Brüggen „Lehrer sind keine faulen Säcke“

Heiko Glade ist neuer Leiter der Gesamtschule Brüggen. Ein Gespräch über Tafeln, Schlagzeug und Vorurteile.

 Heiko Gade (52) ist zum neuen Leiter der Gesamtschule Brüggen ernannt worden. Jetzt wird ein Stellvertreter gesucht.

Heiko Gade (52) ist zum neuen Leiter der Gesamtschule Brüggen ernannt worden. Jetzt wird ein Stellvertreter gesucht.

Foto: Daniela Buschkamp

Welches Vorurteil über Lehrer ärgert Sie am meisten?

Als Ministerpräsident hat der spätere SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder Lehrer in einem Interview als „Faule Säcke“ bezeichnet. Das hat mich persönlich getroffen, auch weil Schröder über meine Tante (seine erste Ehefrau) früher mal mit mir verwandt war. Lehrer sein ist ein Vollzeit-Job mit 41 Stunden, im Jahresdurchschnitt ist es für viele Kollegen sogar mehr. Vier Kollegen sind am Freitagabend privat mit einer Klasse nach London gefahren, kamen Sonntagmorgen zurück. So etwas macht man nicht, wenn man ein fauler Sack ist.

Als Sie an der Gesamtschule Brüggen tätig wurden: Haben Sie sich da vorstellen können, sie einmal zu leiten?

Als Junglehrer hat man andere Dinge im Kopf: Ich war neu am Niederrhein, neu an der Brüggener Gesamtschule, neu in einer Vollzeitstelle. Das Gesamtschulsystem ist komplex. Eine Schule mit zwei Standorten macht es nicht einfacher. Man braucht zwei Jahre, um sich sicher in den Strukturen zu bewegen. Erst, wenn man angekommen ist, sieht man die Möglichkeiten. Ich hatte das Glück, dass meine Vorgesetzten bei mir Begabung und Talent erkannt haben – und dass die Stellen vorhanden waren. Zunächst habe ich das Schülerbetriebspraktikum übernommen, dann den Vertretungsplan. Früher hieß das: Morgens um 6.45 Uhr zur Schule zu fahren und die Vertretungslisten aufzuhängen. Heute geht das über die elektronische Anzeigentafel schneller. Mit Jochen Wagner habe ich mich um den Stundenplan gekümmert und ihn 2014 als stellvertretender Schulleiter übernommen. Schulleiter zu werden ist ein Prozess. Man muss bereit sein, Verantwortung zu übernehmen, sich fortzubilden und Prüfungen abzulegen.

Was möchten Sie als Schulleiter erreichen?

Die Gesamtschule ist die einzige weiterführende Schule in der Gemeinde Brüggen. Ich wünsche mir, dass alle Eltern aus Brüggen ihre Kinder bei uns anmelden und  die Gesamtschule als für sich beste Schulform annehmen, statt die Kinder in den Bus etwa nach Dülken zu setzen. In meinen Augen ist das Verschwendung von Lebenszeit. An der Gesamtschule gibt es auch die gymnasiale Oberstufe, genau wie am Gymnasium. Das Abitur kann man auch bei uns erreichen.

Welche Ausstattung brauchen Sie dringend?

Für die Ausstattung ist der Schulträger verantwortlich und die Kooperation mit der Gemeindeverwaltung ist beispielhaft. Das liegt vielleicht auch daran, dass man aus meinem Büro je nach Blickwinkel bis in das Büro von Bürgermeister Frank Gellen (CDU) schauen kann. Ein Punkt ist die Digitalisierung. Da arbeiten wir nach dem Leitbild „Der Unterricht bestimmt die Medien.“ Wir haben inzwischen in allen Unterrichtsräumen guten Wlan-Empfang. Nun muss die Hardware optimiert werden. Langfristig wünschen wir uns für die Klassen zwei hohe Tafeln mit einer zwei Meter breiten Projektionsfläche in der Mitte, sowie Beamer und Dokumentenkameras in allen Räumen. Die Schüler sollen dann mit Klassen-IPads oder eigenen Geräten arbeiten können.

Gibt es bei Ihnen auch Lehrermangel?

Aktuell fehlen uns Lehrer. Wir mussten in der Oberstufe Kurse zusammenlegen, haben zum Beispiel Ergänzungsstunden und Religion gekürzt. Als Schule des gemeinsamen Lernens müssen wir pro Jahrgang zwölf Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf aufnehmen. Wir bräuchten sechs Sonderpädagogen, haben aber nur vier – und es gibt keine Bewerber. Das bedeutet: Unsere Sonderpädagogen arbeiten am Anschlag. Da ist die Landesregierung in der Verantwortung. Es kann nicht sein, dass die Gymnasien sich davon ausnehmen.

Was mögen Sie an Ihrem Job besonders gern?

Den Kontakt mit den Menschen. Und jeder Tag ist anders. Manchmal geht man mit dem guten Gefühl nach Hause, mehr Probleme gelöst zu haben als neue entstanden sind. Durch den direkten Kontakt mit den Schülern gestaltet man in der Schule die Zukunft eines Landes mit. Schule ist sozusagen der Architekt der Zukunft.

Was gefällt Ihnen weniger?

Die zunehmende Bürokratie.

Würden Sie Ihrem Sohn empfehlen, Lehrer zu werden?

Es ist ein anspruchsvoller Beruf mit großer Verantwortung, der aber auch viel Zufriedenheit bietet. Und wo kann man außerdem noch Schlagzeuger oder Theaterproduzent sein? Ich wäre, stolz, wenn mein Sohn auch Lehrer werden würde.

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