In Wesels Innenstadt AVG-Schüler reinigen Stolpersteine

Wesel · Im Vorfeld der Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus am 25. Januar im Willibrordi-Dom hat das Innenstadt-Gymnasium eine lobenswerte Aktion gestartet. Bürgermeisterin Westkamp lobt das Engagement.

 Mika Höpken und Jasmin Boland (beide 9a) bereitet das Reinigen der Stolpersteine für die Familie Lion an der Brückstraße sichtlich Freude.

Mika Höpken und Jasmin Boland (beide 9a) bereitet das Reinigen der Stolpersteine für die Familie Lion an der Brückstraße sichtlich Freude.

Foto: Klaus Nikolei

Wer am Montag in der Mittagszeit im Domviertel unterwegs war, dem werden die jungen Leute aufgefallen sein, die, mit Putzeimern, Messingpolitur und Schwämmchen ausgestattet, Teil einer vorbildlichen Reinigungsaktion waren. Die Schüler der 9a des Andreas-Vesalius-Gymnasiums (AVG) haben, statt dem Französisch- beziehungsweise dem Latein-Unterricht zu folgen, unter Aufsicht von Geschichtslehrer Erik von Juterzenka vor sechs Häusern mehr als zwei Dutzend Stolpersteine gereinigt. Diese vom Künstler Gunter Demnig gefertigten Steine aus Messing erinnern bekanntlich an die Opfer der NS-Zeit: Juden, Behinderte, Homosexuelle und politische Widersacher.

AVG-Geschichtslehrer Philip Holler hatte kürzlich die Idee, im Vorfeld des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (siehe Infobox) eine besondere Aktion zu starten. „Die Reinigung der Stolpersteine ist eine Geste der Erinnerung“, erklärt sein Kollege Erik von Juterzenka. Er weiß, dass die Neuntklässler in Geschichte gerade die verfassungsrechtlichen Anfänge des Nationalsozialismus behandeln.

 Von den fünf Mitgliedern der Familie Lion, die an der Brückstraße einst ein Papier- und Fotogeschäft betrieben haben, sind die Eltern Hermann und Mina im Konzentrationslager Sobibor im Sommer 1943 ermordet worden.

Von den fünf Mitgliedern der Familie Lion, die an der Brückstraße einst ein Papier- und Fotogeschäft betrieben haben, sind die Eltern Hermann und Mina im Konzentrationslager Sobibor im Sommer 1943 ermordet worden.

Foto: Klaus Nikolei

Vor der Gedenkveranstaltung im Dom sollen übrigens alle 100 an 26 Stellen in Wesel verlegten Stolpersteine gereinigt sein. Am Dienstag, 22. Januar, werden die Jugendlichen der 9b aktiv, zwei Tage später die 9d. Bislang noch nicht geklärt ist, was mit den Schülern der 9c ist.

 Bürgermeisterin Ulrike Westkamp lobt die Arbeit der engagierten Schüler des Andreas-Vesalius-Gymnasiums.

Bürgermeisterin Ulrike Westkamp lobt die Arbeit der engagierten Schüler des Andreas-Vesalius-Gymnasiums.

Foto: Klaus Nikolei

Den Mädchen und Jungen der 9a jedenfalls hat die Aktion Freude gemacht. Innerhalb weniger Minuten war die Arbeit getan. Dass die Stolpersteine unter anderem an vertriebene und ermordete Weseler jüdischen Glaubens erinnern, das war zu Beginn der Aktion gut jedem zweiten bewusst. „Vor allem die Schüler aus Wesel kennen die Stolpersteine“, sagt Mika Höpken, der die Aktion gut findet. Zumal die Schule alle Reinigungsutensilien stellt. Zu den Namen, die auf den fünf Stolpersteinen vor dem Haus Brückstraße 36 eingraviert sind, können er und seine Klassenkameraden nicht mehr sagen, als das, was dort zu lesen ist. Zum Beispiel: „Hier wohnte Mia Lion, geb. Levor, JG.1884, Flucht: 1938 Holland, Interniert Westerbrok; deportiert 1943 Sobibor, ermordet 18.7.1943.“

 Die Klasse 9a hat an sechs Standorten in der Innenstadt mehr als zwei Dutzend Stolpersteine, die an die Opfer der NS erinnern, vom Schmutz befreit.

Die Klasse 9a hat an sechs Standorten in der Innenstadt mehr als zwei Dutzend Stolpersteine, die an die Opfer der NS erinnern, vom Schmutz befreit.

Foto: Klaus Nikolei

Dass die Familie Lion einst ein Foto- und Papiergeschäft an der Brückstraße betrieben hat, ist keinem der Schüler bekannt. Auch nicht dem jungen Geschichtslehrer. „Sobald man im Unterricht zum Thema Entrechtung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung kommt, bietet es sich an, mehr über die Weseler Opfer zu erfahren“, sagt Erik von Juterzenka, der kurz zuvor mit Bürgermeisterin Ulrike Westkamp ins Gespräch gekommen ist. Zufällig ist der Verwaltungschefin die Reinigungsaktion ins Auge gefallen. „Ich finde das eine sehr gute Vorbereitung auf unsere gemeinsame Gedenkveranstaltung im Willibrodi-Dom“, sagt sie und lobt die Schüler für ihren Einsatz. Erik von Juterzenka nickt zustimmend und sagt: „Man tritt auf die Steine, die Spuren sind zu erkennen. Wir haben vor, diese Aktion immer wieder durchzuführen, womöglich auch in Kooperation mit anderen Schulen in Wesel.“

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