie es in einigen asiatischen Ländern, in Neuseeland und Australien versucht werde, wo menschlicher Kontakt für eine begrenzte Zeit komplett reduziert wurden.


Von den im Zweiwochen-Rhythmus wechselnden Ansagen hält sie hingegen nichts.“Die Leute sind völlig zermürbt.” Eine No-Covid-Strategie hingegen biete eine positive Zukunftsperspektive, “weil es sich lohnt, die niedrigen Zahlen zu erreichen”. Es sei ja nicht so, “dass wir damit unsere Demokratie oder Freiheiten aufgeben.” Im Gegenteil: durch Anstrengungen auf lokaler Ebene ließen sich Freiheiten zurückzugewinnen.

Michael Hüthers und Malu Dreyer glauben nicht daran, dass ein vollständiges Eindämmen durch derart strenge Restriktionen in Deutschland erreichbar ist. “Europa ist kulturell und sozial so verflochten”, begründet Dreyer warum sie die Strategie für nicht realisierbar hält. Die Rheinland-Pfälzerin hofft stattdessen auf “bessere Zahlen” bis Mitte Februar, denn “die Menschen brauchen wieder Perspektiven.”

Auch Hüther hält das australische Modell für abwegig: Wirtschaftlich wie auch menschlich sei das nicht zumutbar. Im Übrigen ärgert er sich darüber “dass der Wechselunterricht politisiert wurde” und klagt, vor allem müsse der Bildungsauftrag aufrechterhalten werde. Der Ausfall von Bildungszeiten müsse ausgeglichen werden, allen jungen Leuten müsse durch praktische Maßnahmen faire Bildungschancen gegeben werden.

Anne Will zitiert eine ARD-Umfrage, derzufolge 54 Prozent der Bevölkerung mit dem Krisenmanagement derzeit nicht oder wenig zufrieden sind. Der Kanzleramtschef sieht das anders und versucht gute Laune zu verbreiten. Er lobt die Reduzierung der Infektionsfälle innerhalb einer Woche um 28 Prozent. „Die Menschen haben die Botschaft verstanden”, meint er. Natürlich seien Eltern und Kinder genervt, das sei verständlich, aber immerhin befinde man sich in einer “Jahrhundertnaturkatastrophe”. Es müsse alles getan werden, um die vulnerablen Gruppen im Land zu schützen.

Intensivmediziner Janssen ist allerdings der Ansicht, die Politiker müssten den Menschen noch klarer beibringen, wie dringend eine “furchtbare dritte Welle” vermieden werden müsse. Die Infektionen müssten deutlich unter die magische Zahl von 50 Fällen pro 100.000 Einwohner gebracht werden und davon sei man derzeit weit entfernt. „50 war mal ein Schreckgespenst“, sagt er jetzt sei man deutlich darüber. „Wir müssen das Ziel aber deutlich weiter unten ansiedeln“, sagt Jansssen, „Wir müssen den Menschen ein positives Ziel geben und  nicht dauernd Angst“.

Er kann auch dem harten Lockdown, wie er im australischen Melbourne umgesetzt wurde, durchaus etwas abgewinnen, denn dort seien “die Menschen positiv mitgenommen worden.”  In Deutschland ist ihm die Situation dagegen zu verzettelt. Er empfiehlt die Methode “Hit hard and hit early!” (hart und früh zuschlagen), etwa wie Ärzte es bei einem septischen Patienten tun würden. Er vergleicht das Land mit diesem Patienten im Intensivbett, über den sich 16 Ärzte und die Chefärztin beugen und jeder schlage eine andere Therapie vor. Auf die Art werde der Patient aber nicht gesund.

(juju)
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