Termine knapp Booster für alle führt zu Ansturm auf Praxen

Düsseldorf · Jens Spahn empfiehlt eine Auffrischung schon vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist. Hausärzte sind entsetzt: Teilweise gibt es bis Februar keine Termine mehr - und die Älteren sind noch lange nicht durch. NRW-Minister Laumann entschuldigt sich bei den Ärzten für seinen Golf-Spruch.

 Hausärzte impfen bereits im Akkord.

Hausärzte impfen bereits im Akkord.

Foto: dpa/Friso Gentsch

Angesichts neuer Höchstwerte bei den Corona-Infektionen rückt die Booster-Impfung für alle Erwachsenen näher. Der Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, stellte eine Empfehlung für alle volljährigen Bürger in Aussicht. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) löst allerdings mit einem Brief einen Ansturm auf die Praxen aus.

Wer soll sich boostern lassen? Bislang hat die Stiko die Auffrischung nur für alle Menschen ab 70 Jahren, für Immungeschwächte, für Heim- und Klinikpersonal sowie für Johnson & Johnson-Geimpfte empfohlen. Nun rückt eine Booster-Empfehlung für alle ab 18 Jahren näher. Man werde am Mittwoch „über die nächste, fortgeschriebene Empfehlung beraten – und das wird nicht lange dauern“, kündigte Stiko-Chef Thomas Mertens in der Talkshow „Lanz“ an. Die Empfehlung könnte bis auf 18 Jahre gesenkt werden könnte. Die Gesundheitsminister hatten schon früher eine Auffrischung für weitere Altersgruppen empfohlen. Doch viele Ärzte orientieren sich an der Stiko.

Wann soll man sich boostern lassen? Die Stiko empfiehlt, dass die Auffrischung sechs Monate nach Gabe der zweiten Dosis erfolgen soll. Beim Einmal-Impfstoff von Johnson & Johnson kann die Auffrischung bereits nach vier Wochen erfolgen. Doch nun sorgt Spahn mit einem Brief an die niedergelassenen Ärzte für Ärger, in dem er den Booster auch schon nach weniger als sechs Monaten empfiehlt. In dem Brief schreibt Spahn: „Der gemäß Zulassung vorgesehene Abstand von sechs Monaten ist als zeitliche Richtschnur zu verstehen, der natürlich nicht tagesgenau einzuhalten ist. Sie können daher jede Patientin und jeden Patienten ab 18 Jahren, auch wenn sie nicht zu den Risikogruppen gemäß der aktuellen Stiko-Empfehlung gehören, zeitnah und auch vor Ablauf der sechs Monate im eigenen Ermessen impfen.“ Damit ist klar, dass sich nun jeder Erwachsene boostern darf – und das auch schnell.

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Bekommt man überhaupt einen Termin? Der Hausärzteverband NRW ist entsetzt über die Entwicklung. „Natürlich wird es jetzt erneut einen Ansturm geben. Es ist unverantwortlich, dass Herr Spahn sich ständig über die Empfehlungen der Stiko hinwegsetzt, auch wenn diese jetzt schon ankündigt, hierzu bald verlässliche Daten zu haben. Wer ist hier eigentlich Experte?“, sagte Verbandschef Oliver Funken. „Diese kontinuierliche Verbreitung von Halbwahrheiten steigert die Unsicherheit in der Bevölkerung. Die Politik macht sich unglaubwürdig“, sagte Funken unserer Redaktion. Schon jetzt haben Patienten – auch aus Risikogruppen – Probleme, einen Termin für die Auffrischung zu bekommen. Teilweise seien in den Praxen schon bis Februar keine Impftermine mehr zu bekommen. So haben in Nordrhein-Westfalen erst 13,4 Prozent der über 60-Jährigen eine Booster-Impfung erhalten. Funken rief die Patienten zur Besonnenheit auf: „Es macht medizinisch wenig Sinn, die Auffrischung vorzuziehen. Wer im Juli/August geimpft wurde, braucht auch erst im Januar/Februar die Auffrischung.“ Der Impfschutz bricht nicht plötzlich ab.

Können die Ärzte auch am Wochenende impfen? „Wenn man die Kapazitäten erweitern soll, muss man in den Mittwochnachmittag und an den Samstag gehen. Hierzu wurden jetzt auch Anreize geschaffen“, sagte Funken. Über diese Frage ist Streit zwischen NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) und den Ärzten ausgebrochen. Laumann hatte laut „Ärztezeitung“ bei einer Veranstaltung mit Bezug auf das Impftempo bei Hausärzten gesagt: „Statt Golfplatz am Samstag Impfen am Samstag.“ Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein reagierte empört: „Diejenigen, die sich unermüdlich für den Gesundheitsschutz der Menschen in NRW einsetzen, verdienen mehr Respekt“, sagte KV-Chef Frank Bergmann. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sprach von einer „zynischen und unangebrachten Unterstellung“ des Ministers. Der ruderte nun zurück: „Die Ärzte sowie ihre Mitarbeiter leisten tagtäglich Großartiges und haben den entscheidenden Anteil an der Pandemiebekämpfung. Ich einen Vergleich gezogen, der zu Irritationen geführt hat. Das bedauere ich sehr und dafür entschuldige ich mich.“

Wird es auch für Kinder eine Booster-Impfung geben? Der Hausärzteverband rechnet damit. „Die 16- bis 18-Jährigen sind seit Ende Mai geimpft worden. Für diese Altersgruppe muss es eine zeitnahe Lösung geben“, so Funken. Die Jugendlichen hätten unter dem Lockdown besonders gelitten und litten auch heute noch mehr unter Einschränkungen. „Sie sind offen für das Impfen. Aber auch hier warten wir auf valide Daten, die auch kommen werden.“

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