"Zeitgespräch" zum Evangelischen Selbstverständnis Menschen müssen erkennen, dass sie mehr sind als Taten

"Was ist heute Evangelisch?" war die Fragestellung des vorletzten Zeitgespräches in diesem Jahr in der Evangelischen Kirche Korschenbroich an der Freiheitsstraße. Über die Rechtfertigungslehre Martin Luthers referierte der Neusser Pfarrer Dr. Jörg Hübner : "Die Rechtfertigung des Sünders allein durch die Gnade Gottes, das ist urevangelisch." Anhand der Biographie des Reformators belegte Dr. Jörg Hübner, dass Martin Luther durch den Versuch, sich selbst zu rechtfertigen, in tiefe Unsicherheit gestürzt sei, bis er zu der Einsicht gekommen sei: "Nicht der ist gerecht, der viel tut, sondern derjenige, der ohne viel Tat an Christus glaubt."

Selbstvergewisserung aus eigener Kraft sei also nicht möglich. Das könne einen ungeheuer aktuellen Bezug haben, versichert Dr. Jörg Hübner, "Der Mensch wird vom Rechtfertigungsdruck befreit und von Christus gerechtfertigt. Angesichts des aktuellen Trends, sich selbst zu lieben und positiv zu denken, müssten die Menschen erkennen, dass sie mehr seien als ihre Taten und Untaten. Im Zusammenhang mit dem Streit zwischen Katholiken und Protestanten um die Rechtfertigungslehre begrüßte Dr. Jörg Hübner die Gemeinsame Erklärung der beiden Kirchen zu diesem Thema vom 31. Oktober des vergangenen Jahres.

Darin heisst es: "Allein durch Christus werden wir gerechtfertigt". "Gut, dass man zu diesen gemeinsamen Worten gefunden hat", kommentiert Dr. Jörg Hübner. Dies zeige, dass es wichtige Formen gebe, aufeinander zuzugehen, bei denen die Protestanten bei ihrer Position bleiben könnten. Solch eine Form hätten die Presbyterien der Evangelischen Gemeinde in Neuss mit der Erklärung zum Heiligen Quirinus gefunden.

In der von Kardinal Meisner anlässlich der Quirinusprozession verlesene Schrift heiße es, der Stadtpatron verweise alle Bewohner und Bewohnerinnen von Neuss auf die Barmherzigkeit Gottes. Kritik übte Dr. Jörg Hübner dagegen an der Erklärung "Dominus Jesus" des Vatikans: "Hier wird ein fundamentalstischer Standpunkt vertreten." Er könne nicht akzeptieren, dass die römisch-katholische Kirche in ihrer Form zur "einzigen Kirche Jesu Christi" erklärt werde, auch sie bestehe nur aus Gnade Gottes.

"Die Frage ,Welche Verantwortung habe ich?' bleibt immer bestehen", fasste Dr. Jörg Hübner zusammen, "die Evangelische Kirche hat eine besondere Antwort, die bis heute wegweisend ist". Deswegen sei die Rechtfertigungslehre nicht nur für Kirchgänger, Presbyter und Theologen relevant, sondern für jeden, der mit seinem Leben sinnvoll umgehe. Thomas Kirchner

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