Freundeskreis Suchthilfe in Wermelskirchen „Ein Leben ohne Sucht ist ein besseres Leben“

Wermelskirchen · Thomas Michael Stolz ist im Freundeskreis Suchthilfe aktiv. Im Interview spricht er über die verschiedenen Auswirkungen von Sucht und welche Hilfe der Freundeskreis Betroffenen und auch Angehörigen bieten kann.

 „Ich kann mit Sucht nicht am normalen Leben teilnehmen, weil sie mich an vielen Stellen behindert“, sagt Thomas Michael Stolz vom Freundeskreis Suchthilfe.

„Ich kann mit Sucht nicht am normalen Leben teilnehmen, weil sie mich an vielen Stellen behindert“, sagt Thomas Michael Stolz vom Freundeskreis Suchthilfe.

Foto: Jürgen Moll

Herr Stolz, können Sie die Aufgaben des Freundeskreises Suchthilfe kurz skizzieren?

Thomas Michael Stolz Kurz gesagt: Zu uns kommen Menschen, die von einer Sucht betroffen sind. Hauptsächlich ist das Alkohol, aber wir haben auch andere Süchte vertreten. Wir sind eine Selbsthilfegruppe, wir können also niemanden „trockenlegen“, also von seiner akuten Sucht befreien. Die Menschen kommen freiwillig und für sich zu uns. Übrigens nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch Angehörige können kommen. Der Austausch über den Umgang mit der Sucht steht in den Gesprächen innerhalb der Gruppe im Mittelpunkt. Es geht dabei tatsächlich darum zu lernen, wie man damit umgehen kann. Man kann aber nicht jede Woche zwei Stunden lang nur über Sucht reden – daher geht es auch um andere Aspekte des Lebens. Wobei schon die Probleme im Mittelpunkt stehen, die die Sucht verursacht. Wir sind ein Anlaufpunkt für Menschen mit Suchtproblematik.

Seit wann gibt es in das Angebot in Wermelskirchen?

Stolz In Wermelskirchen gibt es den Freundeskreis schon seit 26 Jahren. Nordrhein-Westfalen hat vor zwei Jahren das 40-jährige Bestehen gefeiert. Der Freundeskreis Suchthilfe ist ein bundesweites Angebot mit etwa 9000 Mitgliedern. Der stärkste Landesverband ist Nordrhein-Westfalen mit rund 1000 Mitgliedern.

Wer ist bei Ihnen engagiert?

Stolz Wir sind nicht hierarchisch aufgebaut. Es gibt keine Führung oder einen Vorsitz. Wir haben sogenannte Gruppenbegleiter, das sind in Wermelskirchen Klaus Vierkötter und Thomas Göbbels. Die sind geschult im Umgang mit den Gruppen – wenn es etwa Dispute gibt. Aber sie haben keine Führungsposition. Die beiden machen etwa auch die Erstgespräche am Telefon. Dort wird beispielsweise auch entschieden, ob wir helfen können, oder ob die Menschen erst mal in die Suchtberatung sollten.

Wie sieht Ihre Hilfe konkret aus – greift sie nur bei Alkohol oder auch bei anderen Drogen?

Stolz Zuerst muss geklärt werden, inwieweit der Mensch noch in der Sucht hängt. Wenn beispielsweise völlig betrunken angerufen wird, dann wird das Gespräch beendet. Einfach, weil es in diesem Moment nichts bringt. Davon hängt es ab, ob wir helfen können oder nicht, wobei man auch nicht clean sein muss. Wenn das der Fall ist, dann kommt der Betroffene zu uns in die Gruppe, dienstagabends ist der Termin. Wenn der Betroffene mag, erzählt er über sich und geht in den Austausch. Aber das ist individuell, wie schnell das geht – wir hatten auch schon Menschen bei uns, die sechs Wochen lang nur zugehört haben. Schließlich ist es nicht ganz leicht, sich vor vielen fremden Menschen zu öffnen. Im Laufe der Zeit lernt man sich besser kennen – und wird tatsächlich auch zu Freunden. Wir haben übrigens auch Angehörige, die alleine zu uns kommen. Angehörige leiden ganz anders – und manchmal sehr viel schlimmer – als die Süchtigen selbst. Zur Zeit haben wir einen Anteil von etwa einem Drittel Angehöriger, die zu uns kommen.

Kommen die Betroffenen selbst zu Ihnen – oder wird der Kontakt eher über Angehörige hergestellt?

Stolz Es ist ganz wichtig, dass alle Leute freiwillig zu uns kommen.

Ab wann spricht man von einer manifesten Sucht?

Stolz Es gibt beim Alkohol die sogenannte Alkoholgefährdung, wenn man relativ regelmäßig trinkt. Sobald man regelmäßig täglich trinkt und sobald sich die Gedanken schon vormittags um den Alkohol drehen, ist man in der Sucht. Und hier lässt sich der Alkohol auch austauschen – das gleiche gilt für andere Drogen, für Spielen, für Sex oder das Mobiltelefon. Wenn man in der Sucht ist – und wenn man es denn ändern will, dann braucht man Hilfe. Bei uns hatten wir bislang Alkohol, verschiedene Drogen – und auch Fälle von Waschsucht und Mediensucht.

Was ist mit der sogenannten Co-Abhängigkeit gemeint?

Stolz Ich mag das Wort gar nicht, aber es gibt leider kein besseres Wort. Man spricht von Co-Abhängigkeit, wenn der Angehörige die Sucht des Betroffenen deckt. Sehr vereinfacht dargestellt – wenn der Süchtige wegen der Droge ausfällt, sagt der co-abhängige Angehörige, dass er krank sei. Der erste, der von der Sucht mitbekommt, ist immer der eigene Partner, das ist klar.

Wie kann man Kindern von abhängigen Elternteilen helfen?

Stolz Das ist eine gute Frage – im Prinzip kann man aber leider wohl nur wirklich helfen, indem der Abhängige seine Sucht abstellt. Meistens sind es übrigens einschneidende Erlebnisse, die den Abhängigen auf den Weg bringen, die Sucht bekämpfen zu wollen. Platt gesagt: Es muss knallen. Beziehung kaputt, Job weg, Führerschein weg – solche Sachen können ein Umdenken auslösen.

Wie wichtig ist der Austausch mit anderen Betroffenen?

Stolz Die Bedeutung davon kann ich gar nicht hoch genug hängen. Was man vor allem dabei lernt ist, dass man nicht alleine ist. Man lernt die Auswirkungen der Sucht auf andere kennen, man beschäftigt sich vielleicht erstmals mit den Gefühlen anderer Menschen, dem Partner, den Kindern. Und versteht, dass andere Menschen genau die gleichen Probleme haben wie man selbst. Betroffene und Angehörige kommen auch gemeinsam in die Gruppe – dürfen allerdings nicht nebeneinander sitzen. Das ist die einzige Grundregel für Pärchen, die zu uns kommen.

Was machen Sie, wenn Sie merken, dass medizinische oder andere Hilfe nötig ist?

Stolz Wenn wir merken, dass jemand nach einem Vierteljahr immer noch in der Sucht ist, dann legen wir ihm nahe, einen Entzug zu machen oder zur Suchtberatung zu gehen. Wir gehen darauf ein, können aber natürlich nicht mehr tun, da es immer noch die freie Entscheidung des Einzelnen ist.

Warum ist ein Leben ohne Sucht ein besseres Leben?

Stolz Sucht zerstört Leben. Und zwar immer. Und deswegen ist ein Leben ohne Sucht ein besseres Leben. Ich kann mit Sucht nicht am normalen Leben teilnehmen, weil sie mich an vielen Stellen behindert.

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