Steigende Infektionszahlen Corona bringt Praxen in NRW ans Limit

Düsseldorf · Nachdem zuletzt vor allem junge Menschen von der Omikron-Welle betroffen waren, trifft es jetzt deren Eltern und Großeltern. Hausärzte verabreichen zunehmend antivirale Medikation, um schwere Verläufe zu verhindern.

Corona NRW:  So hat sich das Virus seit Beginn ausgebreitet - 2020 bis 2023
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Foto: dpa/Jens Büttner

Mit Sorge blicken die Allgemeinmediziner im Land auf die steigenden Infektionszahlen in NRW: „Die Positivtestungen schnellen gerade nach oben und auch die Zahl der PCR-Testungen, die wir bei symptomatische Patienten machen müssen, nehmen wieder sehr stark zu“, sagte der Vorsitzende des Hausärzteverbands Nordrhein, Oliver Funken, unserer Redaktion. In der vergangenen Woche seien es vor allem Jugendliche und junge Erwachsene bis 30 Jahren gewesen, inzwischen komme die nächste Generation, also deren Eltern. „Wir erleben auch mit steigender Tendenz, dass sich die Großeltern bei den Enkeln anstecken.“

Die Mediziner hätten bei den hochvulnerablen Gruppen begonnen, Ersatzreserve-Medikamente, also antivirale Medikation, zu verabreichen, um schwere Verläufe zu verhindern. „Parallel laufen die Anstrengungen zur vierten Impfung weiter, weil wir zwar Omikron als mildere Variante sehen, dahinter aber Delta weiterläuft“, so der Hausärzte-Chef.

Das NRW-Gesundheitsministerium erklärte, in den Krankenhäusern sei seit einigen Tagen ein erneuter Anstieg der Neuaufnahmen und der Gesamtzahl positiver Patienten auf den Normalstationen zu beobachten. „Die Werte liegen aktuell aber unter den Höchstständen, die zuletzt Mitte Februar zu verzeichnen waren“, so eine Sprecherin. Auf den Intensivstationen sei hingegen bislang kein Anstieg zu verzeichnen. „Die weitere Entwicklung in diesem Bereich wird besonders von der Entwicklung der Inzidenzen in den höheren Altersgruppen abhängen.“

Die Inzidenzen in den jüngeren Altersgruppen spielten für die Krankenhausversorgung aber auch eine Rolle, weil daraus Erkrankungen und Quarantänefälle bei Mitarbeitern resultieren könnten. „Das Ministerium erreichen weiterhin Berichte von Krankenhäusern, die sich durch derartige Ausfälle in der Mitarbeiterschaft belastet sehen. Diese Einschränkungen lassen sich aber in der Versorgung bisher regional kompensieren“, sagte eine Sprecherin von Minister Karl-Josef Laumann (CDU). Ähnliches schildert Funken: „Zunehmend müssen Arztpraxen schließen, weil das Personal sich angesteckt hat. Wir laufen erneut auf eine massive Belastung und Engpässe im Gesundheitswesen zu.“ Die Belastung der kritischen Infrastruktur scheine jetzt zu greifen.

Der Anstieg bei den Infektionszahlen wirft auch ein anderes Licht auf die ab dem 20. März geplanten Lockerungen beim Bundesinfektionsschutzgesetz. Weil die Entwurfsfassung noch im Bundestag beraten werden müsse, sind aus Sicht des NRW-Gesundheitsministeriums Verschärfungen der derzeitigen Maßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt nicht zielführend. Das Ministerium habe sich in seiner Rückmeldung an das Bundesgesundheitsministerium für eine gesetzliche Regelung ausgesprochen, „die erforderliche Schutzmaßnahmen im Falle einer dynamischen Infektionsentwicklung in der gebotenen Schnelligkeit ermöglicht sowie einen effektiven Basisschutz sicherstellt“, so die Laumann-Sprecherin weiter. „Dies ist nach dem gegenwärtig vorliegenden Entwurf nicht hinreichend sichergestellt.“

Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Mehrdad Mostofizzadeh, warnte: „Wir sind in dieser Pandemie noch nicht über den Berg. Daher brauchen wir weiterhin Corona-Schutzmaßnahmen wie Masken und Abstandsregeln.“ Die Maskenpflicht solle weiter nicht nur im Nahverkehr, sondern auch im Einzelhandel und auch vorerst noch in den Schulen gelten, forderte er. Insbesondere mit Blick auf den Herbst und mögliche weitere Wellen bräuchten die Länder einen Handlungsspielraum, um auf steigende Infektionszahlen reagieren zu können. Auch Oppositionsführer Thomas Kutschaty (SPD) bezeichnete die vorgesehenen Maßnahmen als nicht ausreichend. „Die Maske ist nach wie vor der beste und effektivste Schutz, den wir haben. Sie macht uns zwar nicht schöner, aber sicherer. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass wir auch weiterhin eine allgemeine Maskenpflicht nicht nur als Hotspot-Regelung, sondern als Basisschutz-Maßnahme beibehalten, also auch in Schulen.“

Eine Frau lässt sich in der Praxis ihrer Hausärztin die dritte Impfung mit dem Comirnaty-Impfstoff des Herstellers Biontech/Pfizer injizieren.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Ärztefunktionär Funken geht davon aus, dass die Lockerungen nicht mehr aufzuhalten sind. „Wir müssen deswegen alles tun, um die vulnerablen Gruppen zu schützen und eine fünfte Welle zu verhindern.“ Die Hoffnungen, die mit dem neuen Impfstoff Novavax verknüpft waren, hätten sich nicht erfüllt. „Deswegen sollten wir jetzt pandemisch agieren und den unbenutzten Impfstoff an die Länder abgeben, die ihn wirklich verimpfen.“ Zudem müsse man konsequent diejenigen impfen, die jetzt zu uns kämen. „Wir können es uns nicht leisten, dass wir hier im Zuge des Fluchtgeschehens einen massiven Delta-Ausbruch bekommen. Die Gefahr sehe ich eindeutig.“