Mönchengladbach Ratssitzungen sollen live im Netz übertragen werden

Mönchengladbach · Im dystopischen Roman "Der Circle", der kürzlich die Spiegel-Bestsellerliste stürmte, schafft sich die Demokratie quasi selbst ab, indem Politiker sich kleine Kameras umhängen und im Sinne größtmöglicher Transparenz jede Sekunde ihres Lebens ins Internet übertragen.

Die Initiative, die jetzt zeitgleich von der Jungen Union (JU) sowie der Ratsgruppe von Piraten und "Die Partei" (PiPa) vorgetragen wird und eine Liveübertragung von Ratssitzungen zum Ziel hat, hat eine andere Stoßrichtung. Nicht Überwachung und (Selbst-)Kontrolle, sondern der Wunsch nach größtmöglicher Teilhabe der Bürger steht hinter den Anträgen. Denn durch einen Live-Stream im Netz und anschließende Veröffentlichung in einer Mediathek sei die "Barrierefreiheit gewährleistet" - und "die Mobilität der Bürger wird berücksichtigt", begründet die JU ihren Vorstoß.

Ähnlich argumentiert die PiPa. "Das ist ein weiterer Schritt im Interesse verbesserter Transparenz des Handelns von Politik und Verwaltung, um der Politikverdrossenheit entgegen zu wirken", teilt Vorsitzender Reiner Gutowski mit. "Wir werden uns bei den daraus resultierenden Beschlussvorlagen an der Stadt Wuppertal orientieren, wo der Rat dies im November 2012 - auf Antrag der CDU-Fraktion Wuppertal - beschlossen hat." Man hoffe insgesamt, Politik und Verwaltung für den Bürger wieder interessanter zu machen und dadurch die Wahlbeteiligung zu erhöhen. "Was zur Folge haben wird, dass rechte und rechtspopulistische Parteien nicht wieder in den Rat einziehen werden," sagt Ulas Zabci, Mitglied der PiPa.

Die Ratsgruppe will von der Verwaltung nun bis Dezember prüfen lassen, ob und wie ein "Rats-TV" durchzuführen wäre. Auch Fragen nach Kosten und Persönlichkeitsrechten sollen beantwortet werden. Ist die Machbarkeit gegeben, soll im April 2015 im Rat über den Antrag abgestimmt werden. Ab Juni 2015 könnte dann ein Testlauf starten.

Zuletzt war ein vergleichbarer Vorstoß vor zweieinhalb Jahren aufgekeimt. Bedenken damals, neben den Kosten für Technik und Personaleinsatz: Im Rat sitzen Ehrenamtler, von denen sich einige durchaus "bei einem Livemitschnitt mit dem Reden schwertun" könnten, so der damalige CDU-Fraktionsgeschäftsführer und heutige Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners seinerzeit. Denkbar ist auch, dass die Übertragung das Redeverhalten verändern könnte und sich selbstdarstellerische "Schaufensterreden" häufen. Aus solchen und ähnlichen Gründen lehnte der Stadtrat von Landshut vor Wochen einen vergleichbaren Vorstoß ab. Ein SPD-Politiker sagte zudem, er fühle sich durch die Kamerapräsenz an Orwells Klassiker "1984" erinnert.

Politiker in vielen anderen Städten sehen das lockerer. Landauf, landab - ob in München, Jena oder Erfurt - gibt es entsprechende Live-Streams und Mediatheken. Einer der Vorreiter war bereits 2010 Bonn. Veränderungen der Sitzungskultur hat man dort nicht festgestellt - wohl aber drei- bis vierstellige Zugriffsraten über das Internet.

(RP)
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