Rundfunkbeauftragter Pfarrer Titus Reinmuth Ziel ist, den Leuten aus der Seele zu sprechen

Wassenberg · Titus Reinmuth, früherer Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Wassenberg, engagiert sich für die Glaubensvermittlung im Radio. Im Interview spricht er über die Rundfunkarbeit und pikante Themen.

 Pfarrer Titus Reinmuth aus Wassenberg spricht als stellvertretender Rundfunkbeauftragter der Evangelischen Kirche beim WDR auch eigene Beiträge im Studio.

Pfarrer Titus Reinmuth aus Wassenberg spricht als stellvertretender Rundfunkbeauftragter der Evangelischen Kirche beim WDR auch eigene Beiträge im Studio.

Foto: Reinmuth

„Es verabschiedet sich Titus Reinmuth, Rundfunkpfarrer aus Wassenberg“, sagt der frühere Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Wassenberg stets am Ende seiner eigenen Beiträge für die Reihe „Geistliches Wort“ auf WDR 5. Die Bindung an Wassenberg nämlich besteht beim stellv. Rundfunkbeauftragten der Evangelischen Kirche für den WDR weiter. Nach wie vor lebt die Familie in Birgelen, der Kontakt zur Kirchengemeinde ist weiter eng. Der Schritt von der Gemeinde- zur Rundfunkarbeit war eine Herausforderung. Wir sprachen mit Reinmuth über seine Arbeit heute und Erfahrungen mit der Seelsorge im Rundfunk.

Sechs Jahre her ist mittlerweile Ihr Abschied als Pfarrer in Wassenberg. Mit welchen Vorstellungen sind Sie damals an die Rundfunkarbeit gegangen, und haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Reinmuth Ganz ehrlich: Die Zeit in der Wassenberger Gemeinde war großartig. Es gibt viel, was ich heute vermisse. Ich wollte ja nicht weg aus Wassenberg, sondern hinein in die Rundfunkarbeit. Die Erwartungen haben sich durchaus erfüllt. Es ist eine tolle Aufgabe, all die Beiträge der Evangelischen Kirche im WDR auf den Weg zu bringen, mit Autorinnen und Autoren zusammenzuarbeiten und an der Sprache zu feilen, mit Kirchengemeinden Radiogottesdienste vorzubereiten und an der Dramaturgie zu arbeiten. Auch wenn ich dabei mehr mit Texten zu tun habe als mit Menschen.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag als Rundfunkbeauftragter aus?

Reinmuth Gerade habe ich die Predigt und den Ablauf für den Radiogottesdienst am 26. Dezember redigiert. Da liegt die kirchliche Leitung immer beim Rundfunkbeauftragten. Am Tag davor war ich im Landesstudio in Bielefeld, um mit einem ganz neuen Autor seine erste Sendung zu produzieren. Da habe ich dann die Aufnahmeleitung. Dann sind gerade meine eigenen Beiträge für WDR 2 dran, die im Januar laufen, aber noch vor Weihnachten fertig werden müssen. Nebenbei wird die Homepage www.kirche-im-wdr.de gefüttert: Welches Bild passt zu welcher Sendung? Kontakte zum Sender gehören dazu. Im November hatten wir unser Jahresgespräch mit der Fachredaktion „Religion, Theologie, Kirche“ und dem Wellenchef von WDR 5, Florian Quecke. Und wie in jedem Job gibt’s Kleinkram: Sendelaufpläne, Gema-Meldungen und ähnliches.

Als Pfarrer in Wassenberg waren Sie Seelsorger einer konkreten Gemeinde mit vielen Ihnen bekannten Menschen, auf die Sie auch etwa Ihre Predigten zuschneiden konnten. Im Rundfunk arbeiten Sie für eine weitgehend anonyme Hörerschaft. Welche Probleme und welche Chancen bringt diese Situation mit sich?

Reinmuth Verkündigung hat eine Chance, wenn sie aktuell und konkret ist – und wenn sie „touchy“ ist, also berührt. Das ist in der Kirche nicht anders als im Radio. Aber Radio ist ein Nebenbei-Hör-Medium. Da muss die Ansprache schon besonders ansprechend sein, damit Leute hängenbleiben und zuhören. Die große Chance ist, dass wir in den Medien Menschen aller Altersgruppen und aller sozialen Milieus erreichen. Die Kerngemeinde am Sonntag in der Kirche kennt sich. Und man versteht sich. Das ist schön, aber auch bequem. Es führt zu einer Verengung. Sonst säße da ein Querschnitt der Gesellschaft. Diesen Querschnitt erreichen wir in den Medien. Das ist die Chance.

Haben Sie dennoch bei der Seelsorge im Rundfunk Zielgruppen im Blick?

Reinmuth Ja, es gibt Medienanalysen, die zeigen, wer welche Welle hört. WDR 2 zielt vor allem auf Familien. Die 30- bis 50-Jährigen, die irgendwo angekommen sind im Leben und Wurzeln schlagen. Wer 1LIVE hört, ist sehr in Bewegung: Beziehung, Beruf, vieles verändert sich noch. Dagegen sind etwa zwei Drittel der WDR 4-Hörer schon im Ruhestand. Das hat Folgen für die Themenauswahl. Denn Verkündigung heißt, mit den Hörerinnen und Hörern über ihr Leben zu reden – und dabei Gott ins Spiel zu bringen, vom Glauben zu erzählen, Werte zu vermitteln. Tatsächlich stelle ich mir immer ganz konkret Menschen vor, die ich kenne: Den Informatiker im Auto auf dem Weg ins Büro, die Altenpflegerin in der Frühschicht, die Familie am Küchentisch.

Welche Reaktionen von Hörern erfahren Sie im Kirchenfunk? Gibt es Themen, die Hörer besonders berühren?

Reinmuth Neulich habe ich von der Beerdigung eines Jugendlichen erzählt und gefragt, wann ein Leben „sinnvoll“ und „vollständig“ ist. Und wer das eigentlich beurteilen will. In der gleichen Woche hatte ich die Journalistin/Autorin Christine Westermann im Interview, die ein Buch über Abschiede geschrieben hat. Solche seelsorgerlichen Fragen berühren Menschen sehr. Dann gibt es viel Hörerpost. Per E-Mail oder aufs Handy, dazu Manuskriptanfragen ans Büro.

Gibt es auch Kritik?

Reinmuth Es gibt oft starke Reaktionen auf Kommentare. Die sollen ja auch einen Standpunkt vertreten und polarisieren. Ich habe die Ausschreitungen in Chemnitz kommentiert. Da gab es spontane Reaktionen wie „klare Worte“ oder „spricht mir aus der Seele“, aber auch Beleidigungen aus der rechten Szene. Damit muss man leben. Immer wieder versuchen wir, Partei zu ergreifen. Das Evangelium hat eine Vorliebe für die Schwachen. Das passt nicht allen. Jesus von Nazareth hat man aus der Synagoge geworfen nach seiner Antrittspredigt, weil er ernst machen wollte mit einer „frohen Botschaft für die Armen“.

Bei 1LIVE sprechen jüngere Autoren junge Hörer an. Haben Sie die Hoffnung, so auch eher kirchenferne Menschen zu erreichen und für Glaubensfragen zu öffnen?

Reinmuth Klar haben wir das Ziel, jüngere und kirchenferne Menschen zu erreichen. Deshalb gibt es auf 1LIVE junge Stimmen und junge Themen. Wir pflanzen da jeden Tag einen Gedanken ein, der sich vielleicht entfaltet. Ich will das aber nicht überschätzen: Ein guter Religionsunterricht oder die Arbeit im Jugendzentrum erreicht da wahrscheinlich mehr, weil Jugendliche und junge Erwachsene da wirklich in Beziehung treten zu anderen und sich auseinandersetzen. Radio hört man nebenbei und wenn es richtig gut war, geht man noch mal ins Netz, um den Beitrag zu finden. Tatsächlich hören heute die wenigsten jüngeren Leute überhaupt gezielt Radio. Dafür sind Podcasts in. Und mit „Jana glaubt“ ist die Evangelische Kirche auf youtube.

Sie sind selbst im Studio aktiv, arbeiten aber auch mit freien Autoren. Wer bestimmt die Themen, wie arbeiten Sie mit den Autoren zusammen?

Reinmuth Die Autorinnen und Autoren bestimmen selbst ihre Themen. Was sie bewegt, kann auch andere bewegen. Die Ideen werden vier Wochen vor der Sendung eingereicht und abgestimmt. Es kommt nur selten vor, dass wir als kirchliche Redakteure sagen: Mach das Thema lieber nicht. Eher schon: Gutes Thema, aber zieh es lieber anders auf.

Wir sind das kritische und medienerfahrene Gegenüber zu den Autoren. Beiträge zu redigieren, ist ein großer Teil unserer Arbeit im Rundfunkreferat. Ist die Aussage klar, der Aufbau stimmig, die Sprache einfach und anschaulich? Da geht ein Manuskript schon mal ein paar Mal hin und her. Wir organisieren auch regelmäßig Fortbildungen mit kollegialem Feedback oder mit Rundfunk-Journalisten, die dann mit uns arbeiten.

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