Düsseldorf/Berlin Jusos kämpfen gegen den Koalitionsvertrag

Düsseldorf/Berlin · Mehrere Landesverbände lehnen die geplante Regierungsbildung ab. Sie vermissen echte Verbesserungen für junge Menschen.

Für Fabian Verch hatte der öffentliche Widerspruch zum Koalitionsvertrag ungeahnte Folgen. Der 25 Jahre alte Jungsozialist war vorige Woche bei Maybritt Illner als kritische Stimme aus der Basis zu Wort gekommen. "Für mich wächst hier zusammen, was nicht zusammen gehört", begründete er dort sein Nein zu Schwarz-Rot. Wenige Tage später forderte ihn ein angeblicher Mitarbeiter von SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles auf, öffentlich seine Zustimmung zum Vertrag zu erklären. Nahles zeigte sich entsetzt: "Auf keinen Fall werden Mitarbeiter des Parteivorstandes eingesetzt, um kritischen Mitgliedern zu drohen." Im Internet tauchte gestern ein Bekennerschreiben auf. Die Autoren behaupten, bei mehr als 100 Genossen angerufen zu haben, die als Gegner der großen Koalition bekannt sind. Der SPD-Parteivorstand hat bereits Anzeige erstattet – doch von Ruhe kann bei den Sozialdemokraten keine Rede sein.

Beim rund 70 000 Mitglieder starken SPD-Nachwuchs gibt es massiven Widerstand gegen die große Koalition. Mehrere Landesverbände der Jungsozialisten (Jusos) lehnen Schwarz-Rot im Bund ab. "Der vorliegende Vertrag zeigt, dass mit dieser Union kein Politikwechsel möglich ist. Deshalb können wir ihm nicht zustimmen", heißt es in einem gemeinsamen Antrag für den Juso-Bundeskongress, der von heute bis Sonntag in Nürnberg stattfindet. Unterzeichnet haben die Landesverbände NRW, Bayern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Berlin und Bremen sowie die Bezirksverbände Braunschweig, Hannover und Weser-Ems. Morgen wollen die Jungsozialisten Parteichef Sigmar Gabriel mit der Kritik konfrontieren.

Veith Lemmen beschlich schon während der Koalitionsverhandlungen ein mulmiges Gefühl. "Ich habe mich gefragt, wer die Ausgabenwünsche bezahlen soll." Von dem Ergebnis ist der Juso-Vorsitzende in NRW enttäuscht: "Dem Vertrag fehlt eine Vorstellung darüber, wohin sich die Gesellschaft entwickeln soll", sagt der 29-Jährige. Das 185 Seiten starke Werk, über das rund 475 000 Genossen bis zum 12. Dezember abstimmen dürfen, sei vor allem für junge Menschen ein Schlag ins Gesicht. Er hält den Vorwurf, der Koalitionsvertrag belaste künftige Generationen zu stark, für berechtigt – und fordert wie viele Jusos, Menschen mit hohem Einkommen stärker in die Pflicht zu nehmen.

Auch in Bayern ist die Kritik groß. Mit einer Kampagne macht der Juso-Landesvorstand Front gegen den Koalitionsvertrag. Auf der Homepage der Jugendorganisation werden Bilder und Meinungen von jungen SPD-Mitgliedern gesammelt, die ihr Argument für ein Nein zum Vertrag kundtun. "Damit wollen wir zeigen, dass es in der Partei nach wie vor viele kritische Stimmen gibt und wollen diese auch öffentlich sichtbar machen", sagt der bayerische Juso-Vorsitzende Philipp Dees. Er kritisiert, dass der Vertrag die zunehmend prekäre Situation junger Menschen aus den Augen verliert. "Die dringend notwendige Bafög-Reform bleibt aus, die Mindestauszubildendenvergütung wird mit keinem Wort erwähnt und auch die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung konnte nicht durchgesetzt werden", sagt der 31-Jährige. Die stellvertretende Bundesvorsitzende der Jusos, Johanna Uekermann, lehnt das geplante Regierungsbündnis ebenfalls ab. Die 26-Jährige kandidiert für den Bundesvorsitz und will den 33-jährigen Sascha Vogt ablösen. Uekermann vermisst in dem Vertrag Finanzierungskonzepte für Zukunftsinvestitionen, Perspektiven für junge Menschen und Reformprojekte wie die Einführung einer Bürgerversicherung.

Ein unzufriedener Parteinachwuchs und ominöse Drohanrufe – die Nerven in der SPD-Parteizentrale dürften kurz vor dem Mitgliederentscheid blank liegen.

(RP)
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