Tote und Verletzte in Schleswig-Holstein Nach Messerattacke in Zug – Suche nach Antworten

Update | Brokstedt · Furchtbare Szenen im Regionalzug: Ein Angreifer tötet zwei Menschen und verletzt sieben weitere. Dutzende werden Zeugen des Verbrechens – und einige mutige Fahrgäste überwältigen den Täter. Doch was trieb ihn an?

Zwei Tote bei Messerattacke im Zug nahe Brokstedt
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Zwei Tote bei Messerattacke im Zug nahe Brokstedt

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Foto: dpa/Jonas Walzberg

Nach dem tödlichen Angriff in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg bleiben Schock, Trauer und die Frage nach dem Warum. Polizei und Staatsanwaltschaft wollen ihre Ermittlungen zu der Attacke, bei der zwei Menschen starben und sieben verletzt wurden, am Donnerstag fortsetzen. Das Verbrechen hatte am Mittwoch einen Großeinsatz von Polizei und Rettungskräften ausgelöst und weit über Schleswig-Holstein hinaus für Entsetzen gesorgt. Ein 33 Jahre alter staatenloser Palästinenser soll während der Fahrt auf mehrere Fahrgäste eingestochen haben. Ein vergleichbar schweres Gewaltverbrechen in einem Zug gab es nach Angaben von Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (parteilos) in Schleswig-Holstein noch nicht.

Pressekonferenz zum Stand der Ermittlungen

Zwei Opfer starben, sieben Menschen wurden nach ersten Erkenntnissen verletzt. Auch der mutmaßliche Täter, den Zeugen überwältigten, wurde verletzt. Zu den Identitäten der Opfer gab es am Mittwoch noch keine Angaben, sie seien noch nicht zweifelsfrei geklärt, teilte die Polizei mit. Schleswig-Holsteins Innenministerium ordnete für Donnerstag Trauerbeflaggung an. Am Donnerstag wollen sich Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) und der Leiter der Polizeidirektion Itzehoe, Frank Matthiesen, bei einer Pressekonferenz in Kiel zum Stand der Ermittlungen äußern.

Viele Fragen blieben in den Stunden nach der Tat offen. „Die Hintergründe sind noch unklar“, sagte eine Polizeisprecherin am Mittwoch. Es gab erste Hinweise, dass der mutmaßliche Angreifer geistig verwirrt sein könnte, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen erfuhr. Nach vorläufigen Erkenntnissen war er in Norddeutschland bislang nicht als Extremist aufgefallen.

Nach Informationen von „Spiegel“ und „Welt“ soll der Mann aber mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten, laut NDR mehrfach vorbestraft sein. Wie dpa aus Sicherheitskreisen erfuhr, soll er bis letzte Woche inhaftiert gewesen sein. NDR und „Spiegel“ zufolge hatte er zuletzt in Untersuchungshaft gesessen.

Mutige Zeugen stoppten den Täter

Die Ermittler befragten Dutzende Zeugen aus dem Zug, der mit rund 120 Fahrgästen besetzt war, in einem Gasthof in der Nähe des kleinen Bahnhofs der Gemeinde im Kreis Steinburg. Offenbar konnten mutige Fahrgäste Schlimmeres verhindern, sie überwältigten den Angreifer und hielten ihn fest.

Nach der Tat drückte auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Betroffenen ihr Mitgefühl aus. „All unsere Gedanken sind bei den Opfern dieser furchtbaren Tat und ihren Familien“, schrieb die Politikerin im Kurznachrichtendienst Twitter. Dies sei eine „erschütternde Nachricht“. Sütterlin-Waack eilte am Nachmittag zum Tatort und ließ sich informieren. Sie hatte von dem Verbrechen während einer Landtagssitzung erfahren. Sie sei „in Gedanken bei den Familien und Angehörigen der Opfer“.

Günther: „Das ist ein furchtbarer Tag.“

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sprach am Mittwochabend in Kiel von einer schrecklichen und sinnlosen Tat. „Schleswig-Holstein trauert - das ist ein furchtbarer Tag“, sagte Günther. Er denke an alle, die trauerten und um die Verletzten bangten. Er sei in Gedanken und Gebeten bei den Menschen, bei den Angehörigen. Der Regierungschef dankte den Einsatzkräften für deren Arbeit und auch denen, die sich um die Passagiere und Zeugen im Zug sowie um die Verletzten gekümmert hätten.

Die Deutsche Bahn sprach den Angehörigen der Opfer tiefes Mitgefühl aus. „Den Verletzten wünschen wir eine baldige und vollständige Genesung.“

In der Nacht zum Donnerstag wurden die getöteten Opfer von Bestattern aus dem beim Bahnhof in Neumünster abgestellten Zug geholt, wie ein dpa-Fotograf sah. Auch die Spurensicherung war weiter aktiv.

Mit Messern bewaffnete Gewalttäter haben in Zügen oder an deutschen Bahnhöfen schon einige Male Menschen angegriffen:

Herzogenrath, Mai 2022: Bei einer Messerattacke in einer Regionalbahn erleiden vier Fahrgäste nicht lebensgefährliche Verletzungen. Mehrere Fahrgäste überwältigen den aus dem Irak stammenden Täter. Hinweise auf einen Terrorismus oder eine religiöse Radikalisierung gibt es nicht. Im Januar 2023 ordnet das Landgericht Aachen die Unterbringung des 35-Jährigen in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Bayern, November 2021: In einem ICE, der gerade zwischen Regensburg und Nürnberg unterwegs ist, verletzt ein 27-Jähriger vier Männer mit einem Messer teils schwer. Im Dezember 2022 wird der in Syrien aufgewachsene, palästinensische Täter zu 14 Jahren Haft verurteilt. Das Gericht geht von einem radikal-islamistischen Hintergrund aus. Die Verteidigung legt Revision ein.

Rommerskirchen, März 2021: Ein 25-Jähriger sticht in einer Regionalbahn im Rhein-Kreis Neuss auf einen 16-Jährigen ein. Der Jugendliche wird schwer verletzt. Davor war der Täter bei einer Kontrolle im Zug ohne Fahrschein erwischt worden. Im Oktober 2021 erhält der drogenkranke Pole eine Haftstrafe von acht Jahren.

Aschaffenburg, April 2017: In einem ICE verletzt ein 43-Jähriger Mitreisende mit einem Messer am Hals. Polizisten und Bundeswehrsoldaten überwältigen den stark alkoholisierten Angreifer. Im November 2017 verurteilt das Landgericht Aschaffenburg den angeklagten Niederländer zu acht Jahren Haft. Anzeichen für einen terroristischen Hintergrund gibt es nicht.

Würzburg, Juli 2016: In einem Regionalzug geht ein 17-Jähriger mit Axt und Messer auf Fahrgäste los und verletzt vier von ihnen. Auf der Flucht greift er noch eine Passantin an. Polizisten erschießen den afghanischen Flüchtling, der sich in einem Video als Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat bezeichnet hat.

München, Mai 2016: Am S-Bahnhof Grafing sticht ein 27-Jähriger um sich, tötet einen Menschen und verletzt drei. Der gebürtige Hesse kommt nach einem Urteil des Münchner Landgerichts II vom August 2017 dauerhaft in die Psychiatrie.

(felt/akir/dpa)
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