Kulturkreis in Radevormwald So lebten die Brüder Grimm

Radevormwald · Burghofbühne Dinslaken präsentiert mit „Grimm – Kein Märchen“ das eindrucksvolle Leben der Märchen- und Geschichtensammler – und Brüder – Jacob und Wilhelm Grimm im Bürgerhaus.

Die Burghofbühne Dinslaken präsentierte am Mittwochabend ein etwas anderes Theaterstück im Saal des Bürgerhauses.

Die Burghofbühne Dinslaken präsentierte am Mittwochabend ein etwas anderes Theaterstück im Saal des Bürgerhauses.

Foto: Jürgen Moll

Für all jene, die schon einmal mit dem geisteswissenschaftlichen Studiengängen der Vergleichenden Kulturwissenschaft, Volkskunde oder der Sprach- und Literaturwissenschaften zu tun hatten, ist das Leben und Wirken der Brüder Grimm, Jacob und Wilhelm, kein großes Geheimnis. Denn die beiden Hanauer Brüder gelten als Begründer dieser Disziplinen – oder haben sie zumindest enorm beeinflusst. Dabei gab es noch weitere Geschwister, die drei jüngeren Brüder Carl, Emil Ludwig und Ferdinand sowie die Schwester Lotte. Weitere wichtige Personen aus dem Umfeld waren Wilhelms Frau Dorothea Wild und die Freundin und Förderin Bettine von Arnim.

Es ist durchaus eine besondere Gemengelage, in der sich die beiden ehemaligen Studenten und bald gelehrten Wissenschaftler Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts bewegen. Die Burghofbühne Dinslaken hat unter der Regie von Helmut Köpping das Schauspiel „Grimm Kein Märchen“ über das Leben und Wirken der Grimms auf die Bühne gebracht – nach der Premiere im September in Dinslaken jetzt auch im Bürgerhaus in Radevormwald.

Ein jeder kennt die Brüder Grimm wohl vor allem als emsige und umfassende Sammler und Aufschreiber der deutschen Märchen und Sagen, die bis dahin ja nur mündlich tradiert wurden. Dafür sind die beiden jahrelang durch deutsche Lande gezogen, haben zugehört, haben aufgeschrieben, was sie gehört haben, und über die Jahre das zusammengetragen, was in den meisten Haushalten in irgendeiner Form vorhanden ist: eine Ausgabe der „Kinder- und Hausmärchen“, besser bekannt als Grimms Märchen. Allerdings ist die wohl weit größere Leistung der beiden Brüder, die sie wegen des kaum fassbaren Umfangs auch zeitlebens nicht vollenden haben können, das umfassende „Wörterbuch der deutschen Sprache“ – von A wie AA, also des umgangssprachlichen Ausdrucks für das „große Geschäft“ bis Z wie Zypressenzweig.

Das sechsköpfige Ensemble aus Dinslaken nähert sich dem Stoff in einer sehr interessanten Form. Es ist keineswegs das ganz normale biographische Schauspiel, bei dem sich Geschehnis an Ereignis reiht und das Leben der titelgebenden Protagonisten von der Geburt bis zum Tod nacherzählt wird. Das wäre sicherlich auch nicht uninteressant gewesen, denn das Leben der beiden hessischen Brüder böte bestimmt genug Stoff für eine solche Herangehensweise. Aber auf der Bühne im Bürgerhaus entfaltet sich vor dem Bühnenbild (Bühne und Kostüm: Manuel Kolip) eines einfachen Zimmers ein echtes Panoptikum aus Träumen, Alpträumen, Monologen und szenischen Elementen, wodurch eine Atmosphäre entsteht, der man sich bewusst aussetzen muss, um sie in Gänze verstehen zu können.

Da ist etwa die auch als „Influencerin“, natürlich ein moderner Begriff, bezeichnete Förderin Bettine von Arnim (Norhild Reinicke), die ein Video über die Idee der Grimms, ein Wörterbuch zu erstellen, dreht, in dem sie lautstark und leidenschaftlich ein Plädoyer für diese Idee abgibt. Sicherlich ein moderner Blick auf die im Prinzip aber genauso passierte Geschichte. Dann wieder bewegen die Schauspieler sich bisweilen in einer Casting-Situation, in der sie für ihre jeweiligen Rollen vorspielen – ein Durchbrechen der vierten Wand in eine ganz andere Richtung als ins Publikum hinein. Da rezitiert die Schauspielerin ein Gedicht Bettine von Arnims, berichtet über die tragische Tatsache, dass sie in der Literaturwissenschaft viel zu wenig wahrgenommen werde und muss sich dann gegen einen sie störenden Wilhelm-Aspiranten wehren mit den Worten: „Ich bin noch im Casting, Wilhelm. Ich bin noch im Casting, Wilhelm.“ Dann wiederum gibt es Augenblicke, in denen die sechs Schauspieler - als Jacob Grimm spielt Markus Penne, als sein Bruder Wilhelm überzeugt Arno Kempf, Ferdinand Grimm wird von Markus Guggenberger dargestellt, Dorothea Wild von Christiane Wilke und Carl Grimm von Jan Exner - sich in einer Reihe aufstellen und in bester Tradition des Chors einer griechischen Tragödie das Märchen von „Schneewittchen“ deklamieren. Das ist eindrucksvoll, weil es nicht nur dem Märchen eine ganz neue, düstere Stimmung verleiht, sondern weil der Tragödien-Chor als Stilmittel in einem modernen Theaterstück – in einem positiven Wortsinn – absonderlich und anachronistisch wirkt.

Deutlich wird, dass die Burghofbühne Dinslaken mit ihrer Herangehensweise, die auch vor lauten und dröhnenden Elektro-Beats nicht zurückschreckt, ein wahrlich innovatives Schauspiel geschaffen hat. Das nicht immer ganz einfach zu konsumieren ist, das in seiner Radikalität aber auf jeden Fall nachhallen wird. Und vielleicht, das als kleiner Nebeneffekt, dafür sorgen könnte, dass der eine oder andere Bürgerhaus-Besucher sich wieder einmal mit den Grimmschen Märchen beschäftigt. Oder vielleicht ja auch mit dem Leben der Brüder.

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