Mutation in Dänemark Corona auf Nerzfarmen alarmiert die Welt

Kopenhagen · Gefährliche Virus-Mutation oder Überreaktion? Der Umgang mit infizierten dänischen Pelztieren erregt die Gemüter in unserem Nachbarland und in ganz Europa. Mit etwa 17 Millionen Tieren und einem Anteil von 40 Prozent an der weltweiten Produktion ist Dänemark die Nummer eins bei der Nerzzucht.

 Tote Tiere einer Nerzherde im dänischen Naestved. Die Regierung hatte zuvor ihre massenhafte Tötung angeordnet.

Tote Tiere einer Nerzherde im dänischen Naestved. Die Regierung hatte zuvor ihre massenhafte Tötung angeordnet.

Foto: dpa/Mads Claus Rasmussen

Es waren Bilder, die unter die Haut gingen: In Ganzkörperschutzanzügen, mit Gasmasken und Kohlendioxid, abgeschirmt durch das Militär, begannen die Männer und Frauen des dänischen Notfalldienstes am Samstag in Nordjütland ihr trauriges Werk. Die dortigen Nerze und später alle 17 Millionen Tiere auf Dänemarks Nerzfarmen sollen bis zum 16. November getötet werden, damit neben Covid-19 nicht auch noch Covid-20 zum unbeherrschbaren Problem für die Dänen und später für die ganze Menschheit werden könnte.

Die staatliche dänische Gesundheitsbehörde „Statens Serum Institut“ (SSI) geht von einer gefährlichen Mutation von Sars-CoV-2 aus, in Fachkreisen auch bekannt als „Cluster 5“. Es soll vom Amerikanischen Nerz auf den Menschen zurückübertragen worden sein. Das Cluster 5 habe sich im Körper des Tieres so stark verändert, dass es eine verringerte Empfindlichkeit gegenüber Antikörpern gegen die bisherige Version des Coronavirus zeigte. Auch die Impfstoffe, die derzeit entwickelt würden, könnten somit nur schwächer wirksam sein, so die Einschätzung der Wissenschaftler. Festgestellt wurde Cluster 5 bei elf Personen in der Region Nordjütland und einem Bewohner der Insel Seeland.

Für Nordjütland wurde ab Samstag laut der dänischen Regierungschefin Mette Frederiksen „ein echter Lockdown“ ausgerufen. Die Bewohner sollen möglichst für vier Wochen zu Hause arbeiten und dürfen die Gemeindegrenzen nicht überschreiten. Nur noch Mitarbeiter systemrelevanter Berufsgruppen wie Angehörige des Militärs und der Notfalldienste bekommen Ausnahmegenehmigungen.

Die Situation ist ernst: Nachweislich 214 Personen hatten sich in Dänemark mit fünf Mutationsvarianten des Virus infiziert. Laut SSI könnten „neue Virusmutationen auftreten“. Somit sei es „die richtige Entscheidung, alle Nerze in Dänemark zu töten“. Die damit verbundenen Kosten für die Maßnahmen und die fälligen Entschädigungen werden auf umgerechnet 670 Millionen Euro veranschlagt.

Abseits aller gesundheitlichen Notwendigkeit ist das ein schwerer Schlag für die Branche. Dänemark ist mit mehr als 1100 Farmen, etwa 17 Millionen Tieren und einem Anteil von 40 Prozent an der weltweiten Produktion die Nummer eins bei der Nerzzucht. Im vergangenen Jahr wurden im Nachbarland rund 19 Millionen Nerze gezüchtet, die Züchter nehmen zusammengerechnet 1,2 Milliarden Euro ein. „Uns ist der Boden unter den Füßen weggerissen worden. Die Nerzzucht war unser Leben. Das, wovon wir weiter leben wollten, wie wir es in den vergangenen 20 Jahren getan haben“, sagte der dänische Züchter Henrik Germansen der „Wirtschaftswoche“. Allein sein Betrieb hat 35.000 Tiere. 

Die Züchtung hierzulande hat sich seit September 2017 stärker ins Ausland verlagert. Seitdem gilt in Deutschland das Tiererzeugnisse-Handels-Verbotsgesetz, das gewerbliche Pelztierhaltung nur noch unter strengen Anforderungen zulässt. Das hat die Zucht in vielen Fällen unprofitabel gemacht. In den Niederlanden wurden bereits im Sommer 500.000 Nerze wegen des Virus getötet.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht es noch nicht als erwiesen an, dass die Mutation gegenüber den in der Entwicklung befindlichen Impfstoffen resistent ist. WHO-Europadirektor Hans Kluge warnt davor, „übereilte Schlussfolgerungen zu ziehen“. Während das viel stärker von Pandemie betroffene Großbritannien vorsorglich dänischen Staatsbürgern die Einreise verweigert, gibt sich François Balloux, Leiter des Genetik-Instituts des University College London, gelassen: „Ich glaube nicht, dass diese Mutation jemanden in weitere Gefahr bringt. Da bin mir ziemlich sicher. Wenn es so wäre, hätten wir es bereits gesehen“, sagte er dem dänischen Portal „Agriwatch“.

Doch die sozialdemokratische Minderheitsregierung Dänemarks hat sich bereits entschieden: Mit dem am 12. März dieses Jahres verabschiedeten Gesetz für Notfälle ist sie mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Viele Nerzzüchter müssen zudem psychologische Hilfe in Anspruch nehmen: „Man muss mit der Regierung darüber diskutieren, wovon die Menschen leben sollen, wenn man ihnen ihren Lebensunterhalt nimmt“, sagte Mikael Klitgaard, der Bürgermeister der Gemeinde Brønderslev in Nordjütland, dem TV-Sender DR. In der Gemeinde gibt es 24 Nerzfarmen, deren Betreiber und Mitarbeiter nun um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten müssen. 

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