Brexit und die Folgen für einen Wermelskirchener Ein Europäer gibt den britischen Pass ab

Wermelskirchen · Oliver Platt erträgt den Gedanken kaum, dass sein Heimatland bald nicht mehr zur Europäischen Union gehört. Um seine Reisefreiheit und sein Mandat im Rat zu behalten, gibt er den britischen Pass nun ab.

 Oliver Platt hält seinen britischen „Passport“ in der Hand. Er hat jetzt, auch aus Enttäuschung über das Referendum der Briten,  einen Einbürgerungsantrag gestellt.

Oliver Platt hält seinen britischen „Passport“ in der Hand. Er hat jetzt, auch aus Enttäuschung über das Referendum der Briten,  einen Einbürgerungsantrag gestellt.

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

In der Schule nannten sie ihn „den Engländer.“ Und Oliver Platt gefiel das irgendwie. „Darauf war ich stolz, ohne es zu übertreiben“, sagt er. Mit seinem Vater stand er auf, wenn beim Fußball die englische Nationalhymne erklang und sein großer Pass mit den goldenen Buchstaben und der schnörkeligen Versicherung der Königin, als britischer Staatsbürger geschützt zu werden, bedeutete ihm etwas. Im März gibt er diesen Pass nun ab – und wer mit Oliver Platt ins Gespräch kommt, der merkt schnell, wie schwer ihm das fällt. „Ich habe nicht geglaubt, dass es wirklich einen Brexit geben wird“, sagt er, „ich habe nicht geglaubt, dass die Argumente der Rechten funktionieren.“

Entsprechend fassungslos stand er vor dem Ergebnis des Referendums. „So viel Dummheit“, sagt er, „ich liebe Europa, es ist der einzige Weg, um Frieden zu bewahren und sie treten es mit Füßen.“ Der Schaden sei schon jetzt immens, findet Platt. Was die politische Entscheidung für sein Leben bedeuten würde, wusste er damals noch nicht. „Also ging ich ins Rathaus und stellte eine Anfrage“, sagt er. Dabei ging es ihm auch um sein Ratsmandat, das er für das Bürgerforum angetreten hatte. Und schnell stand fest: Mit dem Brexit würde er es verlieren. „Dazu kam, dass ich einen Aufenthaltstitel brauchen würde und mich nicht mehr frei in Europa bewegen könnte.“ Das war zu viel.

Und damals traf er die Entscheidung, seinen britischen Pass abzugeben – egal wie die politischen Ränkespiele weitergehen würden. Dieses Spiel habe er nicht mitspielen wollen. „Ich bin richtig sauer auf mein Land“, sagt er, „also beschloss ich, Deutscher zu werden.“ Er fand sein altes Schulzeugnis, das ihm die nötige Deutschnote lieferte, wies B1-Sprachkenntnisse nach, besorgte Urkunden, schrieb seinen Lebenslauf und ging auf die Ämter. „Ich war mit Flüchtlingen schon häufig diese Wege gegangen“, sagt er, „und plötzlich traf es mich selbst.“

Inzwischen hat er den Einbürgerungsantrag gestellt, noch im März bekommt er den deutschen Pass. Und das lässt ihn nicht kalt – auch wegen seiner bewegenden Familiengeschichte. „Dieser britische Pass hat meiner Familie das Leben gerettet“, sagt er und beginnt zu erzählen. Von seinem Großvater, der Gemüsehändler in Birmingham war, auf einer Dienstreise in Valencia seine Frau mit französischem Pass kennenlernte und mit ihr gemeinsam noch in Spanien einen Sohn bekam. Oliver Platts Vater. Und der Junge erhielt den englischen Pass. Die Großeltern trennten sich, die Großmutter siedelte mit ihrem Sohn nach Paris um, lernte einen Österreicher kennen und lieben, der dann für die Wehrmacht arbeitete und nach dem Krieg ins Gefängnis kam. „Damals sollte auch meine Großmutter wegen Kollaboration mit dem Feind festgenommen werden“, erzählt Platt. Folter, Vergewaltigung und Demütigung drohten. Aber das englische Konsulat erfuhr von dem Jungen mit dem britischen Pass und brachte die Familie in Sicherheit – in die britische Besatzungszone nach Wermelskirchen.

„Der Pass rettete ihnen das Leben“, sagt Platt. Und diesen Pass gibt er nun ab. „Meinem Vater darf ich das nicht erzählen“, sagt er, „das würde ihm das Herz brechen.“ Aber an seiner Identität ändere das nichts. Er habe die britische Gelassenheit seines Vaters geerbt: „Keep calm – bleib ruhig“. Und gleichzeitig schätze er Fleiß und Pünktlichkeit – eher deutsche Tugenden. Ob er im April noch Brite sei? „Da wähle ich das Hintertürchen“, erklärt der 50-Jährige bewegt, „und sage: Ich bin Europäer.“

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