Interview mit Veith Lemmen "Steuererhöhungen wären gerecht"

Mönchengladbach · Im Interview erklärt der Landesvorsitzende der Jusos, warum er gegen die Große Koalition gestimmt hat, wie er über Alexander Dobrindt denkt und was das WG-Leben mit zwei weiblichen Dortmund-Fans in Münster so schwer macht.

 Von 2004 bis 2007 arbeitete Veith Lemmen für die Gladbacher Lokalredaktion der Rheinischen Post. Seit 2010 ist er Vorsitzender der NRW-Jusos.

Von 2004 bis 2007 arbeitete Veith Lemmen für die Gladbacher Lokalredaktion der Rheinischen Post. Seit 2010 ist er Vorsitzender der NRW-Jusos.

Foto: SPD

Sie haben, während die Koalitionsverhandlungen liefen, öffentlich Zweifel geäußert, ob die SPD in einer Großen Koalition Ihre Themen ausreichend durchsetzen kann. Zur Halbzeit der Verhandlungen bloggten Sie noch, dass die GroKo immer weniger Sinn mache, das ist allerdings auch der letzte Blog-Eintrag. Sind Sie seitdem plötzlich GroKo-Fan geworden?

Veith Lemmen Nein, ich bin kein GroKo-Fan. Ich habe von Anfang an gesagt, es gibt nach Durchsicht des Koalitionsvertrags durchaus gute Gründe, warum man dafür stimmen kann, aber auch gute Gründe, warum man dagegen stimmen kann. Jedoch bin ich mir nicht sicher, wie die Ausgaben finanziert werden sollen. Zudem gibt es Sachen aus der Sicht von jungen Menschen, die sehr relevant sind, wie die BAföG-Erhöhung und Mindestausbildungsvergütung. Daher kam die Kritik. Ich fand es aber sehr gut, wie es in der Partei mit dem Mitgliederentscheid gelaufen ist. Es herrschte ein sehr offenes Klima.

Haben Sie letztlich dafür oder dagegen gestimmt?

Lemmen Ich habe dagegen gestimmt. Aber mit dem Ergebnis kann ich trotzdem sehr gut leben. Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Mitglieder abstimmen. Ich hätte mit 50 bis 60 Prozent gerechnet. Und am Ende war es eine höhere Beteiligung als bei der Bundestagswahl. Da bin ich Demokrat genug und sehe auch die Chancen im Koalitionsvertrag. Als Jusos sehen wir uns in der Rolle, darauf zu pochen, dass die gesteckten Ziele auch umgesetzt werden.

Welche zentralen Anliegen der Jusos sollte die Große Koalition umsetzen?

Lemmen Mehr Geld für Investitionen in die Bildung, aber auch in die Infrastruktur und die Kommunen. Denn darüber definiert sich für uns das Gemeinwesen. In Sachen Bildung muss es mehr Kita-Plätze geben. Das Betreuungsgeld steht zurzeit nicht zur Disposition — das war ein Kritikpunkt den wir hatten und auch weiterhin haben. Aber ich kann dann damit leben, wenn viel Geld in Kitas und die Betreuung der unter Dreijährigen investiert wird. Und wenn man gleichzeitig an den Schulen dafür sorgt, dass die Betreuungsrelationen besser werden und nicht Lehrerstellen eingespart werden. Ebenfalls wichtig ist eine bessere Grundfinanzierung der Hochschulen. Zudem bleibt die Frage nach der Finanzierung. Wir wollen keine weiteren Schulden machen. Wenn die Konjunktur einbricht, was ich nicht hoffe, dann bleibt die Frage, ob diese Projekte dennoch durchgesetzt werden. Dann sollte man auch wieder über Steuererhöhungen nachdenken. Das halte ich nur für Gerecht. Ich glaube, diese Diskussion sollte man bei einer Eintrübung der Konjunktur auch führen.

Die junge Generation gilt oft als unpolitisch. Warum gilt diese Einschätzung nicht für die Jusos?

Lemmen Ich bin begeistert davon, was bei uns gerade läuft: Wir haben in den letzten Monaten überproportional viele Mitglieder bekommen. Im vergangenen Jahr waren es um die 1000. Ich halte die jüngere Generation nicht für weniger politisch. Doch es gibt Faktoren, die das Engagement beeinflussen. Junge Menschen wollen erst mal gucken, dass sie Planungssicherheit haben. Auch hat Engagement mehr mit Projektarbeit zu tun: Viele interessieren sich für ein bestimmtes Thema und bringen sich dann punktuell ein, zum Beispiel online oder bei einer NGO. Wenn man sich nur die Mitgliederzahlen von Parteien anschaut, bekommt man kein Bild davon, wie engagiert junge Menschen sind.

Sie haben in der Bundesversammlung Bundespräsident Gauck mitgewählt, sind Mitglied im Landesvorstand der NRW-SPD und wurden 2012 zum zweiten Mal zum Juso-Landesvorsitzenden gewählt. Revidieren Sie Ihre Aussage von vor Ihrer ersten Wahl 2010, dass Sie keine politische Karriere planen?

Lemmen Es ist immer noch ähnlich. Ich schiele immer noch ein bisschen auf den Bereich Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit. Das kann ich mir weiterhin vorstellen, weil mir das Schreiben sehr viel Spaß macht. Doch bleibt die Frage, ob das angesichts der angespannten Arbeitsmarktlage in diesem Sektor so machbar ist. Aber ich kann mir auch gut vorstellen, bei einer NGO oder einer Gewerkschaft zu arbeiten. Ich will auch nicht ausschließen, dass es mich in ein Ministerium zieht. Es ist allerdings nach wie vor nicht so, dass ich mich per se in der Politik sehe.

Wie viel Zeit in der Arbeit verschlingt die Arbeit als Juso-Landesvorsitzender?

Lemmen Viel zu viel. Es ist locker eine Vollzeitstelle wenn nicht mehr. Im Durchschnitt sind es 50 bis 70 Stunden in der Woche. Man kann es auch mit weniger machen. Aber ich will eine Arbeit natürlich auch gut machen.

Als Hannelore Kraft 2012 als Ministerpräsidentin wiedergewählt wurde, trugen Sie ein T-Shirt mit der Aufschrift "Leider geil". Was macht Kraft besser als Angela Merkel?

Lemmen Beide haben zwar einen guten Machtinstinkt, aber doch einen unterschiedlichen Stil. Ich habe selten mit Angela Merkel persönlich zu tun gehabt. Aber bei Hannelore Kraft ist es schon so, dass sie sehr gut den Leuten zuhören kann. Sie sagt deutlich ihre Meinung, das finde ich auch richtig so. Wenn sie eine Veranstaltung besucht, sind die Besucher zunächst neugierig, weil die Ministerpräsidentin kommt. Aber nach einer Stunde kann man nicht mehr feststellen, wer jetzt die Ministerpräsidentin ist und wer die Gäste. Das ist auf jeden Fall eine sympathische Art. Ich glaube, da ist Angela Merkel einfach ein Stück weit anders gepolt.

Sie haben fast 1000 Follower bei Twitter und damit fast 1000 mehr als der für Minister für digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt von der CSU. Der hat nicht mal einen Account. Ist das der richtige Mann, um die Belange der jungen Generation zu vertreten?

Lemmen Nein, das sehe ich nicht so. Aber Alexander Dobrindt muss sich jetzt auch erst mal im Amt beweisen. Es gibt einige Leute in der Regierung, die jetzt nicht als ausgewiesene Fachleute für das ihnen zugeteilte Ressort gelten. Man kann jetzt erwarten, dass sie sich zügig einarbeiten in ihren Bereich und dass sie ihre Häuser organisieren und sich von den richtigen Leuten beraten lassen. Da bin ich mir bei Alexander Dobrindt nicht ganz so sicher, ob das funktioniert.

Mit Ihnen und Robert Peters sind gleich zwei Mönchengladbacher im Landesvorstand der Jusos. Inwiefern gelingt es, die Belange der Gladbacher Jusos zu vertreten?

Lemmen Ich bin erst mal froh, dass der linke Niederrhein so gutvertreten ist im Landesvorstand. Aber auf der Landesebene geht es selten um städtische Belange. Ich beobachte die Jusos in Mönchengladbach immer. Als ich hier aktiv war, waren die Jusos meiner Meinung nach bei weitem nicht so gut aufgestellt wie sie es heute sind. In die Stadt selber mische ich mich aber nicht ein. Da konzentriert man sich auf die Landesebene.

Inwieweit verfolgen Sie noch die Kommunalpolitik in Mönchengladbach?

Lemmen Ich lese natürlich öfter mal RP Online und meine Mutter schneidet mir dankenswerterweise alle Artikel, die sie für wichtig hält, aus der RP aus und gibt sie mir mit. Daher verfolge ich grob die Politik in Gladbach, aber es wäre falsch zu behaupten, dass ich mich hier besonders auskenne. Wenn ich nach Hause komme, liegt ein Stapel mit Artikeln und die kann ich auf der Fahrt nach Münster lesen.

Was unterscheidet und was verbindet Münster und Mönchengladbach und was können die beiden Städte voneinander lernen?

Lemmen Die Gemeinsamkeiten liegen auf der Hand, doch es gibt tatsächlich viele Unterschiede. Münster ist die strahlende Mini-Metropole im Münsterland. Drumherum ist nicht viel. Wenn man ein paar Kilometer fährt, ist man auf dem platten Land. Zudem gibt es 50 000 Studenten, die versuchen, das kulturelle Leben mit zu bestimmen. Aber ich finde nach wie vor viele Vorteile in Gladbach. Denn die Art der Menschen liegt mir hier viel mehr.

Wird Mönchengladbach in Münster wahrgenommen? Zum Beispiel als Konzertstandort oder weil hier städtebaulich in letzter Zeit mehr passiert?

Lemmen Wegen des Fußballs wird die Stadt natürlich auch in Münster wahrgenommen. Wobei man als Gladbacher dort einen schweren Stand hat, weil es viele Dortmunder gibt. Ich selber wohne mit zwei Dortmunderinnen in der WG. Da muss ich mich schon für die richtige Borussia starkmachen. Ein Freund hat mir einen Borussia-Toaster geschenkt, damit ich in der WG ein bisschen dagegen halten kann. Mit dem Hockeypark ist die Wahrnehmung natürlich noch mal etwas gestiegen. Aber es ist zu viel Ruhrgebiet zwischen beiden Städten, als dass man nach Mönchengladbach fahren würde. Da ist Dortmund einfach näher.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN GABI PETERS, JAN SCHNETTLER UND JAN WIEFELS.

(RP)
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