Einzelhandel in Solingen Verkürzte Öffnungszeiten sind ein Rückschritt

Meinung | Solingen · Viele finden es gut, wenn Läden in der Innenstadt früher schließen. Das ist egoistisch – und kurzsichtig. Verkürzte Öffnungszeiten sollten die Ausnahme bleiben.

Der Werbe- und Interessenring Solinger Innenstadt empfiehlt seinen Mitgliedern, den Ladenschluss ab 1. November vorzuziehen.

Der Werbe- und Interessenring Solinger Innenstadt empfiehlt seinen Mitgliedern, den Ladenschluss ab 1. November vorzuziehen.

Foto: Peter Meuter

Die Reaktionen in typisch Solinger Art ließen nicht lange auf sich warten. Kaum war in dieser Woche die Nachricht bekannt geworden, wonach der Werbe- und Interessenring (W.I.R.) Solinger Innenstadt seinen Mitgliedern empfehle, ihre Geschäfte in der City ab November bereits um 18 Uhr zu schließen, da überschlugen sich die Zyniker in den sozialen Medien förmlich. „Von mir aus auch schon um 16 Uhr. In dieser ,City‘ gibt‘s eh nichts Interessantes mehr“, schrieb zum Beispiel ein Nutzer auf Facebook, während ein anderer anregte, aufgrund der schrumpfenden Kaufkraft in Solingen besser gleich um 15 Uhr dicht zu machen.

Den Vogel aber schossen all jene ab, die angesichts des aus der Not heraus geborenen W.I.R.-Vorstoßes glaubten, nun sei die Zeit gekommen, ein Loblied auf die Vergangenheit anzustimmen. „Früher war auch um 18.30 Uhr Ladenschluss“ und „Öffnungszeiten bis 22 Uhr oder länger benötigt kein Mensch“ waren nur zwei Wortmeldungen von vielen. Wobei die Vertreter dieser neudeutsch „Degrowth“ genannten Theorie des Rückschritts verkennen, dass es sehr wohl Leute gibt, die auf lange Öffnungszeiten angewiesen sind – man denke nur an Alleinerziehende im Schichtdienst, deren Alltag nicht zuletzt darum so gnadenlos eng getaktet ist, weil auch die Fans der heilen Welt von früher ab und an mal zu „Unzeiten“ medizinische Versorgung, polizeilichen Schutz oder einfach nur einen Bus benötigen, der sie zu einer Kneipe oder zu einem Konzert bringt.

Mit Verzicht als Tugend, die mit Vorliebe anderen abverlangt wird, ist es also so eine Sache – zumal auch der Einzelhandelsstandort Mitte langfristig darauf angewiesen sein dürfte, sich der Lebenswirklichkeit der Kunden anzupassen. Die Einstellung, die Leute würden sich schon mit dem Vorgefundenen abfinden, ist in Zeiten von Online-Shopping jedenfalls Illusion. Es mag stimmen, dass die City für heutige Verhältnisse, was die Verkaufsflächen angeht, zu groß geraten ist. Für die Verkaufszeiten gilt dies aber nicht. Eine lebendige Innenstadt sollte auch abends belebt sein. Deshalb bleibt zu hoffen, dass verkürzte Öffnungszeiten eine Ausnahme bleiben, die bald wieder vorbei ist.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort